Commonsverbünde

Von Christian Siefkes, Johannes Euler, Gunter Kramp und Nikolas Kichler

Logo des Commons-InstitutsEine Idee für die Verbindung von commonsbasierten Projekten zu einer gemeinsamen solidarisch-selbstorganisierten Ökonomie, die das Mitmachen erleichtert

[Diesen Artikel gibt es auch als PDF. / This article is also available in English.]

Die in diesem Dokument dargestellten Ideen entstammen einer Open-Space-Session, die am 23. April 2016 in Hiddinghausen im Rahmen des Frühjahrstreffens des Commons-Instituts stattfand. Initiiert wurde die Session von Gunter, weitere Teilnehmende waren Britta, Christian, Hannes, Nikolas, Sarah, Sunna.

Diese Dokumentation wurde erstellt von Christian, Hannes, Gunter und Nikolas unter Mitwirkung von Stefan T.

Kontext und Problembeschreibung

Es gibt diverse Kommunen mit gemeinsamer Ökonomie (z.B. Niederkaufungen, Twin Oaks), aber das Leben in solchen Kommunen ist nur für recht wenige Menschen attraktiv und die Einstiegshürden sind hoch. Das liegt unter anderem daran, dass in einer Kommune sehr viele Lebensbereiche mit derselben Gruppe (in unterschiedlichen Konstellationen) geteilt und gestaltet werden, dass man sich oft genau untereinander abstimmen und dass vieles ausdiskutiert werden muss. (Erkenntnis eines neuen Kommunarden: „Das ist wie 70 Leute gleichzeitig zu heiraten.“)

Es gibt auch schon so einige commonsbasierte Projekte für selbstorganisiert-solidarische Güterproduktion und -verteilung, die den Einstieg in eine gemeinsame Ökonomie erleichtern und dabei den Ausstieg aus der kapitalistischen Ökonomie zumindest in Teilen vollziehen. Ein inzwischen recht verbreitetes Beispiel sind Projekte für Solidarische Landwirtschaft (kurz: Solawis, engl. community-supported agriculture). In diesen werden die formulierten Beiträge und Bedürfnisse oft mit Hilfe von Bieterunden (Bieter_innenrunden) vermittelt, es gibt also kein Kaufen und Verkaufen und keine strenge Kopplung von Geben und Nehmen (siehe SoLaWi-Tagebuch: So funktioniert die solidarische Landwirtschaft).

Solche commonsbasierten Projekte funktionieren bislang nur im Kleinen und in einzelnen Lebensbereichen, und es ist noch relativ unklar, wie diese Begrenzungen überwunden werden können.

Unter anderem fehlt eine engere Abstimmung zwischen Projekten, die unterschiedliche Lebensbereiche abdecken („vertikale Zusammenarbeit“). Wie könnte ich mich etwa an 10 oder 20 commonsbasierten Projekten beteiligen – bzw. von ihnen versorgt werden –, ohne dass dies (in Oscar Wildes Worten) „zu viele Abende“ frisst, weil ich für jedes dieser Projekte zumindest an einer separaten Bieterunde teilnehmen und vielleicht noch weitere Verpflichtungen eingehen muss? Perspektivisch sollte es möglich werden, mehr und mehr Lebensbereiche durch solche Projekte abdecken zu können, ohne dass der Aufwand für die Beteiligten zu groß wird.

Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Abstimmung zwischen Projekten, die Ähnliches produzieren bzw. bereitstellen („horizontale Zusammenarbeit“). Wenn es mehr und mehr Solawis gibt, könnten diese sonst womöglich irgendwann in Konkurrenz zueinander geraten – etwa um Mitglieder, die versorgt werden wollen und dafür finanzielle oder Sachbeiträge leisten, um Mitarbeiter_innen oder um Land und andere Ressourcen.

Wie lässt sich stattdessen erreichen, dass solche Projekte sich zuarbeiten und sich ergänzen? Und wie kann die Organisation gemeinsamer Unterstützungsprojekte erleichtert werden, die etwa die Produktion von Produktionsmitteln übernehmen könnten? Für Solawis geht es hier beispielsweise um Weiterentwicklung von Saatgut und die Herstellung von Landmaschinen.

Zudem ist auch der Einstieg in commonsbasierte Projekte nicht ganz trivial. So braucht man ein gewisses Vertrauen in die anderen und die Fähigkeit, die eigene Situation einschätzen zu können, um an Bieterunden teilzunehmen. Ziel ist hier, derartige Hürden soweit sinnvoll möglich abzubauen und dadurch den Einstieg in solche Projekte zu erleichtern.

Ausgehend von der obigen Analyse haben wir uns mit folgenden Fragestellungen beschäftigt:

  • Wie können Verbindungen zwischen commonsbasierten Projekten geschaffen werden, die diesen Projekten die horizontale und vertikale Zusammenarbeit ermöglichen und die es erleichtern, dass immer mehr derartige Projekte entstehen?
  • Wie könnten Strukturen aussehen, in denen Menschen potentiell alle Lebensbereiche nach Commons-Prinzipien organisieren können (was bei manchen bestehenden Kommunen schon weitgehend der Fall ist), ohne dies für alle Lebensbereiche auf einmal tun zu müssen (hier liegt bei Kommunen die Hürde, die viele abschreckt)?
  • Und wie können die Einstiegshürden so weit gesenkt werden, dass sich immer mehr Menschen an solchen Projekten beteiligen und immer mehr ihrer Bedürfnisse in entsprechenden Projektzusammenhängen befriedigt werden?

Die Idee: Ein Verbund commonsbasierter Projekte

Die Grundidee der von uns entwickelten Antwort: Wir wollen regionale Projektverbünde von commonsbasiert-selbstorganisierten Projekten.

Im Folgenden wird die angedachte Organisation kurz als Commonsverbund bezeichnet (im Englischen könnte man von commons association sprechen). Andere Namen sind denkbar, zu den in die Runde geworfenen Ideen gehörten etwa: Commonsnetz, Commonsbund, Commonssyndikat, Common Pool, Commoning Portal, City of Workshops (für urbane Verbünde), Skalierbare Netzwerk-Kommune. Hat jemand weitere gute Ideen?

Aber zurück zum Konzept: Mitglieder dieses Verbunds sind unterschiedliche Projekte, die sich auf regionaler Ebene zusammenschließen, um sich gemeinsam um ein breites Spektrum an Lebensbereichen zu kümmern. Umfassen könnte dies etwa die Versorgung mit Lebensmitteln (per Solawi), Strom (per SolE – Solidarische Energieversorgung), Wohnraum (Haus- oder Wohnprojekt, Mietshäusersyndikat), Kinderbetreuung, Räume zum Experimentieren und zur Herstellung von Produktionsmitteln und anderen nützlichen Dingen (Offene Werkstatt/FabLab), Software und Hilfe bei Computerproblemen (Hackerspace), Ausleihmöglichkeiten für Werkzeug, Haushaltsgegenstände u.a. (Leila – Leihladen), Kleidung (Kleiderkammer, Nähwerkstatt), Umverteilung von nicht mehr gebrauchten Dingen (Umsonstladen) und vieles mehr.

Daneben soll es auch überregionale Kooperationen geben, insbesondere wenn es um die Produktion und Nutzung Freien Wissens geht (Freie Software, Freie Baupläne, freies Saatgut etc.). Für die Befriedigung unterschiedlicher sinnlich-vitaler Bedürfnisse erscheint aber eine vor allem regionale Verortung sinnvoll, die durch überregionale Kooperationen ergänzt wird (dazu unten mehr).

Als Mitglied eines einzelnen Projekts werde ich automatisch auch Mitglied im Verbund („Metamitgliedschaft“) und kann dessen Leistungen in Anspruch nehmen. (Wie das genau geht, wird unten diskutiert.)

Der Commonsverbund ermöglicht es, Lösungen für möglichst alle Lebensbereiche zu finden, ohne dass sich einzelne selbst an allen Einzelprojekten beteiligen müssen – separate Bieterunden etc. für jedes Projekt wären wahrscheinlich zu zeitintensiv. Er bietet Zugang zu den unterschiedlichen Angeboten und Beitragsmöglichkeiten der Einzelprojekte. Im Endeffekt ist er dazu da, die verschiedenen Bedürfnisse, Aktivitäten und Beiträge aller Verbundsmitglieder miteinander zu vermitteln.

Der Commonsverbund leistet dabei sehr viel mehr als eine bloße Vernetzung der unterschiedlichen Projekte. Er ermöglicht eine kollektive bedürfnisorientierte Versorgung und bringt dafür Beitragswillige/Produzent_innen und Nutzer/Konsument_innen zusammen, wobei der Übergang zwischen diesen Gruppen fließend ist und sich alle auf Augenhöhe begegnen.

Gemeinsame Ökonomie als Fluss von Beiträgen unterschiedlicher Art

Die Bereitstellung von Gütern durch den Verbund verursacht Unkosten verschiedener Art: Es gibt Dinge, die zu tun sind (Aufgaben oder „Arbeit“); in einem ansonsten noch großteils kapitalistischen Umfeld braucht es Geld, um Dinge zu kaufen oder zu mieten, die der Verbund nicht selber hat oder herstellen kann. Alternativ können solche Dinge auch direkt als Sachleistungen in den Verbund eingebracht werden, was den Finanzbedarf senkt. Wollen am Verbund beteiligte Projekte für geleistete Aufgaben Gehälter zahlen (siehe unten), erhöht sich der Geldbedarf weiter.

Zur Planung der notwendigen Beiträge erstellt jedes einzelne Projekt ein Budget, in dem es den Bedarf erfasst. Jedes Projekt fragt sich also: „Was wird voraussichtlich gebraucht an Gütern, die wir produzieren/bereitstellen können? Was für Kosten fallen dafür an? Was für Aufgaben müssen erledigt werden und wo benötigen wir Hilfe anderer?“.

Aus dem finanziellen Teil dieses Budgets wird ein Richtwert für diejenigen ausgerechnet, die die entsprechenden Güter konsumieren/nutzen wollen. Ein solcher Richtwert ist kein verpflichtender Beitrag, sondern eine Orientierungshilfe; er muss nicht absolut sein, sondern kann sich am jeweiligen Einkommen ausrichten. Das würde bedeuten, dass wer dreimal so viel verdient, gemäß Richtwert auch dreimal so viel zahlt, ähnlich der Beitragsberechnung bei den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland (siehe unten für eine Diskussion dieses Punktes). Letztlich entscheidet aber jede Person selbst, wie viel sie_er beitragen kann und will. Wichtig ist vor allem, dass das Budget am Ende gedeckt ist.

Die meisten Beteiligten werden Leistungen aus unterschiedlichen Bereichen in Anspruch nehmen wollen (vielleicht nur vegetarisches Essen? vielleicht auch Fleisch? vielleicht auch Strom? vielleicht alles, was der Pool bereitstellt?). Ihr individueller Richtwert ist dann die Summe der Richtwerte aller Projekte, an denen sie interessiert sind.

Diese finanziellen Beiträge decken dabei nur die den Projekten entstehenden Unkosten; niemand kann sich daran bereichern. Und sie sollen niemand ausschließen, deshalb sollten sie sich an der Einkommenshöhe orientieren und sind nur Richtwerte statt verpflichtend zu sein.

Perspektivisch soll so immer mehr dessen was gebraucht wird im Verbund selbst bereitgestellt werden oder durch verbundübergreifende Kooperation organisiert werden. Relativ zur Anzahl der Beteiligten sollte das benötigte Finanzbudget daher mit der Zeit immer kleiner werden (da immer weniger auf dem Markt eingekauft werden muss), bis es schließlich ganz entfallen kann. Ein einzelner Verbund dürfte dafür allerdings wohl kaum groß genug werden, aber auch Kooperation zwischen Verbünden ist möglich und erwünscht (siehe unten).

Das Rechnen mit Geld ist also eine Zwischenlösung für den Übergang, kein angestrebter Dauerzustand!

Dauerhaft erhalten bleiben soll jedoch die Möglichkeit, Beiträge in Form von ehrenamtlich und unentgeltlich übernommenen Tätigkeiten für den Verbund zu erbringen, also aktiv zu einem oder mehreren der beteiligten Projekte beizutragen (bzw. zur Verwaltung des Verbunds selbst). Solches aktives Engagement wird im Verbund gern gesehen (und in der Summe auch benötigt), jedoch niemandem individuell abverlangt – man kann sich dafür entscheiden, muss aber nicht. (Eventuell muss dieser Grundsatz ein Stück weit eingeschränkt werden, da manche Solawis Arbeitseinsätze fordern. Wie damit umzugehen ist, wird unten diskutiert.)

Ob man aktiv tätig ist, hat keinen Einfluss auf die Höhe des individuellen Richtwerts, der aber ja sowieso nicht verpflichtend ist. (Man kann den eigenen finanziellen Beitrag absenken oder streichen, wenn man den eigenen Tätigkeitsbeitrag für „ausreichend“ hält, aber das ist eine individuelle Entscheidung.)

Was gepoolt wird

Ein Commonsverbund stellt somit einen Pool dar, aus dem sich alle gemäß den vereinbarten Regeln bedienen können und zu dem alle beitragen können und sollen. Der Pool umfasst dabei im Wesentlichen drei Aspekte:

  • Bereitgestellte Güter und Tätigkeiten („Dienstleistungen“): Entnahme gemäß Vereinbarungen (z.B. nach Bedarf, oder x pro Person)
  • Budgets (Kosten für Einkäufe, Mieten, Steuern, bezahlte Tätigkeiten): werden per Bieterunden aufgeteilt
  • Tätigkeiten: können von Freiwilligen erledigt werden oder gemäß Vereinbarungen gegen Bezahlung (siehe nächster Abschnitt)

Gepoolt wird auch das Risiko: Durch Teilnahme am Verbund können sich die einzelnen Projekte gegen Unwägbarkeiten absichern. Wenn ein Projekt in Schieflage gerät oder kurzfristig besondere Unterstützung braucht, können andere ihm zu Hilfe kommen. Allerdings sollte das Poolen von Risiken nicht bedingungslos sein: Bei aller Solidarität muss die Autonomie der Projekte auch mit Eigenverantwortung einhergehen.

Projekte müssen auch scheitern können (auch wirtschaftlich in Form einer Insolvenz), ohne den ganzen Verbund zu gefährden. Sonst dürfte es aus berechtigten Ängsten heraus mit der Autonomie bald vorbei sein, da der Verbund dann zur eigenen Absicherung den einzelnen Projekten jeweils genau „auf die Finger“ schauen müsste, was leicht zu einer kopflastigen Bürokratie führen und deshalb kaum wünschenswert sein dürfte.

Wie man dies vermeiden kann, zeigt das Mietshäusersyndikat, wo theoretisch jedes Projekt auch Pleite machen könnte, ohne dass das Syndikat mehr als die von ihm eingezahlten 12.400 € Stammkapitalanteil verliert. Andererseits sollte kein Projekt ohne extreme Not vom Verbund aufgegeben werden. (Im Mietshäusersyndikat steht über hundert erfolgreichen Hausprojekten bislang wohl nur ein gescheitertes gegenüber, und da konnte den Direktkreditgeber_innen durch Sammlungen eines Solidaritätskomitees zumindest ein Teil ihrer Einzahlungen wiedererstattet werden.)

Nicht zwingend notwendig, aber hilfreich könnte auch ein „Kapitalpool“ sein, in dem der Verband willige Direktkreditgeber_innen an Projekte vermittelt, die zur Tätigung von Investitionen Kredite brauchen. Allerdings sollte der Verbund hier aufgrund des oben beschriebenen Risikos wohl nur Vermittler sein, statt selbst die Kredite aufzunehmen und weiterzugeben und damit im Zweifelsfall für die Rückzahlung zu haften.

Zinslose oder niedrig verzinste Direktkredite zwischen Mitgliedern des Verbunds und an diesen angeschlossenen Projekten hätten für die Kreditgeber_innen aber den Vorteil, dass sie wissen, dass mit ihrem Geld etwas Sinnvolles gemacht wird und dass sie eine persönliche Vertrauensbasis zu den Kreditnehmern aufbauen können. Kredite im Umfeld von wohlhabenderen Mitgliedern und deren Bekanntenkreis aufzunehmen, sollte nicht allzu schwierig sein, da Geld verleihen den Menschen leichter fällt als es ganz herzugeben, und da die „Konkurrenz“ in Zeiten allgemeiner Niedrigzinsen nicht groß ist.

Eventuell können sich die Projekte bei Bedarf auch gegenseitig zinslose/zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen (auch das wird im Mietshäusersyndikat praktiziert). Das dürfte allerdings eher als kurzfristige Lösung in Frage kommen, da Projekte finanzielle Mittel ja nur zur Deckung ihrer absehbaren Ausgaben einsammeln und über keine großen finanziellen „Reserven“ verfügen dürften.

Außerdem wird durch den Verbund das politische Gewicht erhöht – wer legt sich bedenkenlos mit einem Projekt an, das zu einem Verbund mit 500 oder gar 50.000 Mitgliedern gehört?

Bezahlte Tätigkeiten in den Projekten

Alle anfallenden Tätigkeiten, die niemand ehrenamtlich übernimmt, müssen (sofern sie tatsächlich notwendig sind!) bezahlt werden, deshalb wird es in vielen der beteiligten Projekte auch bezahlte Stellen geben. Dies entspricht auch der heutigen Praxis in Solawis und ähnlichen Projekten. Das Schaffen von Stellen ist kein Zweck des Verbunds, kann jedoch unter Umständen ein angenehmer Nebeneffekt sein. Denn die so Beschäftigten können auf diese Weise besser über die Runden kommen, solange sie eben noch in einem kapitalistischen Umfeld leben, in dem dies ohne Erwerbsarbeit kaum möglich ist.

Welche Stellen gebraucht werden, wer diese ausfüllt und wohl auch wie die Bezahlung vonstatten geht, entscheiden die am Verbund beteiligten Projekte gemäß ihrer Bedarfsplanung selbst. Eventuell einigen sich zusammengeschlossene Projekte dafür auf gewisse generelle Richtlinien, die dann für alle gelten. Eingestellt werden wahrscheinlich vorzugsweise Menschen, die bereits in das Projekt bzw. den Verbund involviert sind; Externe kommen wohl lediglich dann in Frage, wenn sie sich mit dem Selbstverständnis und Kooperationsmodell des Verbunds identifizieren können.

Bewerben sich mehr geeignete Kandidat_innen um Stellen als gebraucht werden, versuchen die Beteiligten (Bewerber_innen sowie bereits im Projekt Beschäftigte) gemeinsam eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Im Zweifelsfall können dabei gern mehrere Teilzeitstellen statt weniger Vollzeitstellen geschaffen werden, doch sollte die Zerstückelung nicht so weit getrieben werden, dass es für die Beteiligten keinen Sinn mehr macht.

Der gezahlte Lohn könnte ein Einheitslohn sein, der z.B. dem durchschnittlichen Stundenlohn im jeweiligen Land (bzw. Region oder Stadt) entspricht, mit Zuschlägen bei besonderem Bedarf (z.B. alleinerziehend / mehrere Kinder / wohnt in teurer Gegend). Alternativ legen die einzelnen Beschäftigen ihren Lohn gemäß ihrer individuellen Bedürfnisse fest, wie in manchen Solawi-Projekten üblich (vgl. Was ist eigentlich „solidarisch“ an der „Solidarischen Landwirtschaft“?). Dieses Modell verlangt den Beteiligten allerdings einiges an Selbstbewusstsein und Selbsteinschätzungsfähigkeiten ab und ist deshalb nicht ganz unproblematisch. Auch Mischformen zwischen diesen beiden Modellen sind denkbar, z.B. bestimmte Stundensätze als Richtwerte, an denen sich die Beschäftigen orientieren können (aber nicht müssen).

In jedem Fall sollte die Bezahlung hoch genug sein, dass die Beschäftigten ordentlich krankenversichert sind (sofern sie keinen anderen versicherungspflichtigen Job haben). In Deutschland muss das Monatsgehalt dafür zur Zeit mindestens 451 € betragen (siehe Midijob). Zu der monetären Bezahlung kann der freie Zugang zu Leistungen aus dem Commonsverbund kommen.

Preisbildung

Wie gesagt richten sich die für Mitglieder berechneten Richtwerte unter anderem danach, was sie konsumieren bzw. nutzen möchten – interessieren sie sich für zusätzliche Produktkategorien, fallen höhere Herstellungskosten an, die in ihren Richtwert mit einfließen. Innerhalb einzelner Produktkategorien dürfte dagegen oft das Flatrate-Prinzip gelten: Man kann sich nach Bedarf bei den hergestellten Gütern bedienen, ohne dass die verbrauchte Menge direkt bezahlt werden müsste oder in den eigenen Richtwert einfließt. Ein Anteil dürfte dabei typischerweise dem Nutzungsanspruch einer Person entsprechen – eine Familie, WG oder Hausprojekt wird im Allgemeinen mehr verbrauchen als eine Einzelperson und daher auch einen höheren Richtwert erhalten. Kinder könnten allerdings nach Überlegungen des Berliner SolE-Projekts (Solidarische Energieversorgung) kostenlos mitversorgt werden – nur für jede im Haushalt lebende erwachsene Person wird dann ein Anteil fällig. Der tatsächliche persönliche Verbrauch wird in diesem Ansatz nicht abgerechnet.

Alternativ könnte ein Anteil den Anspruch auf die dauerhafte Nutzung eines bestimmten Guts beinhalten. Ein Anteil an einem Fahrrad-Projekt berechtigt etwa zum Erhalt eines Fahrrads oder Pedelecs, das vom Projekt auch gewartet, bei Bedarf repariert und bei endgültigem Verschleiß durch ein neues Modell ersetzt wird. Dazu können Extras wie das gelegentliche Entleihen eines Lastenanhängers kommen, die wiederum per Flatrate abgerechnet werden, also nicht separat in Rechnung gestellt werden. Ähnliches ist für Technikprojekte denkbar, die ihre Mitglieder beispielsweise mit einem Smartphone oder einem Laptop und den dazu sinnvollen Extras versorgen.

In anderen Fällen ist eine Richtwertberechnung anhand des konkreten individuellen Verbrauchs denkbar. So könnte in einem Wohnprojekt der persönliche Richtwert nicht nur vom Einkommen, sondern auch von der individuell genutzten Wohnfläche abhängen – wer ein größeres Zimmer, eine größere Wohnung belegt, zahlt perspektivisch mehr. (Wobei es sich aber ja generell nur um Richtwerte handelt, die nicht verpflichtend sind.)

Richtwert-Preise sind grundsätzlich auch gegenüber Nicht-Mitgliedern denkbar. Das linke Cafékollektiv Morgenrot in Berlin-Prenzlauer Berg berechnet etwa für ein Frühstücksbuffet keinen Festpreis, sondern gibt eine Preisspanne vor, innerhalb derer man sich nach Selbsteinschätzung einordnen kann. Eine Kneipe in einem zum Verbund gehörenden Hausprojekt könnte Ähnliches machen.

In jedem Fall dienen Preise, ob gegenüber Mitgliedern oder Externen, nur zur Kostendeckung, nicht zur Erwirtschaftung von Gewinn. Und Preise entstehen nicht in Marktkonkurrenz (als Marktteilnehmer versuche ich einen möglichst hohen Preis zu verlangen, muss ihn aber soweit absenken, dass die Kund_innen nicht zu Konkurrenzprodukten greifen). Stattdessen werden sie zwischen den Mitgliedern des Verbunds (zu denen sowohl „Konsument_innen“ wie „Produzent_innen“ gehören) in einem transparenten Prozess kollektiv vereinbart. Und statt angestrebter Profitmaximierung dienen sie nur zur Deckung der anfallenden Kosten.

Das der Preisgestaltung zugrunde liegende Prinzip kann man also auf die Formel bringen: Aufwandsteilung mittels Vereinbarungen statt Konkurrenz.

Entscheidungsfindung und Organisationsstrukturen

Die Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Lebensbereichen und Projekten werden durch freie Vereinbarungen hergestellt, nicht durch formelle („basisdemokratische“) Wahlen und Abstimmungen, in denen sich eine Mehrheit auf Kosten von Minderheiten durchsetzen könnte.

Hilfreich kann hier der Soziokratie-3.0-Ansatz sein, siehe Sociocracy 3.0 in Details (und dort insbesondere Circles and Decision Making sowie Organizational Structure). Eine gute (allerdings etwas unternehmenslastige) deutschsprachige Kurzdarstellung der wichtigsten Soziokratie-Prinzipien gibt es unter 4 Basisregeln .

In diesem Ansatz übernehmen „Kreise“ die Koordinierung der Einzelprojekte miteinander (man könnte von „Koordinationskreisen“ sprechen). Diese werden nach dem Vier-Augen-Prinzip besetzt: In einen Kreis werden zwei Vertreter_innen jedes involvierten Projekts entsandt, z.B. die Maintainer_in sowie eine vom Projektteam ernannte Person.

Innerhalb eines Kreises wird per Konsent entschieden. Konsent bedeutet dabei nicht zwangsläufig, dass alle mit der Entscheidung glücklich sind, sondern dass alle mit ihr leben können. Wer schwerwiegende Bedenken hat, kann hingegen ein Veto einlegen, das begründet werden muss. Über ein begründetes Veto kann sich der Kreis nicht hinwegsetzen, eine Entscheidung wird also erst möglich, wenn die Bedenken ausgeräumt werden können und das Veto zurückgezogen wird.

Alle den Commonsverbund betreffenden Koordinationstätigkeiten, etwa die Erstellung von Gesamtbudget und Richtwerten sowie die Aufnahme neuer Projekte, werden im Rahmen von entsprechenden Kreisen erledigt.

Koordinationskreise kümmern sich auch um die Abstimmung (Vermittlung) der Einzelprojekte, die innerhalb eines Commonsverbunds für einen bestimmten Lebensbereich zuständig sind. Zu einem größeren Commonsverbund dürften etwa mehrere Solawi-Projekte gehören, die sich in einem Koordinationskreis miteinander abstimmen können.

Zur Aufgabe der Kreise gehört auch die Herstellung von Transparenz gegenüber den Einzelprojekten und den Mitgliedern. Sie kümmern sich um die Offenlegung von in Einzelprojekten und im Verbund getroffenen Entscheidungen, von anfallenden Kosten, Planungsprozessen usw.

Auch die internen Strukturen von Einzelprojekten können in Form von Kreisen organisiert werden.

Absicherung der eingesetzten Ressourcen gegen Privatisierung

Es gilt das Prinzip: Commons und Besitz statt Eigentum. Was nicht Commons ist – also gemeinsam genutzt und gepflegt wird – kann zum Besitz einzelner werden, also von diesen genutzt und ggf. verbraucht werden. Frei veräußerliches (= verkauf- oder vermietbares) Eigentum spielt hingegen keine Rolle.

Verbrauchsgüter (z.B. Essen, Strom) werden an die Mitglieder gemäß den getroffenen Vereinbarungen und den jeweiligen Bedürfnissen verteilt und von diesen verbraucht.

Langfristig nutzbare Güter (z.B. Häuser/Wohnraum) können von den Mitgliedern genutzt werden, solange sie diese brauchen (wenn nichts anderes vereinbart wird), und gehen anschließend an den Verbund zurück. Damit ist für die Zeit der Nutzung im Regelfall eine Beteiligung am Aufwand verbunden. Wie bei Wohnprojekten des Mietshäusersyndikats müssen die Beiträge („Mieten“) in der Summe reichen, um das jeweilige Gut herzustellen (bzw. zu erwerben) und langfristig zu erhalten, aber nicht für alle Nutzer_innen gleich sein. Stattdessen werden sie per Vereinbarungen etwa per Bieterunde aufgeteilt.

Solche langlebigen Güter sowie Produktionsmittel sollen dauerhaft als Commons gesichert werden. Um zu verhindern, dass sie später (etwa bei Ausstieg eines Projekts aus dem Verbund) doch wieder privatisiert werden, bietet sich eine Absicherung nach dem Vorbild des Mietshäusersyndikats an. Das heißt, die Commonsressourcen sind formell Ko-Eigentum von dem Einzelprojekt, das sie hergestellt hat oder nutzt, und dem Verbund. Nur mit Zustimmung beider Eigentümer können sie verkauft werden, und der Verbund schreibt in seinen Statuten fest, dass er diese Zustimmung nur bei individueller Zustimmung aller Mitglieder erteilen wird. Das dürfte eine drohende Privatisierung de facto unmöglich machen, da jede zum Verbund gehörende Person ein unumgehbares Vetorecht erhält.

Auf diese Weise wird das formelle Eigentum „neutralisiert“. Das jeweilige Projekt hat volle Nutzungsrechte, aber kein Recht, die genutzten Güter unter Umgehung des Verbunds zu verkaufen oder andere von der Nutzung von selbst nicht (mehr) gebrauchten Gütern auszuschließen.

Alle produzierten Wissensartefakte (Software, Baupläne etc.) werden als Freie Software/Freies Wissen freigegeben. Im Zweifelsfall werden dabei Lizenzen mit Copyleft-Klausel bevorzugt (also GPL, AGPL oder CC BY-SA), um sicherzustellen, dass auch alle Abwandlungen frei bleiben.

Regionalitätsprinzip und überregionale Kooperation

Ein Commonsverbund kümmert sich jeweils um eine bestimmte Region, typischerweise um eine Stadt (ggf. mit Umland), eine Gruppe von benachbarten Städten oder eine ländliche Region. Denkbar wäre etwa ein Verbund für Berlin-Potsdam, einer fürs Ruhrgebiet, fürs Wendland, für Wien usw.

Unterschiedliche Commonsverbünde koordinieren sich untereinander, auch dafür könnte es Kreise zur Koordinierung geben. Die Koordination muss dabei nicht nur auf der Ebene der gesamten Verbünde erfolgen, sondern auch auf der Ebene einzelner Lebensbereiche. So könnten sich z.B. Solawis überregional koordinieren und gemeinsame Zulieferprojekte etwa zur Produktion von Produktionsmitteln organisieren.

Um nicht irgendwann zu groß und schwerfällig zu werden, können sich Commonsverbünde jeweils eine Maximalgröße setzen, über sie hinaus sie nicht wachsen wollen – z.B. 300.000 Leute. Überschreitet die Mitgliederzahl diese Grenze, teilt sich der Verbund in gegenseitigem Einvernehmen in zwei bis drei kleinere Verbünde auf, die jeweils für einen Teil der vorher vom alten Verbund versorgten Region zuständig sind. Die aufgeteilten Verbünde sind unabhängig voneinander, dürften aber in manchen Aspekten weiterhin zusammenarbeiten, wie es ja auch sonst überregionale Kooperation über Verbundgrenzen hinweg gibt.

Woraus sich die Niederschwelligkeit ergibt

Erklärtes Ziel unserer Konzeption ist es, Einstiegshürden möglichst gering zu halten, um das Ganze auch für Menschen attraktiv zu machen, die sich von bisherigen Ansätzen wie Kommunen oder Solawis nicht angesprochen fühlen. Zu dieser angestrebten Niederschwelligkeit tragen mehrere Faktoren bei:

  • Man entscheidet selbst, wie viel oder wenig man an der gemeinsamen Ökonomie teilnimmt – vom Wahrnehmen nur einzelner Angebote (z.B. Solawi-Essen) bis zum Wohnen in einem Wohnprojekt mit weitgehender „Gesamtversorgung“ durch den Verbund ist alles möglich.
  • Ebenso entscheidet man selbst, wie intensiv und auf welche Weise man sich einbringt – ob man nur einen finanziellen Beitrag leistet (und in welcher Höhe), ob man gelegentlich als Freiwillige_r mitarbeitet oder ob man eine intensive (und zumindest in der Anfangszeit wohl häufig bezahlte) Mitarbeit in einem der Projekte anstrebt.
  • In welchen Bereichen man sich engagiert, kann man sich selbst aussuchen, in Abhängigkeit von den eigenen Interessen und Fähigkeiten sowie von dem, was es zu tun gibt. Die Bereiche, in denen man sich engagiert, müssen dabei nichts mit dem eigenen Konsum zu tun haben – ich kann z.B. Solawi-Essen konsumieren und mich um die Kinderbetreuung kümmern (ohne unbedingt selbst Kinder zu haben).
  • Man kann jederzeit einsteigen und später ohne Nachteile wieder aussteigen. (Während man bei manchen Kommunen das eigene Vermögen komplett einbringen muss – steigt man wieder aus, ist es weg.)

Letzteres schließt nicht aus, dass einzelne Mitglieder beteiligten Projekten oder dem Verbund finanzielle Mittel in Form von zinsgünstigen oder zinslosen Krediten zur Verfügung stellen und dabei durch längere Laufzeiten für Planungssicherheit sorgen. Hierbei kann eine feste Laufzeit vereinbart werden (kein vorzeitiger Ausstieg möglich) oder alternativ können die Kündigungsfristen so festgelegt werden, dass (einzelne/wenige) Aussteiger das Projekt nicht in Gefahr bringen können, um ein Erpressungspotenzial bei Entscheidungen zu verhindern. (Andernfalls könnten Kreditgeber_innen drohen: „Wenn ihr nicht macht, was ich will, steige ich aus und ziehe mein Geld ab.“)

Kurz-Zusammenfassung wesentlicher Merkmale des skizzierten Konzepts

Es entsteht ein Commonsverbund mit gemeinsamer Bedürfnis- und Beitragsökonomie. Die Beteiligten erhalten in erster Linie nichtmonetäre Leistungen: Güter aller Art, die sie zum Leben brauchen oder möchten.

Geld fließt soweit nötig, aber niemand sollte mangels ausreichender finanzieller Mittel draußen bleiben müssen. Fair bezahlte Stellen kann es auch geben, aber nur soweit sie zur Erledigung der anfallenden Tätigkeiten nötig sind. Ziel ist, dass sie mit der Zeit ganz wegfallen.

Getauscht wird nicht, stattdessen werden Beiträge erbracht und Kosten sowie Nutzen gemäß kollektiver Vereinbarungen aufgeteilt („Beitragen statt tauschen“). Dafür erstellen die beteiligten Projekte ihre eigenen Budgets, die dann in ein verbundweites Gesamtbudget kombiniert werden (Geldbedarf sowie anfallende Tätigkeiten).

Wer wie viel und was beiträgt, entscheidet sich in projektübergreifenden Bieterunden. Ziel ist ein bedürfnisorientiertes Wirtschaften im alten griechischen Sinn von „oikonomia“: die Bereitstellung der notwendigen und nützlichen Güter (siehe Aristoteles macht aus der Ökonomie eine Wissenschaft).

Ziel ist auch, ein Vertrauen in Reziprozität zu organisieren, das es den Einzelnen ermöglicht, sich ohne Zwang, ohne Konkurrenz und ohne die Angst, zu kurz zu kommen, an der kollektiven Versorgung zu beteiligen.

Punkte, zu denen Diskussionsbedarf besteht

Dieser Vorschlag kann und will nicht alle Details der Organisation eines Commonsverbunds „vorgeben“, vieles wird sich erst in der praktischen Entstehung und Verbreitung solcher Verbünde klären lassen. Im Folgenden wird kurz auf einige Punkte eingegangen, bei denen noch Diskussionsbedarf besteht oder die vielleicht auf andere als die hier vorgeschlagene Weise gelöst werden könnten.

Ein noch nicht genau geklärter Punkt ist die Durchführung von Bieterunden im Rahmen eines Verbunds, der ja perspektivisch Tausende bis hin zu einigen Hunderttausend Mitgliedern haben könnte. Dass alle in einem Raum zusammenkommen, wird da klarerweise schnell unmöglich. Eine im Rahmen des SolE-Projekts entwickelte Lösungsidee sind geschachtelte Bieterunden: Ein Verbund mit 10.000 Mitgliedern könnte etwa 100 separate Bieter_innengruppen („Kleingruppen“) haben, die je 100 Mitglieder umfassen. Von jeder Kleingruppen wird erwartet, dass sie kollektiv die Summe der für ihre Mitglieder berechneten Richtwerte zusammenbekommt, aber die konkrete Verteilung zwischen den Einzelpersonen wird im Rahmen eines persönlichen Treffens aller Mitglieder der Kleingruppe vereinbart. Der von den einzelnen Kleingruppen erwartete Beitrag wäre dann allerdings starr und nicht verhandelbar.

Eine Variante dieses Konzepts besteht darin, den von den Kleingruppen geforderten Beitrag ebenfalls als Richtwert zu begreifen, von dem jede Kleingruppe bei Bedarf nach unten oder oben abweichen kann. Jede Kleingruppe schickt dann gemäß Soziokratie-Prinzip zwei Vertreter_innen in einen Kreis, in dem festgestellt wird, ob die Beiträge der Kleingruppen in der Summe ausreichen, und bei Bedarf nachverhandelt wird. Hier wird das Konzept der solidarischen Selbstorganisation konsequenter umgesetzt, jedoch mit dem Nachteil, dass alle Kleingruppen evt. mehrmals zusammengerufen werden müssen, wenn sich ihre Beiträge in der Summe als zu niedrig erwiesen haben.

Alternativ ist es denkbar, die Bieterunde für den gesamten Verbund per Internet durchzuführen statt in persönlichen Treffen. Die einzelnen Mitglieder würden dann per Software ein „Gebot“ abgeben. Sobald alle geboten haben, erfahren sie, ob zu wenig/genug/zu viel zusammenkommen ist, und können ihr Gebot dann nochmal nach unten oder oben modifizieren – solange, bis es reicht. Ebenso wie bei anderen Verfahren können die individuellen Beiträge (Gebote) dabei vertraulich bleiben. Alle müssen nur wissen, dass die Gesamtsumme ausreicht, aber nicht, wie viel andere Einzelne beitragen.

Ein relativ innovatives Element in unserem Konzept ist die Idee von einkommensabhängigen Richtwerten. Offene Fragen dazu sind, ob die Idee nicht mit der angestrebten Niedrigschwelligkeit kollidiert, schließlich müssen dafür alle ihr Einkommen offenlegen – wenn auch nicht unbedingt öffentlich, sondern nur gegenüber einer vertrauenswürdigen Personengruppe im Verbund, die aus diesen Daten die individuellen Richtwerte ausrechnet und sie anschließend wieder löscht. Ob dieser Punkt sich trotzdem als abschreckend erweist, müsste man sehen. Denkbar ist, dass die Einkommen nicht genau, sondern nur in fünf oder zehn Stufen abgefragt werden.

Oder der Verbund verzichtet ganz auf das Abfragen der Einkommen und berechnet stattdessen einkommensunabhängige Richtwerte. Die Bieter_innen könnten den Vorschlag dann entweder nach eigenem Gutdünken anpassen: Wer mehr hat, gibt mehr, wer weniger hat, gibt weniger. Allerdings dürften die dabei herauskommenden Abweichungen wahrscheinlich in beide Richtungen deutlich schwächer ausfallen, als wenn die realen Einkommensunterschiede zugrunde gelegt werden.

Um eine fairere Annäherung der bezahlten Beiträge an die realen Einkommensunterschiede zu erreichen, könnte der Verbund zwar auf die konkrete Abfrage der Einkommenshöhen verzichten, aber dennoch eine Hilfe bei der Selbsteinschätzung mitliefern: „Das Durchschnittseinkommen in unserer Region ist XY €. Wenn dein Einkommen doppelt/halb so hoch ist, magst du vielleicht doppelt/halb so viel beitragen?“

Ein weiterer offener Punkt ist, ob neben der Beteiligung an Bieterunden noch weitere Mitwirkungspflichten eingefordert werden könnten. Oben wurde dies verneint: „aktives Engagement wird im Verbund gern gesehen …, jedoch niemandem individuell abverlangt.“ Es gibt jedoch Solawis, die ihre Mitglieder zu Arbeitseinsätzen in gewissem Umfang verpflichten. Wie geht das zusammen – müssen solche Projekte ihre Praxis zwingend ändern, um in einem Verbund mitzumachen?

Die Idee von Arbeitseinsätzen in einzelnen Projekten ist unter anderem deshalb problematisch, weil sie schlecht „skaliert“. Nutze ich die Produkte von einem Dutzend Projekten, kann ich nicht bei jedem dieser Projekte einen oder mehrere Arbeitseinsätze pro Jahr ableisten, ohne mich hoffnungslos zu verzetteln und wohl an der ganzen Sache die Lust zu verlieren. Klar ist also, dass solche Pflichteinsätze die Ausnahme bleiben müssen. Grundsätzlich wäre es aber denkbar, dass sich ein Verbund darauf einigt, dass seine Mitglieder an ein bis zwei der beteiligten Projekte aktiv mitarbeiten statt sich nur finanziell zu beteiligen. Welche Projekte es im Einzelfall werden und was genau sie dort machen, wäre dann aber weiterhin den Einzelnen überlassen.

Solche Regelungen sind denkbar, aber letztlich ist fraglich, ob eine Ermunterung zum Mitmachen („wir freuen uns, wenn …“) nicht angenehmer und womöglich auch motivierender ist als eine verpflichtende Regelung („als Mitglieder müsst ihr …“). Eventuell könnten die notwendigen Aufgaben, die nicht von bezahlten Mitarbeiter_innen übernommen werden sollen, auch nach dem Bieterunden-Prinzip aufgeteilt werden: Individuell muss niemand bestimmte Aufgaben übernehmen, aber kollektiv muss sich für alle Aufgaben jemand finden, die oder der sie übernimmt.

Bei manchen Kommunen wird auch das Vermögen der Beteiligten kollektiviert (d.h. der Kommune überschrieben), zumindest nach und nach. So gibt es bei einigen jüngeren Kommunen die Regelung, dass zehn Prozent des eigenen Vermögens pro Jahr kollektiviert/umverteilt werden. Wer länger als zehn Jahre dabei war und dann wieder aussteigt, nimmt dann im einfachsten Fall so viel Vermögen mit wie dem Durchschnitt der eingezahlten Vermögen entspricht. Alternativ kann es bedarfsgerechtere Lösungen geben (Ausstiegsverträge), was allerdings viel diskussionsaufwändiger ist.

Für einen Commonsverbund, der für die meisten Beteiligten zunächst nur ein Standbein sein dürfte – einen Teil der genutzten Güter erhalten sie aus dem Pool, den Rest kaufen sie weiterhin auf dem Markt ein – dürfte eine solche Kollektivierung eher nicht praktikabel sein. Denkbar ist aber, dass einzelne zum Verbund gehörende Wohnprojekte eine solche Vermögens-Kollektivierung vornehmen und dann auch eine gemeinsame Kasse für alles, was nicht aus dem Verbund kommt, führen.

Update: Es gibt jetzt eine Mailingliste, in der Commonsverbünde diskutiert und ihre Umsetzung vorangetrieben werden kann.

Verwandte Konzepte

  • Die Cooperativa Integral Catalana (CIC) ist eine katalanische Kooperative, die die umfassende Versorgung ihrer Mitglieder anstrebt.
  • Zeitbanken und Stundentauschringe sind ein simpler, allerdings nur sehr begrenzt solidarischer Ansatz zur Organisation einer gemeinsamen Ökonomie. Wir wollen die dort praktizierte individuelle Abrechnung (die von mir erbrachten Beiträge werden gegen die von mir konsumierten aufgerechnet – ohne ausreichend eigene Beiträge kann ich auch nichts konsumieren bzw. nutzen) so nicht, aber man sollte Unterschiede und Ähnlichkeiten im Auge behalten.
  • Martin Siefkes hat letztes Jahr im Keimform-Blog „Peer-Netzwerke“ vorgeschlagen (siehe Eine Idee für den Übergang und 10 Prinzipien des Übergangs), die einige Kernideen der hier skizzierten Commonsverbund-Idee vorwegnehmen, auch wenn es in den Details viele Unterschiede gibt.
From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Ecommony – jetzt auch als Buch!

Titelbild von Friederikes neuem BuchFriederike Habermanns Konzept einer Ecommony (ein Wortspiel aus Commons und Ökonomie) gibt es jetzt auch als Buch!

Friederike Habermann: Ecommony. UmCare zum Miteinander. Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach am Taunus 2016, 197 Seiten, 19,95 €. Man kann das Buch beim Verlag und überall im Buchhandel bestellen oder als PDF hier direkt herunterladen (Lizenz: CC BY-NC-SA).

Aus dem Klappentext:

Wie könnte ein neues Wirtschaftssystem aussehen und (in den Worten des Zukunftsforschers Jeremy Rifkin) die ökonomische Weltbühne betreten?

Prinzipien für ein neues Wirtschaftssystem zu (er-)finden ist keine reine Frage der Theorie, denn solche Prinzipien zeichnen sich bereits in den praktischen Ansätzen anderen Wirtschaftens, bei sozialen Bewegungen, in technischen Entwicklungen und nicht zuletzt im Alltag von immer mehr Menschen ab. Wesentlich in all dem ist der Begriff „Commons“. Damit wird Eigentum, das auf Ausschluss beruht, durch Besitz ersetzt: Es zählt, wer etwas tatsächlich braucht und gebraucht. Zudem befreit eine „Ecommony“ (im Wortspiel mit Economy) unsere Lust und unser Bedürfnis, uns in dieser Welt vielfältig zu betätigen. Statt in strukturellem Hass zueinander agieren zu müssen, könnten wir unser Leben an gemeinschaftlicher Fürsorge („Care“) orientieren und als Miteinander gestalten. Friederike Habermanns Buch zeigt Ansätze auf und lädt dazu ein, Kontexte zu begreifen.

From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Adornos Utopie

Wenn man sich nicht ganz bei Adorno verliest, wird man viele Stellen bei dem Verteidiger des Bilderverbots finden, die zu jener Einstellung kaum zu passen scheinen. Jedoch schon in der Minima Moralia spricht er von „Fluchtlinien“ (2003b:180), die benannt werde können. Sein Bilderverbot scheint sich eher auf konkretes „Auspinseln“ zu beziehen, so im Gespräch mit Bloch:

Der folgende Text möchte einige der utopischen Fluchtlinien Adornos untersuchen.

Vorbestimmungen

Die Utopie ist eine der bestimmendsten Denkfiguren Adornos, Bezugspunkt all seines Denkens. Für sie kennt er verschiedene Bestimmungen, sicher ist jedoch, dass der Mangel, die Deprivation der Bedürfnisse überschritten werden muss. Jene Gesellschaft „ist das Interesse aller (und) einzig durch eine sich selbst und jedem Lebenden durchsichtige Solidarität zu verwirklichen“ (2003a:203f). Eine Welt, in der jeder Mensch „ohne Angst verschieden sein“ (2003b) kann und der Mensch mit sich selbst identisch wird.

Freiheit und Notwendigkeit

In einer Welt, in der individuelle Reproduktion repressiv mit gesellschaftlicher Reproduktion kurzgeschlossen ist, scheint Freiheit nur als Einsicht in die Notwendigkeit zu bestehen. Adorno erkennt hierin jedoch einen Fehler der philosophischen Tradition, „(sie) konfundiert (…) im Geist von Unterdrückung, Freiheit und Verantwortung“. Könnte sie diese falsche Identität auflösen, „so ginge diese über in die angstlose, aktive Partizipation jedes Einzelnen: in einem Ganzen, welches die Teilnahme nicht mehr institutionell verhärtet, worin sie aber reale Folgen hätte“ (2003a:261). Damit eine Gesellschaft Bestand hat gibt es Notwendigkeiten, wie Nahrungsproduktion, Kinder, etc., jene Notwendigkeiten sind jedoch auf gesellschaftlicher Ebene angesiedelt. Individuell sind sie nur durchschnittlich zwingend. Es besteht ein individueller Freiheitsraum. Jener muss organisiert, geschaffen und gesichert werden, doch sind gesellschaftliche Notwendigkeiten vereinbar mit individueller Freiheit.

Gesellschaftliche Teilnahme müsste nicht mehr zwanghaft über Geldabhängigkeit und staatliche Gängelung durchgesetzt werden, sondern könnte sich frei entfalten, selbst herstellen. Das Reich der Notwendigkeit könnte im Reich der Freiheit aufgehoben werden, da das weiterhin Notwendige nicht mehr erzwungen werden müsste. „Was gesellschaftlich, bei radikal verkürzter Arbeitszeit, an Arbeitsteilung übrigliebe, verlöre den Schrecken, die Einzelwesen durch und durch zu formen“ (2003a:275).

Jenseits von Fülle und Mangel

Die Utopie Adornos kennt keinen Mangel mehr, sie ist eine Gesellschaft unter „Bedingungen entfesselter Güterfülle“ (2003a:218), „eine Menschheit, welche Not nicht mehr kennt“ (2003a:179). Jedoch ist eben jene Erfüllung als Bestimmung unzureichend, sogar falsch. Adorno wendet sich gegen „Vorstellung vom fessellosen Tun, dem ununterbrochen Zeugen, der pausbäckigen Unersättlichkeit, der Freiheit als Hochbetrieb“ (2003b:178). Der Kommunismus kann nichts von der Betriebsamkeit der sozialistischen Produktionsdisziplin haben. Jener Absage an die „blinde Wut des Machens“ (2003b:178) gesellt sich noch eine andere Absage hinzu, jene an die immerwährende steigende Fülle des Lebens. Hier wendet sich Adorno auch gegen Vorstellungen von Reichtum als ständig fortschreitende Differenzierung und Entfaltung von Bedürfnissen:

„Die Idee einer Fülle des Lebens, auch die, welche die sozialistische Konzeptionen den Menschen verheißen, ist darum nicht die Utopie, als welche sie sich verkennt, weil jene Fülle nicht getrennt werden kann von der Gier, von dem, was der Jugendstil Ausleben nannte, einem Verlangen, das Gewalttat und Unterjochung in sich hat. Ist keine Hoffnung ohne Stillung der Begierde, dann ist diese wiederum eingespannt in den verruchten Zusammenhang des Gleich und Gleich, eben des Hoffnungslosen. Keine Fülle ohne Kraftmeierei.“ (2003a:371)

Jener Fülle, Abwesenheit von Mangel, Bedingung von Befreiung, wird eine Absage erteilt. Ziel ist nicht immer mehr Fülle und Reichtum, dieser reproduziert nur wieder die Not (vgl. 2003b:179), denn mit steigender Fülle steigen auch die Wünsche des Menschen – ein ewiger Kreislauf des Wollens. Es geht um die Befreiung von den Bedürfnissen, dem ewigen Wollen, nicht aber durch deren Abwertung, sondern deren endgültige Stillung:

„Fluchtpunkt des Materialismus wäre seine eigene Aufhebung, die Befreiung des Geistes vom Primat der materiellen Bedürfnisse im Stand ihrer Erfüllung. Erst dem gestillten leibhaften Drang versöhnte sich der Geist (…)“ (2003a:207)

Adornos Kritik und Vorhaben ist zuzustimmen, jedoch vermag er aufgrund seiner psychoanalytischen Konzeption die Versöhnung nicht zu greifen. In der Psychoanalyse ist der Mensch zuallererst ein ungesellschaftliches Wesen, welchem die Gesellschaft als Herrschaftsinstanz – gleichzeitig einzige Überlebensmöglichkeit – gegenübertritt. Jene Herrschaft wird durch Sublimierung der Triebe administriert, abgemildert. Somit ist auch Herrschaftsfreiheit nur durch weitere Triebsublimierung, Triebdifferenzierung, ewiges (neues) Wollen zu denken.

Dies erkennt Adorno als falsch, kann der Konsequenz im psychoanalytischen Theorierahmen jedoch nicht entkommen, so bleibt seine Aussage bloß Appell, leere Hoffnung. Nun ist aber der Mensch als gesellschaftliches Wesen geworden, in (gegenseitiger) Abhängigkeit von anderen, seine Natur eine gesellschaftliche. Diese Aussage impliziert keine Harmonisierung – und damit Unterordnung – des besonderen Menschen mit der gesellschaftlichen Allgemeinheit, sondern führt in der Kritischen Psychologie zur Konzeption einer gesellschaftlichen Bedürfnisgrundlage des Menschen: der Mensch möchte seine gesellschaftlichen Bedingungen mitgestalten (produktive Bedürfnisse). Dies bedeutet, dass die Bedürfnisse des Menschen nicht von der Gesellschaft in der er lebt getrennt werden können. Doch wie wir zur Gesellschaft ein bewusstes Verhältnis erringen können, können wir auch zu unseren Bedürfnissen ein bewusstes Verhältnis gewinnen. Sie müssten als Fühlbares, Wahrnehmbares nicht mehr im gegensätzlichen Schema befriedigt/unbefriedigt bleiben, sondern könnten mit Aufwand und Realisationsmöglichkeiten in Verbindung treten. In konkreten gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen können Bedürfnisse formuliert, befragt, präzisiert werden. Sie wären keine biologisierte fremde Macht mehr, sondern unsere eigene Bedürftigkeit wäre eine befragbare Basis unserer gesellschaftlicher Entscheidungen: Wieviel Erdbeeren wollen wir, und wieviel Aufwand ist uns dies wert? Vielleicht ist dies die Versöhnung von Geist und Körper, die Adorno nur metaphysisch-unbestimmt fordern kann.

Tausch und dessen Überwindung

Für mich am seltsamsten klang ein Abschnitt in der Negativen Dialektik der mit „Zur Dialektik von Identität“ überschrieben war und wohl die Grundlage darstellt warum manche Adornit*innen weder tausch-, noch geldkritisch sind:

„würde als Ideal verkündet, es solle, zur höheren Ehre des irreduzibel Qualitativen, nicht mehr nach Gleich und Gleich zugehen, so schüfe das Ausreden für den Rückfall ins alte Unrecht. Denn der Äquivalententausch bestand von alters her gerade darin, daß in seinem Namen Ungleiches getauscht, der Mehrwert der Arbeit appropriiert wurde. Annuliert man simpel die Maßkategorie der Vergleichbarkeit, so träten anstelle der Rationalität, die ideologisch zwar, doch auch als Versprechen dem Tauschprinzip innewohnt, unmittelbar Aneignung, Gewalt (…)“ (2003a:150)

Auch an anderen Stellen wird er deutlich:

„Kritik am Tauschprinzip als dem identifizierenden des Denkens will, daß Ideal freien und gerechten Tauschs, bis heute bloß Vorwand, verwirklicht werde. (…) Würde keinem Menschen mehr ein Teil seiner lebendigen Arbeit vorenthalten, so wäre rationale Identität erreicht, und die Gesellschaft wäre über das identifizierende Denken hinaus.“ (2003a:150)

Nun kann das Gesagte auf zwei Arten verstanden werden: Entweder „freier und gerechter Tausch“ ist ein bloß beschreibendes Chararkeristikum des Kommunismus, oder aber Adorno vertritt die These, eine befreite Gesellschaft bedarf des „verwirklichten“ Prinzip des Tausches als gesellschaftliches Organisationsprinzip. Meines Wissens nach gibt es bei Adorno sonst keine so klaren Stellen zum Tausch, somit ist diese Frage schwer zu klären. Wäre das erstere gemeint, dann wären diese Aussagen eine Bestimmung des Kommunismus, beispielsweise in der Hinsicht, dass niemand zurückstecken muss für ein allgemeines Ziel, dass sich über die individuellen Bedürfnisse der Menschen stellt. Kein Arbeiten für die Partei o.ä. Es wäre die Verteidigung der Freiheit und der Wahl des Einzelnen. Jedoch stellt sich hier die Frage weshalb jemand Angst haben müsste, dass ihm*ihr ein Teil der verausgabten lebendigen Arbeit vorenthalten würde, wenn wir von einer Gesellschaft der erfüllten materiellen Bedürfnisse sprechen.

Wenn nun jedoch der Tausch das gesellschaftliche Organisationsproblem werden soll, stellen sich schwere Fragen. Adornos Einstellung zur Klassentheorie war nie ganz klar, hier jedoch würde der Kapitalismus zur Ausbeutungsproblematik redigieren. Allein die Aneignung des Mehrwert scheint das Problem der verallgemeinerten Tauschwirtschaft. Er behauptet die Herrschaft wäre mit dem Ende der Ausbeutung abgeschafft. Jedoch führt Tausch zu Konkurrenz und Konkurrenz zu Profitzwang und jener zum Zwang der Ausbeutung. Verallgemeinerter Tausch setzt alle Produzent*innen in Konkurrenz, sie können ihre Sicherheit nur gegen andere durchsetzen, Profit bleibt die einzige Wahl Sicherheit in Zukunft zu erhalten. Um Profit zu gewinnen, muss das “Ideal freien und gerechten Tausches” verletzt werden, nicht sporadisch durch Betrug, sondern strukturiert durch Aneignung des Mehrprodukts der Lohnarbeit. Das Ende der Ausbeutung wäre unvereinbar mit dem Fortleben des Tauschprinzips. Zusätzlich wird mit der Beibehaltung der Tauschabstraktion die gesamte Fetischkritik, die  Verselbständigung der Verhältnisse, ausgelassen, die eben aus jener apersonalen Tauschvergesellschaftung entspringt. Keine Befreiung mit dem Organisationsprinzip Tausch.

Quellenverzeichnis

Theodor W. Adorno, 2003a: Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit, Gesammelte Schriften 6, Frankfurt/M.
Theodor W. Adorno, 2003b: Minima Moralia, Gesammelte Schriften 4, Frankfurt/M.

From: keimform.deBy: Simon SutterComments

5th International Degrowth Conference and Money



Hope to see you at the 5th International Degrowth Conference in Budapest 30 August–3 September where I will join with Francois Schneider and others for a Special Session on Housing and Degrowth, with a proposal for us to edit a book on the topic. I went to the degrowth conference in Montreal in 2012 and it was great so I am really looking forward to this one. More particularly for this blog, I will present a paper on the case for a non-monetary future. I've posted the accepted abstract below.

Non-Monetary Degrowth is Strategically Significant
(Conference theme: The un-common sense)

Even for many radical adherents of degrowth, money is a common-sense — not simply capitalist — tool, so alternative currencies and banks abound. This paper argues against this common-sense logic, as follows. The most direct and efficient form of degrowth requires as-local-as-is-feasible production focusing on people’s basic needs, implying that future distribution is decided simultaneously with collectively agreeing on productive goals and ways of achieving them. Say, each person contributes a number of hours to collective production as a community obligation and, in return, has their basic needs met. Decision-making focuses on bio-physical, environmental and social measures and values; complex bio-physical and social efficiency is paramount in limiting throughput in production and associated exchanges. As a result, money has no place in degrowth, where grassroots political decision-making replaces production for trade and market exchanges. Similarly, so-called ‘alternative’ currencies that serve functions of legal tender or the ‘universal equivalent’ on which capitalism depends, are redundant. In non-monetary degrowth, reward for work is the security of having life-long basic needs met with continuous input in making decisions on both local production and the terms of exchange (compacts) with as-local-as-feasible neighbour-producers. There is personal, but no private, property: the entire Earth is commons with clear, efficient and universal principles and terms for commoning. Such a vision suggests that advancing specifically non-monetary degrowth — consciously breaking with monetary production and exchange — is of crucial strategic significance.

Die Arbeit und der fiktive Tropf

Titelbild der Krisis-Ausgabe (zum Vergrößern klicken)Norbert Trenkle hat für die (nur noch digital erscheinende) Krisis einen Antwortartikel auf meine Untersuchung Geht dem Kapitalismus die Arbeit aus? (1, 2) geschrieben: Die Arbeit hängt am Tropf des fiktiven Kapitals.

In meinen Artikel hatte ich vorsichtig geschlossen, dass „Lohoff und Trenkle […] im Vergleich zur von Heinrich (2007) postulierten tendenziell unendlichen Ausdehnungsfähigkeit des Kapitalismus […] der Wahrheit näher zu kommen“ scheinen. Dieses abwägende Fazit befriedigt Trenkle nicht – er argumentiert, dass die Zahlen eine deutlichere Sprache sprechen. Dafür führt er im Wesentlichen zwei Argumente an, von denen mir das eine mehr, das andere weniger einleuchtet.

Induzierte Wertproduktion?

Weniger einleuchtend finde ich das Konzept der „induzierten Wertproduktion“, dem zufolge ein immer größerer Teil der Warenproduktion ohne die Akkumulation von fiktivem Kapital nicht möglich wäre. Dazu rechnet Trenkle kreditfinanzierten privaten und staatlichen Konsum, Investitionen und Infrastrukturmaßnahmen, die durch den „Verkauf von Eigentumstiteln (wie Anleihen und Aktien)“ ermöglicht werden, sowie Investitionen im Bausektor, sofern diese durch „Immobilienspekulation“, d.h. durch Hoffnung auf künftige Preissteigerungen, ermöglicht werden.

Trenkle betrachtet dies als „induzierte Wertproduktion“ (13), die vom fiktiven Kapital abhängig ist. Hätte die private Konsumentin nicht einen Kredit aufnehmen oder ihre Kreditkarte belasten können, dann hätte sie sich den neuen Fernseher nicht leisten können und die Realwirtschaft wäre etwas weniger stark gewachsen bzw. etwas stärker geschrumpft. Die Konsumentin ist damit allerdings auch eine Verpflichtung eingegangen, da sie den Kredit später (mit Zinsen) zurückzahlen muss. Gelingt ihr das nicht (sie könnte Privatbankrott anmelden oder unverschämter Weise einfach sterben), ist der Kredit geplatzt und die Verwertung des fiktiven Kapitals an einer kleinen Stelle ins Stocken geraten. Den Hersteller des Fernsehers schert das allerdings nicht, er hat sein Geschäft gemacht. Schon deshalb ist nicht einzusehen, warum die „induzierte Wertproduktion“ nicht „zählen“ sollte, wenn es darum geht, ob bzw. wie stark die Realwirtschaft wächst oder schrumpft – was Trenkle unterstellt, aber nicht wirklich begründet.

Ein Problem für die Realwirtschaft würde nur dann entstehen, wenn das fiktive Kapital eines Tages komplett verschwinden würde und wenn darüber hinaus auch die Zentralbanken (die Kredit aus dem Nichts erschaffen können), die Kreditvergabe verweigern würden statt als „lender of last resort“ zu fungieren. Dann könnte sich niemand mehr verschulden und kreditfinanzierte Käufe wären nicht mehr möglich, was tatsächlich zu einer massiven Absatzkrise und einem Einbruch der Realwirtschaft führen würde.

Aber ist das ein realistisches Szenario? Ich habe meine Zweifel, zumal Trenkle selbst mit eindrucksvollen Zahlen über das gigantische Wachstum des fiktiven Kapitals aufwartet – Kapitalmarktwaren inklusive Derivaten betragen inzwischen das Zwölffache des Bruttoweltprodukts, während sie noch 1980 nur geringfügig über dem Bruttoweltprodukt lagen (15). Dass sich die Besitzer aller dieser virtuellen Reichtümer entschließen könnten, sie den Finanzmärkten zu entziehen und stattdessen in „reale“ Güter (etwa Gold) umzutauschen, scheint schon deshalb ausgeschlossen, weil schlichtweg nicht genug „reale“ Güter zu finden wären.

Warum die Ausgabe von Anleihen und Aktien durch Firmen auf eine krisenhafte Entwicklung hindeuten sollte, ist noch weniger einzusehen. Vielmehr handelt es sich um einen ganz normalen und schon ziemlich alten Aspekt des Kapitalismus – Firmen greifen auf Fremdkapital zurück, um stärker wachsen zu können und ihre Eigenkapitalrendite zu verbessern. Nehmen wir an, eine Firma macht einen Profit von sechs Prozent auf das eingesetzte Kapital und leiht sich (ob durch Kreditaufnahme oder Ausgabe von Anleihen) ebenso viel Kapital/Geld, wie sie an Eigenkapital schon hat, zu einem Zinssatz von drei Prozent. Dann verbleiben die restlichen drei Prozent als zusätzlicher Gewinn bei den Eigentümern der Firma, die ihre Eigenkapitalrendite so von sechs auf neun Prozent gesteigert hat. Aber auch die Kreditgeber/Anleihenkäuferinnen profitieren, denn sie haben ja den vereinbarten Zins erhalten und so ihr Geld vermehrt.

Die Ausgabe von Aktien ist etwas anders zu analysieren, deutet aber ebenfalls nicht auf ein „Problem“ für den Kapitalismus hin. Aktien sind kein Fremdkapital, sondern die Aktionäre werden selbst zu Miteigentümern der Firma – sie dürfen abstimmen, wenn es um wesentliche strategische Entscheidungen geht, und werden in Form von Dividenden an Gewinnen beteiligt. Da Aktien im Regelfall an der Börse gehandelt werden, steigt und fällt ihr Preis in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Entwicklung der Firma. Dabei spielt nicht nur die aktuelle Situation, sondern auch die Erwartung der Marktteilnehmerinnen in Bezug auf künftige Entwicklungen eine Rolle. Aktienmärkte bringen also ein zusätzliches spekulatives Element in den Kapitalismus, aber letzten Endes ist alle kapitalistische Produktion spekulativ. Warum es für die Analyse der Realwirtschaft von Bedeutung sein sollte, ob eine Firma an der Börse gehandelt wird oder nicht, ist nicht einzusehen.

Ebenso wenig leuchtet mir ein, inwiefern die „Immobilienspekulation“ auf die gesamtwirtschaftlich produzierte Wertmasse einen nennenswerten Einfluss haben sollte. Sie hat sicherlich einen Einfluss auf die Preise, da Immobilienkäuferinnen in Erwartungen künftiger Preissteigerungen bereit sind, mehr zu zahlen als das sonst der Fall wäre. Spekulativer Leerstand von Neubauten dürfte jedoch die absolute Ausnahme sein – Gebäude werden nicht nur in der Hoffnung auf künftige Preissteigerungen gebaut, sondern sie werden auch unmittelbar vermietet oder von den Käufern selbst genutzt. Das würde auch ohne die Hoffnung auf künftige Preissteigerungen passieren, wenn auch vielleicht zu niedrigeren Verkaufspreisen. Für die Wertanalyse kommt es auf solche Preisschwankungen aber nicht an.

Lebt der Kapitalismus über seine Verhältnisse?

Unterschwellig scheint mir dem Konzept der „induzierten Wertproduktion“ die Idee der „schwäbischen Hausfrau“ zugrunde zu liegen, die nur ausgibt, was sie zuvor redlich verdient hat. Der Kapitalismus würde gemäß dieser von Trenkle allerdings nicht offen geäußerten Argumentationslinie zunehmend „über seine Verhältnisse leben“, weil sich die Käuferinnen mehr und mehr verschulden müssen und sich die gekauften Waren „eigentlich“ gar nicht leisten könnten.

Dazu nennt Trenkle eindrucksvolle Zahlen, so hat sich die private Verschuldung in den USA seit 1980 mehr als verdoppelt, von 150 auf 350 Prozent des Bruttonationaleinkommens (19). Und auch die weltweite Staatsverschuldung ist bekanntlich gerade seit der Krise von 2008 stark gestiegen. Die durch solchen schuldenfinanzierten Konsum ermöglichte Produktion sieht er als „Vorgriff auf zukünftigen Wert“ (9), der aber aufgrund der mutmaßlich schrumpfenden Wertmasse gar nicht mehr produziert werden könne. Aber ist dem so?

Tatsächlich ist ein Kredit eine Verpflichtung der Schuldnerin, diesen zu gegebener Zeit (mit Zinsen) zurückzuzahlen. Private Schuldner, die praktisch nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft Geld verdienen können, müssen also entweder ihren künftigen Lebensstandard einschränken oder in Zukunft noch härter arbeiten, um die Schulden zurückzahlen zu können. Wertproduktion ist dafür aber nicht unbedingt vonnöten – wer etwa als Staatsangestellte oder private Reinigungskraft arbeitet, produziert keinen Wert, verdient aber trotzdem Geld, das zur Schuldentilgung verwendet werden kann.

Private Verschuldung ist also ein Mittel, den Ausbeutungsgrad im Kapitalismus zu erhöhen, sie bewirkt eine zusätzliche Umverteilung von unten (den Arbeitenden) nach oben (den Kapitaleignern). Sie verschärft auch den Konkurrenzkampf um Arbeitsplätze und drückt so tendenziell das Lohnniveau. Tatsächlich dürfte es kein Zufall sein, dass die stark gestiegene private Verschuldung in den letzten 30 Jahren mit stagnierenden oder sinkenden Reallöhnen einherging.

Steigende Staatsverschuldung hat einen ähnlichen Effekt. Anders als private Schuldner zahlen Staaten ihre Schulden allerdings typischerweise niemals zurück, sondern lösen alte Kredite durch neue ab. Gleichzeitig müssen sie bei steigender Verschuldung (und gleichbleibenden Zinssätzen) jedoch einen immer größeren Teil der Steuereinnahmen für Zinszahlungen ausgeben. Würden nur Kapitalgewinne besteuert, wäre für das Gesamtkapital nichts gewonnen – was der einen Kapitalistin in Form von Zinsen gezahlt wird, würde der anderen in Form von Steuern genommen.

Tatsächlich werden Kapitalerträge und Vermögen in den modernen, um Kapital konkurrierenden Staaten aber nur gering bis gar nicht besteuert. Der Großteil der Steuereinnahmen stammt aus Steuern auf Löhne und Konsum, wird also nicht von den Kapitalisten, sondern von der arbeitenden oder nichtarbeitenden Bevölkerung gezahlt. Gleichzeitig reagieren die Staaten auf steigende Verschuldung mit einer Kürzung ihrer Ausgaben etwa für Gesundheitswesen, Bildung, Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie öffentliche Infrastruktur wie Schwimmbäder, wodurch wiederum der Lebensstandard der Bevölkerung und insbesondere der prekär Lebenden sinkt. Auch steigende Staatsverschuldung verschärft also die Umverteilung von der Masse der Bevölkerung zu den wohlhabenden Gläubigern.

Dass der Kapitalismus über seine Verhältnisse lebt, lässt sich also nicht sagen. Stattdessen hat er sich neue Wege zur verschärften Ausbeutung und Umverteilung von unten nach oben erschlossen.

Weltweit unterschiedliche Produktivitätsniveaus

Einleuchtender finde ich den Einwand, dass die weltweiten Unterschiede im Produktivitätsniveau womöglich größer sein könnten als von mir geschätzt. Ich hatte die chinesische Produktivität auf 80 Prozent westlicher Länder geschätzt; Trenkle führt hingegen Argumente dafür an, dass sie in der Industrie nur 10 bis 30 Prozent der deutschen Produktivität entspricht und in der Landwirtschaft sogar unter 10 Prozent (30f.).

Meine Schätzungen basierten auf der Position eines Landes im Human Development Index, der das Bruttonationaleinkommen pro Kopf, die durchschnittliche Ausbildungsdauer und die Lebenserwartung berücksichtigt. Unplausibel finde ich diese Indikatoren nicht – das Bruttonationaleinkommen pro Kopf zeigt ungefähr, wie gut ein Land in der kapitalistischen Staatenkonkurrenz mithalten kann und besser ausgebildete Arbeitskräfte ermöglichen eine höhere Produktivität.

Zugegebenermaßen willkürlich (was ich im Text auch vermerkt hatte) war hingegen meine Entscheidung, die Produktivität eines Lands auf 100, 80, 60 bzw. 40 Prozent zu schätzen, je nachdem in welchem Quartil (Viertel) des HDI es zu finden ist. Und die gewählten Faktoren wirken sich in der Tat spürbar auf die Ergebnisse aus. Nehmen wir etwa an, dass die Produktivität pro Quartil nicht nur um 20 Prozent fällt, sondern sich halbiert – also 100, 50, 25, 12 Prozent statt der oben genannten Faktoren. Dann ist die gewichtete Zahl der produktiven Arbeitskräfte nur noch um 9,0 Prozent gestiegen (statt 15,3 Prozent), die der Arbeitsstunden um 5,0 Prozent (statt 11,6 Prozent). Für einen Zeitraum von 30 Jahren ist das schon eine äußerst bescheidene Entwicklung, die nah am Nullwachstum entlang schrammt (die jährliche Steigerung der Arbeitskräfte beträgt knapp 3 Promille, der Arbeitsstunden 1,6 Promille).

Allerdings sind auch diese Faktoren willkürlich und ergeben für das wirtschaftlich sehr bedeutende China (im 2. Quartil des HDI) eine Produktivität von 50 Prozent, was deutlich über den von Trenkle angeführten Schätzungen liegt. Kann man Faktoren bestimmen, die nicht rein willkürlich sind?

Zuverlässige Produktivitätsschätzungen für alle untersuchten Ländern dürften kaum aufzutreiben sein, zumal sie auch noch über die unterschiedlichen Wirtschaftssektoren gemittelt werden müssten. Zumindest als Indikator könnte aber die durchschnittliche Lohnhöhe dienen, da sie andeutet, unter welchen Umständen eine Standortverlagerung in ein anderes Land für Unternehmen Sinn macht. Beträgt die durchschnittliche Lohnhöhe im Zielland ein Drittel, dann kann eine Firma fast dreimal so viel Personal beschäftigen und die Verlagerung rentiert sich immer noch (sofern man davon ausgeht, dass die erhöhten Transportkosten relativ zu den Herstellungskosten nur wenig ins Gewicht fallen). Die relative Produktivität im Zielland muss also mindestens so hoch sein wie das relative Lohnniveau.

Allerdings kenne ich auch keine umfassenden Statistiken zum Lohnniveau in verschiedenen Ländern – die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), deren Zahlenmaterial ich verwendet habe, führt zwar eine entsprechende Statistik, die jedoch für zu wenige Länder vorliegt, um verwendbar zu sein. Genaue Statistiken gibt es jedoch für das in jedem Land erwirtschaftetete Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Zwischen dem Pro-Kopf-BIP und der Lohnhöhe dürfte es zumindest eine lose Korrelation geben, da ein Großteil der umgesetzten Waren von der arbeitenden oder nicht (mehr) arbeitenden Bevölkerung erworben wird, die dafür ihre Löhne (oder aus Lohnnebenkosten finanzierte Leistungen wie Renten und Arbeitslosengeld) eingesetzt.

Eine mutmaßliche Korrelation zwischen Arbeitsproduktivität und Pro-Kopf-BIP geht also um zwei Ecken und dürfte entsprechend unscharf ausfallen. Als grobe Annäherung in Abwesenheit besserer Statistiken habe ich dennoch eine entsprechende Berechnung durchgeführt.

Dafür habe ich die Pro-Kopf-BIPs der 40 von mir untersuchten Länder (Liste der Weltbank für 2014) zugrunde gelegt. Die Arbeitsproduktivität der zehn Länder mit dem größten BIP (Norwegen, Schweiz, Australien, Dänemark, Schweden, Singapur, USA, Niederlande, Österreich, Kanada) habe ich dabei jeweils auf 100 Prozent geschätzt. Von diesen zehn Länder hat Kanada das niedrigste Pro-Kopf-BIP (50.271 USD). Relativ zu diesem habe ich die Arbeitsproduktivität der anderen Länder geschätzt. Für das an elfter Stelle folgende Deutschland (47.627 USD) beträgt sie damit 94,7 Prozent, für das an letzter Stelle stehende Indien (1.582 USD) 3,1 Prozent. Für China ergibt sich eine Produktivität von 15,1 Prozent, was in den von Trenkle ermittelten Schätzbereich fällt.

Legt man diese stärkere Spreizung der weltweiten Produktivitätsniveaus zugrunde, dann ist die Zahl der entsprechend gewichteten produktiven Arbeitskräfte im untersuchten Zeitraum nicht gewachsen, sondern um 2,0 Prozent geschrumpft. Bezogen auf produktive Arbeitsstunden ergibt sich ein noch stärkerer Rückgang um 6,3 Prozent.

Die Frage der unterschiedlichen Produktivität in verschiedenen Weltregionen hat also in der Tat einen starken Einfluss auf das Ergebnis und kann den Unterschied zwischen einem geringen Wachstum oder einer leichten Schrumpfung machen. Eine sorgfältige Untersuchung dieser Frage könnte sich daher lohnen. Aber in jedem Fall ergibt sich aus dem Zahlenmaterial, dass von einem weltweit „brummenden“ und unbekümmert wachsenden Kapitalismus nicht die Rede sein kann.

From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Money versus basic needs for people and planet

It only takes two minutes to watch this ripper of an animated story on 'sustainable development' — a euphemism for capitalism as we know it. It shows a world without money is preferable to one where people's minds and behaviour have been — as if by religious forces — monetised  —

http://www.survivalinternational.org/films/there-you-go

Radical analyst Max Haiven

The first post for 2016, which has started in a work hole that I have only just crawled out of — still two books now in the production stage for publication mid-2016 and late 2016 so not in vain.

Anyway, the reason for this post is to report a meeting with radical analyst Max Haiven, who writes on art and money and financialisation, and has been in my work town of Melbourne — read more here:

http://maxhaiven.com/

And, specifically:

http://maxhaiven.com/2016/01/21/melbourne-and-cambridge/

http://moneyandart.tumblr.com/

UTOPIKON – Wege in eine geldfreiere Gesellschaft

Kaufst du noch oder teilst du schon?„Wie stellen wir uns eine zukunftsfähige Wirtschaft von morgen vor?“

Die Utopie-Ökonomie-Konferenz UTOPIKON
Wege und Herausforderungen in eine geldfreiere Gesellschaft

Neben dem dritten Mitmachkongress utopival gibt es in diesem Jahr zum ersten Mal auch die Utopie-Ökonomie-Konferenz UTOPIKON. 300 Menschen werden sich am 05. November 2016 in der Forum Factory in Berlin inspiriert von fünf Keynotes in 20 Workshops und einem anregenden Rahmenprogramm zu der Frage nach einer zukunftsfähigen Wirtschaft austauschen.

Die Referent*innenliste verspricht einen spannenden Tag, denn zugesagt haben bereits Silke Helfrich, Niko Paech, Friederike Habermann, Uwe Lübbermann, Hanna Poddig, Gerrit von Jorck, Christian Siefkes und viele weitere.

‚Ökonomie‘ kommt von ‚Oikos‘ – Hausgemeinschaft, die Teilhabe aller. Die aktuelle wirtschaftliche Situation lässt jedoch nicht teilhaben, sie separiert eher.

„Wie können wir solidarisch wirtschaften? Wie sehen Alternativen für eine zukunftsfähige Ökonomie aus? Wie möchten wir leben? Welche Wege führen zu einer geldfreieren Gesellschaft und welche Herausforderungen stehen dem entgehen?“ Diese Fragen treiben mich als einen der Initiator*innen der Konferenz um.

Die UTOPIKON möchte dabei Alternativen aufzeigen, Inspiration geben und Austausch ermöglichen.

Die Utopie-Ökonomie-Konferenz wird vom Projekt- und Aktionsnetzwerk living utopia verwirklicht. Die Besonderheit daran: Die UTOPIKON wird wie alle Aktivitäten vom Netzwerk nicht nur vegan, ökologisch und solidarisch gestaltet, sondern vor allem auch geldfrei. „Kein Cent fließt direkt. Die UTOPIKON lebt von der Solidarität und dem Tatendrang aller Mitwirkenden“, sagt Mitorganisatorin Pia Damm. Ein Prinzip fern von Leistung und Gegenleistung, das von der Referent*innentätigkeit über das Konferenzzentrum bis hin zum Essen greift. Damit ist die UTOPIKON selbst ein gesellschaftliches Experiment, mit welchem andere Formen des Wirtschaftens – außerhalb von Tausch- und Verwertungslogik – lebendig und erlebbar werden.

Mehr Infos gibt es unter: UTOPIKON.de oder auch livingutopia.org

From: keimform.deBy: Tobi RosswogComments

Entstehung und Überwindung des Geldes

Fabian Scheidler und ich haben beim Stuttgart Open Fair Forum 2016 einen Kombi-Vortrag gehalten zur Entstehung und Überwindung des Geldes. Da Fabian erkrankt war, konnten wir ihn nur per Skype zuschalten. Hier Audio-Aufzeichnung von Fabian (OGG, MP3) sowie Folien (ODP, PDF) und Audio-Aufzeichnung (OGG, MP3) meines Beitrag (jeweils ohne Diskussion).

Teil 1 (Fabian Scheidler):

Teil 2 (Stefan Meretz):

 

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

nk und die Rettung der Welt

Versuch einer poststrukturalistischen Polemik
– ein Appell –

[alle Texte der Broschüre „ich tausch nicht mehr – ich will mein Leben zurück“]Cover der Broschüre "ich tausch nicht mehr - ich will mein Leben zurück"

PROLOG: In den Wald hinein rufen

Ich habe noch nie erlebt, dass es so aus einem Wald herausschallte wie ich hineinrief. Für gewöhnlich kommt aus dem Wald immer dasselbe zu Brei gemischte Brummen. Also gilt das zugrunde liegende Sprichwort[1] nur, wenn es als Imperativ angewendet wird: Rufe so (und nur so) in den Wald, wie es ohnehin schon herausschalllt.

Jetzt will ich zwei ein bisschen widersprüchliche Dinge behaupten: Erstens ist es dann ziemlich ungefährlich, also irgendwie egal, anders zu rufen (es kommt ja doch im Mittel das Mittel heraus); und zweitens ist es ziemlich wichtig, individuell abzuweichen, bestenfalls: wenn Alle anders rufen.

Den Wald fand ich als Kind übrigens gar nicht immer schön: Monokulturen von geradstämmigen Kiefern, aus denen schon aufgrund dem der Pflanzung zugrunde liegenden, quadratischen Punktraster nur ganz bestimmte Brummgeräusche zurückkommen konnten. Es wird also auch ein bisschen darum gehen, wie der Wald überhaupt so aussieht.

PRÄAMBEL die Weißheit mit Löffeln…

Der Text ist als Polemik gemeint. Also werde ich die ganze Zeit mit großen Worten um mich schmeißen (Herrschaft, Gesellschaft, Welt, Kapitalismus, . . .) ohne sie irgendwie zu definieren. Darüber hinaus ist es nur ein sehr kleiner Blick und als Beispiel kommt so richtig nur Kapitalismus als Herrschaftsstruktur vor. Das ist eigentlich viel zu verkürzt und lässt die Verwobenheit verschiedener Herrschaftsmomente ziemlich außer Acht. Ich selbst bin männlich, weiß, aus wohlhabenden Verhältnissen, wohne in Gebieten mit guter Netzabdeckung und schreibe alles in allem aus einer Perspektive, in der der Fokus auf dem Identifizieren und Abgeben von Privilegien liegt.

Ich weiß nicht, ob die Argumentation gut ist und möchte sie gerne diskutieren.

EINLEITUNG vom Richtigen im Falschen[2]

Warum und was überhaupt: die Welt retten? Nun ja, sie ist schlecht, jedenfalls könnte sie besser sein. Und zwar vor allem dort, wo Herrschaftsstrukturen irgendwelcher Arten dominant sind. Bei der Rettung der Welt geht es (mir) also vor allem darum: das Bekämpfen oder Überflüssigmachen solcher.

In diesem Text geht es um meinen Masterplan, wie das anzustellen ist. In Kürze alles vorweg, nämlich so: Es kann keinen Masterplan geben. Es kann keine Insel vorweggenommener Richtigkeit in dieser Falschheit geben (da halte ich es mit Adorno). Vielmehr gilt es, immer und immer wachsam zu bleiben für die Wege, auf denen Herrschaft sichtbar wird und da einzugreifen, wo sie (re)produziert wird. In nicht-geradliniger Bewegung, durch vieles Anderssein und enthaltene kommunikative Akte kann Welt so immer besser werden; jedenfalls nenne ich das so. Der ganze Rest dieses Textes dreht sich nur noch um einen, wie ich glaube, sehr zentralen Aspekt von Herrschaft: deren Reproduktion durch Normalität und deren Performance[3] beziehungsweise Sichtbarkeit.

Ich will speziell aus dieser Sicht versuchen, nk-Projekte als konkrete Handlungsstrategie zur Bekämpfung von Herrschaftsstrukturen darzustellen.

Ich will speziell aus dieser Sicht versuchen, nk-Projekte als konkrete Handlungsstrategie zur Bekämpfung von Herrschaftsstrukturen darzustellen. Damit will ich Fragen nach der politischen Relevanz von nk-Projekten begegnen und dafür werben, sie als einen Weg anzusehen.

ERSTER TEIL Smartphone

Neulich erzählte mir ein Freund von einem Smartphone, das er geschenkt bekommen könne. Keine Nachteile. Er habe ohnehin einen Handyvertrag mit enthaltenem Datenvolumen, sodass auch während der Nutzung keine Kosten anfielen. Knorzig, alt und konservativ kam ich mir vor, als ich mich bei meiner Skepsis ertappte: Tu‘s nicht (er tat‘s natürlich dennoch).

Tage später, als ich eine Freundin fragte, was ich tun müsse, um eine Nachricht von ihrem Smartphone zu schreiben, hatte ich zum Glück schon nachgedacht. Ihren spontanen Ausruf: „Ach Opi, gib schon her, was soll ich schreiben?“ konnte ich jetzt einordnen.

Das ungute Gefühl, das sich in mir beim Anblick all dieser Smartphone-wischenden Menschen ausbreitet, kann ich jetzt erklären. Und zwar: Diese kleinen Technikmonster reproduzieren Herrschaftsstrukturen! Deren allgegenwärtige Nutzung ist Teil einer bestimmten Performance. Durch diese Sichtbarkeit wird eine Normalität konstruiert, die bestimmte Herrschaftsstrukturen reproduziert.

Und zwar: Diese kleinen Technikmonster reproduzieren Herrschaftsstrukturen!

Mensch, wie ich diese Muster satt habe! Jahre zuvor waren es die Handys, deren Massenverbreitung ich irgendwie eher zufällig verpasst hatte. Und auf einmal sah ich mich einer veränderten Kommunikationskultur gegenüber. Natürlich kam ich mir ausgeschlossen vor: Denn das hatte mich ja keinmensch gefragt! Diese Formen kollektiv akzeptierten Verhaltens waren einfach plötzlich da; schlimmer noch, sah ich das zunächst gar nicht als Problem, weil es ja doch immer nur ganz nachvollziehbare vermeintlich persönlich-individuelle Bedürfnisse gab. Nach Erreichbarkeit und so. Und natürlich hab ich jetzt auch eins, und benutze es, und bin sichtbar damit und ja, konstruiere mit an dem, was längst Normalität geworden ist. Gehst du etwa nicht mit der Zeit? Als Teil der herrschenden Norm spreche ich jedes Mal im Namen des Kapitalismus, wenn ich mein Klapphandy aufklappe: „Konsumiere auch du!“.

Ich will an dieser Stelle nicht auch noch über Herstellungsbedingungen und Ausbeutungsverhältnisse im Zusammenhang von Hightech-Produkten klagen. Klar, der Kapitalismus wird sich seine Wohlstandsgefälle immer wieder neu organisieren, um Bedürfnisse zu erfinden, die er dann zu befriedigen weiß. Und dann kommen bestimmt wieder moralische Gründe in Mode. Zum Beispiel der, jetzt nur noch die viel teureren (und damit neue Ausschlüsse hervorrufenden) „fairen“ Telefone zu kaufen, die, wenn sie fair wären, denen, die sie produzieren, ermöglichen würden, selbst welche zu benutzen. Das ist natürlich nicht so. Mein Punkt ist an dieser Stelle auch nicht so sehr, linke Technikverliebtheit für die digitale Weltrevolution zu kritisieren.

Nein, ich rege mich einfach auf, wie verdammt schnell diese vermeintlich kleinen Schritte Normalität konstruieren…

Nein, ich rege mich einfach auf, wie verdammt schnell diese vermeintlich kleinen Schritte Normalität konstruieren und dabei normativ, also herrschaftsförmig, auf gesellschaftliche Strukturen wirken. Und auf die Individuen natürlich, die dann sehr echte Bedürfnisse nach Vernetzung und Up-to-date-sein befriedigen wollen. Nun mögen die individuellen Bedürfnisse unangetastet echt sein[4] – aber dahinter steckt doch ein komplexes Herrschaftssystem mit kapitalistischer Wertschöpfungslogik, neokolonialer Ausbeutung, klassistischer Konstruktion von Differenz[5], patriarchaler Setzung von relevanten Themen, und so weiter[6] . . . !

Die beiden Anekdoten eingangs dieses Abschnitts sollen dabei zweierlei zeigen. Zum einen sind die kapitalistischen Wertmaßstäbe offenbar so normativ, dass sie zunächst als alleinige Entscheidungsgrundlage dienen (wenn mir keine Kosten entstehen, gibt es keine Nachteile). Zum anderen konstruiert die Art, wie über Dinge gesprochen wird, normative Strukturen, wenn zum Beispiel das Attribut „alt“ mit dem Nichtbenutzenkönnen von Smartphones verknüpft wird. Die so konstruierten Strukturen entfalten dann wiederum neue Bewertungskategorien. Es geht hier also insbesondere nicht um Smartphones als etwas Schlechtes. Vielmehr können sie in bestimmten sozialen Umfeldern genau umgekehrt wirken, indem soziale Zugehörigkeit durch so etwas wie sichtbar gemachten (vermeintlichen) „Verzicht“ konstruiert wird. Genau dadurch könnte, sagen wir, eine bildungsbürgerliche Elite eine so konstruierte geistige Überlegenheit zur Schau stellen und damit Herrschaft reproduzieren.

MESOLOG Kühe können schwimmen[7]

Mal gesellschaftlich gesehen: Selbst wenn ein guter „Mittelweg“ wünschenswert sein sollte, also ein bestimmtes Brummen im Wald, ist noch nichts über die individuelle Abweichung davon gesagt. Ein im Mittel 50cm tiefer Teich kann überall 50cm tief sein oder sehr flache und sehr tiefe Stellen aufweisen. Für die enthaltene Wassermenge ist das egal (und für die Überlebenschancen der dorthin geschickten Kühe auch; die können nämlich schwimmen). Wenn alle irgendwie rufen, wird schon das mittlere Brummen herauskommen.

Woher kommt dann dieser Drang zum Einheitlichen? Warum so zurückrufen, wie es ohnehin aus dem Wald hinausschallt? Ist es einfach der geringste Aufwand immer das „Normale“ zu tun — einfach, weil die ganze gesellschaftliche Infrastruktur darauf ausgerichtet ist? Woher „weiß“ mensch überhaupt jeweils, was das „Normale“ ist? Anscheinend gibt es da so eine gesellschaftliche Erzählung vom Guten oder Alternativlosen, aus der die ganzen (naheliegensten) Bewertungskategorien stammen. Ich empfinde das auf eine Weise als ermutigend: Das Scheitern eines Andersverhaltens bedeutet eben deshalb noch nicht dessen Falschsein.

Die Sichtbarkeit eines Andersverhaltens bleibt wohl meistens zunächst mal im Kleinräumigen. Aber ist das schlimm? Ist es nicht vielmehr gar notwendig, weil ein großer Wirkungskreis des eigenen Handelns ja immer auch ferner von denen, die es wahrnehmen, ist? Je ferner aber, umso mehr scheint mir ein inhaltliches Andocken an vieles, was allgemein verstanden, was selbstverständlich, also „normal“ ist, nötig. Umgekehrt ist demnach Nähe nötig, um Raum für die Auseinandersetzungen, Diskussionen und Entwicklungen zu haben, die ein starkes Abweichen vom „Normalen“ braucht, um in seiner Andersartigkeit sichtbar zu werden.

Das soll Mut machen: Messt euren Erfolg nicht daran, wie viele Followers ihr habt!

Das soll Mut machen: Messt euren Erfolg nicht daran, wie viele Followers ihr habt! Je größer der Anspruch, viele Menschen zu „erreichen“, umso weniger tiefgreifend wird die Herrschaftskritik. Als Individuum selbst durchzogen von immer wieder vorgelebten und lange antrainierten normativen Mustern, ist es ja schon eine gewaltige Aufgabe, das eigene Denken und Handeln zu hinterfragen; ja, nur schon dem Selbst gegenüber eine andere Sichtbarkeit zu leben!

Fazit: Es spricht also nichts dagegen, anders zu rufen: Von der Norm abzuweichen. Aber es ist schwer. Und es ist wichtig, viel Abweichlerei zu ertragen; ach, zu betreiben! Um sichtbar nicht herrschenden Normen zu entsprechen. Das ist also auch ein Loblied auf das Öffentliche.

ZWEITER TEIL nk

Ich habe das mit den Smartphones so ausgebreitet, weil ich das Gefühl habe, davon etwas für die eigene widerständige Praxis lernen zu können. Denn das, was die Smartphones können, kann ich auch! Ich vertrete die These, dass die vermeintlich kleine Entscheidung für die (öffentliche) Benutzung eines Smartphones Auswirkungen auf diese Öffentlichkeit hat. Was jene an Sichtbarkeit bezüglich einer kapitalistischen Normalität schaffen, muss doch eine nk-Praxis bezüglich des Gegenteils ebenso können, oder? Darum finde ich es wichtig, eine Kritik an Herrschaftsverhältnissen zu verknüpfen mit einer Praxis. Nicht etwa, um einen Machbarkeitsbeweis anzutreten; nicht um Richtiges im Falschen zu erschaffen; nein, vor allem um trotz all der möglichen Widersprüchlichkeit sichtbar zu sein.

Soweit mein Argument. Ich will es noch ein wenig illustrieren mit ein paar Thesen zu nk. Oder konkret: Warum ist nk eine Praxis, die Welt zu retten?

  1. nk verändert uns und unsere Art zu denken.
  2. nk schafft konkrete Strukturen, die vorbei an herrschender Geldlogik gehen, ja sogar Strukturen, die kollektiv aushandelbar sind und beitragen zu der Möglichkeit, ohne Selbstvermarktung existieren zu können.
  3. nk irritiert, und trägt damit bei zur Sichtbarkeit der Nicht-Allgemeingültigkeit kapitalistischer Logik; oder pointierter: nk führt sie vor, diese herrschende Logik, wenn wir tun, was jene eigentlich verbietet: Produkte ohne Wert[8] schaffen.
  4. nk schafft explizit Raum, um Herrschaftsverhältnisse zu reflektieren (sie also schon mal nicht oder nicht immer als Normalität voraussetzt).
  5. nk schafft Raum, um strukturellen Privilegien entgegenzuwirken. Das soll klein klingen: Natürlich ist der Zugang zu einer nk-Praxis und -Theorie geprägt von Privilegierung9. Idealerweise verstärkt sie solche aber nicht, sondern schafft Strukturen, sie zumindest punktuell eher abzubauen.

EPILOG immer wieder 180 grad

Wir können aus dem Hier und Jetzt heraus einzelne normative Elemente herausgreifen, ihnen eine andere Sichtbarkeit entgegensetzen und damit Herrschaft dekonstruieren. Aber die Strukturen, die wir da schaffen, bergen selbst immer wieder die Gefahr, normativ zu werden, wenn sie das kleinräumige Milieu verlassen, in dem wir sie entstehen lassen. Sei es, weil wir selbst viel zu wenig wissen und selbst als Subjekte dieser herrschaftsförmigen Welt viel zu durchzogen sind von deren Kategorien, um jemals ein fertiges herrschaftsfreies System auch nur zu erdenken. Sei es, weil wir aus unseren verschiedenen privilegierten Positionen heraus bestimmte Sicht- und Handlungsweisen in Bezug auf unsere Vorstellungen nicht kennen (können). Sei es, weil herrschende Strukturen sehr anpassungsfähig sein können und auch unsere Strukturen vereinnahmen könnten10. Deshalb können wir dennoch anfangen, die kleinen Schritte zu gehen! Wir dürfen nur nicht aufhören, immer wieder neu zu hinterfragen, das Anderssein als solches nicht aufzugeben, um flexibel zu bleiben.

Das, was Herrschaft konkret ausmacht, kann sich ständig ändern. Strukturen, die wir heute schaffen, wollen wir morgen vielleicht schon bekämpfen. In diesem Sinne: Widersprüche aushalten!

FUSSNOTE

Die genannten Personen und Dialoge sind frei erfunden.

Die ganze Zitiererei soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich nicht viel Ahnung von den Theorien habe, auf die ich da vermeintlich referiere. Es ist eher ein Spagat — zwischen bloßer Polemik und dem Wunsch, doch auch inhaltlich angreifbar zu sein.

Fußnoten

  • 1. nach dem Sprichwort: „Es schallt so aus dem Wald heraus, wie du hineinrufst“
  • 2. Die Formulierung bezieht sich auf Adornos berühmtes Zitat: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ in Theodor W. Adorno: Minima Moralia (Gesammelte Schriften 4, Frankfurt/M. 1997, Seite 43).
  • 3. Mit Performance meine ich hier das Ausführen von Sprechakten oder auch das Aufführen von Handlungen durch ein Subjekt (wie im Theater); solche Perfomances können dabei selbst als Akte der Verkörperung gesehen werden, das heißt durch sie wird Welt konstruiert. Als sprachtheoretischer Begriff geht er auf John L.
    Austin
    zurück, der als ‚performative Äußerungen‘ Sprechakte bezeichnete, die nicht nur beschreiben, sondern die Welt durch ihr Geäußertsein verändern. Mitunter wird der Begriff ‚Performativität‘ in Abgrenzung dazu verwendet, um insbesondere auch das äußernde beziehungsweise handelnde Subjekt selbst als Teil der durch die Handlung konstruierten Welt zu verstehen.
    Vgl. etwa

    • John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with Words). Reclam, Stuttgart 1972
    • Jacques Derrida: Signatur Ereignis Kontext, in: Engelmann, Peter (Hg.): Randgänge der Philosophie, Wien 1988
    • Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003
  • 4. Zu kritischen Perspektiven auf Bedürfnisse siehe auch <Bedürfnisse statt Waren – geht das so einfach?
  • 5. Es geht mir hier um das Schaffen von Zugehörigkeitscodes, wie zum Beispiel das Nutzen von Smartphones, oder auch das bewusste Nicht-Nutzen, wodurch sich einzelne Schichten der Gesellschaft zunächst konstruieren und dann voneinander abgrenzen. Solche Konstruktion von Differenz ist für den Kapitalismus wichtig, um zwischen arm und reich, Ausgebeuteten und Profiteuren, zu unterscheiden.
  • 6. Es würde zu weit gehen, die genannten Herrschaftsstrukturen einzeln zu erklären und in Beziehung zu setzen, geschweige denn weitere zu nennen. Sie sollen hier mehr als Beispiele von durch Normalität reproduzierten und verflochtenen Herrschaftsstrukturen dienen.
  • 7. „Die Kuh ist ertrunken, obwohl der Teich im Durchschnitt nur einen halben Meter tief ist“, so oder so ähnlich wird manchmal, z.B. im Mathematikunterricht, auf das Besondere an dem Konzept „Durchschnitt“ beziehungsweise „Mittelwert“ hingewiesen. Der Satz soll klar machen, dass der Teich trotzdem sehr tiefe Stellen haben kann.
  • 8. Mit Karl Marx könnte mensch unterscheiden zwischen Gebrauchswert und (Tausch)wert einer Sache. Gemeint ist hier im engeren Sinne letzterer, der eine Sache zu einer handelbaren Ware auf einem Markt macht. Im Kontext von performativer Konstruktion stellt sich aber die Frage, ob diese wirtschaftstheoretische Unterscheidung der gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht, in der es geradezu „normal“ ist, Tauschwert und Gebrauchswert zu verwechseln. Genau diese fehlende Differenzierung im (kapitalistischen) Alltag verursacht vielleicht gerade die Irritation, die unsere tauschwertfreien Produkte hervorrufen.
  • 9 . Zu Privilegien und Ausschlüssen siehe auch Einschluss statt Ausschluss? – Diskriminierungssensible Zusammenarbeit jenseits von Öffnungsprozessen
  • 10. Zu Vereinnahmung von Nk-Projekten siehe auch Unsere NK-Projekte sind die Keimform einer utopischen Gesellschaft – sind sie das?
Autor*innenbeschreibung:

Mafalda mag Widersprüche, manchmal aushalten, lebt auf einem Wagenplatz in Marburg, strickt, schraubt, lernt, gemüseanbaut, backt und anderes gerne, redet manchmal viel und manchmal wenig, und ist Teil des nichtkommerziellen Ackerkollektiv Wurzeltrotz

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