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Das Nadelöhr

Post from: Streifzüge. Liebe Leute: Allein hier zu schreiben, dass wir ein Leben ohne Geld wollen, kostet welches. Wer unsere Texte mag, soll dazu beitragen, dass sie hier (ent)stehen können. Wenn wer sich’s leisten kann. Eh klar. Dann aber seid so lieb: Her mit der Marie! Löst uns aus!



Das Nadelöhr

Streifzüge 54/2012

von Julian Bierwirth

Das Bild des Jahres 2008 zeigt einen Polizisten, der mit gezogener Waffe eine zu räumende Wohnung durchschreitet. Durch die Immobilienkrise konnten viele Wohnungsbesitzer*Innen die Raten an die Bank nicht mehr zahlen – und dann kam die Polizei. Aber was ist mit den Menschen geschehen, die noch kurz zuvor diese Wohnung als ihr zu Hause bezeichnen konnten? Viele der Betroffenen konnten kurzfristig bei Freund*Innen und Verwandten unterschlüpfen. Nicht wenige von ihnen landeten jedoch früher oder später in einer der riesigen Zeltstädte, die an den Rändern vieler US-Städte für einige Zeit neben der Staatsverschuldung das einzige waren, was noch ein veritables Wachstums aufweisen konnte. Während die Wohnungen ungenutzt leerstehen, sind ihre ehemaligen Bewohner*Innen hier ungeschützt den neugierigen Blicken von Passant*Innen, Journalist*Innen, wie dem Ordnungswahn des örtlichen Polizeidepartements ausgesetzt.

Dass die Menschen nicht mehr ihre bisherigen Wohnungen bewohnen dürfen und diese nun ungenutzt vermodern, liegt nicht an ihrer mangelnden Nützlichkeit. Sie stehen leer, weil es im Kapitalismus nur bedingt darauf ankommt, dass Dinge nützlich sind und benutzt werden. Als  fundamentales Problem entpuppt sich vielmehr die Vermittlung von Wohnungsbedürfnis und Wohnung. Nur wenn hinter dem Wunsch zu wohnen auch eine zahlungskräftige Nachfrage steht, wird – wirtschaftswissenschaftlich gesprochen – aus dem Bedürfnis ein Bedarf. Und nur der taucht am Markt auf und nur der ist relevant für die Ökonomie. Nachdem noch jedes Einführungswerk in die Volkswirtschaftslehre zunächst stolz verkündet, in der Wirtschaft ginge es darum, Menschen mit notwendigen Gütern zu versorgen, wird diese Annahme bereits ein paar Zeilen später dahingehend relativiert, dass es eben doch nicht um nutzbare Dinge, sondern um bezahlbare Waren geht.

Rechenkünste unlimited

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Rechenkünste unlimited

Streifzüge 54/2012

von Maria Wölflingseder

„Money makes the world go round, go round…!“ – Genau so ist es. So lange es Geld gibt, wird das Geld die Welt beherrschen. Die Aufgabe der Marktwirtschaft ist es, aus Geld mehr Geld zu machen. Ohne Gewinnmaximierung kein Überleben. Das ist der Zweck aller Übungen. Geld ist mitnichten ein unschuldiges Mittelchen zu schönen Zwecken, sondern durchdringt unser Leben bis in die intimsten Regungen. Alles – immer mehr auch jenes, das bis dato nicht für vermarktbar gehalten wurde – wird kommerzialisiert. Warum muss immer mehr in die Warenform gepresst werden? Weil dieses Wirtschaftssystem nur bei ständigem Wachstum funktionieren kann – auch wenn die Umwelt und die Menschen dabei zugrunde gehen. Die versuchten Reparaturen schlagen dann auch ordentlich zu BIP-Buche. Aber in einer endlichen Welt ist unendliches Wachstum unmöglich. Schließlich ist da noch die Konkurrenz, ebenfalls eine „natürliche“ Zutat unserer Gesellschaft. Sie gebärdet sich einmal lockerer, dann wieder kaltblütig.

Das Geld bzw. der Markt haben sukzessive Gott abgelöst und sind zu unserer neuen Religion geworden. Eine noch nie da gewesene universelle, totalitäre Religion. Wir können uns ihrem Zwang nicht entziehen. Die Anhänger von herkömmlichen Religionen wissen um ihre eigene Religiosität. Sie bekennen sich zu ihr. Nicht so die Mitglieder der Waren- und Geldkirche. Ihr tägliches Handeln ist so sehr theokratisch durchdrungen, dass die Religiosität als quasi-natürlich wahrgenommen wird und Reflexion kaum zulässt. Offenbar umso weniger, je härter die Zeiten sind. – Ein kurios anmutendes, aber durchaus verräterisches Ritual: Anstatt mit Weihwasser besprengt sich der heutige Gläubige mit „Liquid Money“. Dieses neue Parfum, dieser „Fragrance of Success“ ist als „His Money“ und „Her Money“ erhältlich und duftet nach frischen Dollarnoten.

All die aktuellen unerfreulichen Erscheinungen und Entwicklungen sind systemlogisch nichts Abnormes, sondern die immanente Fortsetzung des blinden Zwangs zur gnadenlosen Verwertung. Eine Wirtschaftsform, die auf Lohnarbeit beruht, muss jedoch aufgrund der exorbitant gestiegenen Produktivität im Zuge der mikroelektronischen Revolution an ihre strukturellen Grenzen stoßen. Über all die negativen Auswirkungen pflegt man sich heute allerorten eifrig zu empören, aber ihre tatsächlichen Ursachen zu erkennen, scheint das größte Tabu zu sein. So bewegt sich alle Kritik nur innerhalb der Mauern des Hochsicherheitstrakts (sicher für wen?). Sie ist lediglich bemüht, die „Auswüchse“ zurechtzustutzen. Hat das alles nicht längst die Lächerlichkeit von Botox-Spritzen für den Todeskandidaten Kapitalismus?

Aber nicht nur die Herrn und Damen Vertreter und Vertreterinnen der herrschenden Weltunordnung rechnen sich die Köpfe heiß, sondern auch die meisten Kritiker dieser Verhältnisse. Die besseren Rechenkünstler wollen sie sein. Die Geldreligion wird aber nicht infrage gestellt, sondern ihre Sakramente Arbeit, Geld und ökonomischer Wert werden nur erneuert. Die Nachfrage nach dieser Art von Reformation ist groß. Während die, die tiefer schürfen, zurzeit nur auf Granit beißen.

So sehr die Bemühungen jedes Einzelnen, die Verhältnisse zu verbessern, zu schätzen sind, sowenig kommen wir umhin, auf ihre Hilflosigkeit und letztlich auf ihre Wirkungslosigkeit hinzuweisen.

Ein kurzer Rundblick: „OikoCredit – in Menschen investieren.“ Diese Aufforderung einer Bank, die Mikrokredite vergibt, prangte kürzlich von Wiener Werbeplakaten. Muhammad Yunus hat diese Art von Kredit für mittellose Frauen in Bangladesch mit seiner Grameen-Bank forciert und bekam dafür 2006 den Friedensnobelpreis. Als entscheidender Beitrag zur Armutsbekämpfung wurden diese Kredite gefeiert und fanden viele Nachahmer. Heute wird die Kritik daran lauter. Gerhard Klas hat das Buch „Die große Illusion oder das Geschäft mit der Armut“ (Assoziation A, Berlin/Hamburg 2011) vorgelegt, in dem die Mikrofinanz-Industrie durchleuchtet wird. Mit dem Ergebnis: Das Kreditgeschäft funktioniert auf Kosten und nicht zum Nutzen der Armen. – Daran zeigt sich einmal mehr, dass die Marktwirtschaft samt und sonders nicht mehr funktioniert, auch nicht, wenn man Arme, egal ob in Europa oder in Asien, zu Ich-AGs macht.

Das Geld erfolgreich zu drehen und zu wenden, versuchen auch die Experten der Österreichischen Armutskonferenz, der Psychologe Martin Schenk und die Theologin und Philosophin Michaela Moser, in ihrem Buch „Es reicht! Für alle! Wege aus der Armut“ (Wien 2010). Ihr Credo: Geld ist genug da, man braucht es nur gerecht verteilen. Alles sei nur eine Frage des politischen Willens! Der Rechtspolitologe und Rechtssoziologe Nikolaus Dimmel bläst ins selbe Horn und stellt seine Rechenkünste unter – universitären – Beweis: Wenn Sie einem Börsenmakler und einem Sozialarbeiter jeweils 20 Euro geben – wer legt das Geld besser an, wer macht mehr Gewinn? Natürlich Letzterer.

Besonders bemüht um die Runderneuerung des Kapitals ist auch die Multifachfrau und Coach Angelika Hagen. Einfach, aber wirksam setzt sie ein „Sozial“ vor das Kapital. Wie in jedes Kapital müsse man auch in Sozialkapital, also in soziale Beziehungen investieren, um einen entsprechenden Ertrag zu erzielen. Und wenn wir einsehen, dass nicht Konkurrenz, sondern Zusammenarbeit der bessere ökonomische Wert sei, wären wir schon in einer neuen Ära! In ihrem „Lehrgang zum Sozialkapital-Manager“ an der Sigmund Freund Privat Universität (2009) und mit dem Baustein-Buch „Lernen ist Beziehung – Ein Spiel- und Übungsbuch zum Begreifen von Sozialkapital“, herausgegeben von Unterrichtsministerium (2011) reüssiert sie mit ihrem Konzept. Dazu gehören auch Ideen zu „Vermögenskultur und Sozialkapital“ oder „Lust auf Arbeit – Wie Arbeit aus freiem Willen Menschen beflügelt“.

Auch in der Esoterik-Bewegung – genauer im Esoterik-Business – tummeln sich nach wie vor Beflissene, die sich um die im Konkurrenzkampf erlittenen körperlichen und seelischen Beulen und Wunden in vielerlei Art kümmern. Etwa mit einem Wochenend-Angebot: „Ich-Marke. Werde zu dem Genie, das du bist!“ Auf dass die „Geldmagie“ ihre Wirkung entfalte. Das Wort „Kursgebühr“ oder „Kosten“ wird dabei gerne durch „Energieausgleich“ und ähnliche Euphemismen ersetzt.

Wie wäre es, anstatt all den Rechenkünsten und all der Sakrosanktifizierung von Geld, Markt und Wirtschaftswachstum der Phantasie freien Lauf zu lassen? Schon Albert Einstein hielt sie für wichtiger als Wissen. Denn Wissen ist beschränkt, Phantasie nicht.

Markt oder Leben?

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Markt oder Leben?

Radikale Überlegungen zu einigen Grundfragen des Menschseins

VORLAUF DEMONETARISIERUNG

von Franz Schandl

Unsere alltäglichen “Selbstverständlichkeiten” sind gewachsen und nicht ehern. Sie entstammen nicht der Natur, sondern dem Training. In meinem Beitrag werden jene nicht einfach vorausgesetzt, sondern im Gegenteil: ausgesetzt und auseinander genommen. Sie stehen im Zentrum einer schrägen Betrachtung, die mehr verrückt als sie ist. Die gebenedeite Marktwirtschaft wird nicht nur einer Kritik unterzogen, ihre zentralen Mechanismen Tausch, Geld, Wert, Arbeit, Konkurrenz oder Geschäft werden überhaupt in Frage gestellt. Dem Selbstverständlichen ist das Verständnis zu entziehen.

1. Rechnung und Berechnung

Womit wir täglich konfrontiert werden: Links steht der Gebrauchswert (Menge, Titel, Marke), rechts der Tauschwert, charakterisiert durch eine Zahl mit Komma, die den genauen Preis ausweist. Rechts unten sind die einzelnen Posten dann zusammengezählt. Die Rede ist vom Kassenbon. Die entsprechende Summe ist jedenfalls zu entäußern, um in den Besitz der Lebensmittel zu gelangen. Die Rechnung ist nicht bloß eine Bestätigung, sondern auch ein Zeugnis, das dem Käufer Rechenschaft über seinen Einkauf gibt, damit er die finanzielle Zweckmäßigkeit seines Tauschhandels überprüfen kann. Die Rechnung ist das, was jeder lesen können muss, egal ob er es lesen will, ja lesen kann.

Jedes Produkt, jede Leistung ist übersetzbar, überführbar in einem Maß. In diesem erlischt seine konkrete Existenz. Links steht der Artikel, rechts steht eine Zahl, gemeinhin Preis genannt. Decke ich links zu, weiß ich nicht mehr, was die Summe ausdrückt. Und tatsächlich: sie könnte jedes Produkt und jede Leistung zum Ausdruck bringen. Denn 1,99 kann dies und jenes sein, ja es kann alles sein. Jede Zahl ist eine Proportion jeder Ware, jede Ware eine Proportion der Zahl. Alles kann sich in alles verwandeln, vorausgesetzt die Proportionen stimmen. Jeder Mähdrescher ist in Miniröcken ausdrückbar.

Jede Rechnung ist eine Abstraktionsleistung. Das heißt: ich abstrahiere vom konkreten Objekt (Qualität) und beziehe mich auf den Tauschwert oder Preis (Quantität), der jenen Gebrauchswert ausdrücken soll. Jede besondere Qualität stellt sich dar als eine spezifische Quantität desselben. Diese Abstraktifizierung, die haben wir intus. Nicht umsonst hat die Hilfswissenschaft Mathematik eine so steile Karriere gemacht – in den Lehrplänen wie im Leben. Sie bringt alles auf das Maß ein- und desselben.

Zentrale Frage heutigen Wirtschaftens ist stets “Was kostet das?”. Zumeist ist es daher auch gleich angeschrieben. Alles hat als Ziffer und Zahl zu erscheinen. Der Breitbandunterricht in Zahlenmetaphysik, der sich gerade in Weiterbildungskursen und Nachschulungen inflationiert, ist Bedingung des bürgerlichen Subjekts. Es muss nicht denken, aber es muss rechnen können. Kalkulation und Spekulation sind ihm charakteristisch. Nur sie machen es markttauglich. Es kann sich nur auf dem Markt zurechtfinden, wenn es und wenn es sich rechnet. Im Tausch geht es um die kommerzielle Zurichtung der Individuen.

Wenn der Käufer die Ware ansieht, was sieht er? Beim Kauf geht es ganz wild zu in den Ganglien: Nicht was ist zu haben, ist die Frage, sondern was kann ich mir leisten. Der Gebrauchswert der Ware muss mit dem ähnlicher Waren verglichen werden. Die Ware ist bezüglich der eigenen Kaufkraft zu veranschlagen. Sie muss aber auch zum Warensortiment in Bezug gesetzt werden, das der Warenkäufer erwerben will. Was braucht man notwendiger? Was ist unverzichtbar? Was ist leistbar? Daraus folgen Reihungen und Entscheidungen. Weiters: Welches Produkt ist billiger? Welches Produkt lebt länger? Was sagen die Erfahrungen? Welches gefällt resp. schmeckt besser? Die Ware muss schließlich zur gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit in Beziehung gesetzt werden. Entspricht der Preis dem Wert, kurzum ist der Artikel preiswert? Diese und viele andere Fragen stellt der Warenkäufer sich dauernd. Er braucht sie gar nicht auszuformulieren. Sie behaupten sich sowieso. Ständig gilt es Preise zu vergleichen, Listen zu studieren, Sonderangebote zu suchen. Obgleich diese einem ja entgegen fliegen, öffnet man die Wohnungstür oder das Postfach.

Was wir brauchen, um erfolgreich zu sein, ist: Kalkül! Kalkül! Kalkül! Die Waren- und Geldmonade ist darauf abgerichtet permanent zu kalkulieren. Das funktioniert quasi automatisch. Wir handeln wie im Affekt, weil Handeln zu einem Affekt geworden ist. Jeder Käufer wird so zu seinem Geldbörsenspekulanten. Wie im Großen, so im Kleinen. Der verfemte Börsenspekulant ist nur die letzte Ausgeburt dieses bürgerlichen Alltagsmenschen, er ist von dieser Welt, alles andere als ein Alien.

Kaufen ist eine ungemein komplexe Angelegenheit, es erscheint nur nicht als solche, weil es kaum eine andere Gewohnheit gibt, die so vertraut ist. Hier regiert die Allmacht der Konvention. Will ich das können? , diese Frage stellt sich gar nicht. Ich muss das können. Kann ich es nicht, geht es mir schlecht. Kaufen-Können in doppelter Hinsicht ist ein Imperativ, den wir durch das alltägliche Handeln vollziehen. Nur unser Training oder besser noch: unsere Abrichtung lässt das Komplizierte als das Einfachste und Selbstverständlichste auf der Welt erscheinen. Je genauer wir aber hinschauen, desto irrer schaut es zurück. Und zweifellos, es ist auch eine verrückte Form.

Mit Geld umgehen zu können, gehört zu den gefragtesten Eigenschaften. Unzählige Spezialberufe haben sich da im Lauf der Zeit herausgebildet: Börsenspekulanten, Steuerberater, Versicherungsmakler, Bankangestellte, Kassiererinnen, Mahnabteilungen, Finanzbehörden, etc. – Es wäre ziemlich interessant zu erheben, wie hoch der Prozentsatz an menschlicher Gesamttätigkeit dafür ist. Wir würden vermuten, es ist der Großteil. Der direkte Dienst am Geld als Gelddienst ist zum vorherrschenden Beruf geworden. Derlei quantitative Forschung findet sich freilich kaum.

Die, die dauernd rechnen müssen und sich rechnen müssen, werden zu berechnenden Wesen. Was sie am anderen interessiert, ist weniger, was er ist, sondern was er hat. Diese Habe oder dieser Job wird als kennzeichnendes Dasein bestimmt. Nicht “Wer bist du? ” ist die obligate Alltagsfrage (diese erschiene vielmehr als Zumutung), sondern “Was bist du? ” Was machst du? Nicht Menschen schätzen Menschen, nein Warenbesitzer bewerten Warenbesitzer.

Die offene Rechnung firmiert in der Alltagssprache auch als Drohung. Ökonomisch ist sie eine Bedrohung für den Käufer, der das Geld nicht hat, aber auch für den Verkäufer, der das Geld nicht bekommt. Der Kauf wurde zwar getätigt, aber nicht finalisiert.

Am Markt geht es daher überhaupt nicht um den profanen Akt einer Aneignung bestimmter Güter, sondern um das Abwägen, Bewerten, Einschätzen. Das Benötigen kann sich nur realisieren über das Bezahlen. Die Frage ist nicht: Wo gibt es wann was? , sondern Wo gibt es wann was zu welchen Preisen? Jede Präferenz kann am Preis scheitern. Das Kriterium der Entnahme ist nicht die Vorhandenheit, sondern die Bezahlbarkeit. Permanent muss der Käufer resp. der Verkäufer rechnen. Und wehe dem, der sich verrechnet. Diese Rechenvorgänge fressen sicher Jahre des bürgerlichen Lebens einfach auf. Nicht nur in Berufen, die auf Rechenvorgänge spezialisiert sind.

2. Einkaufen und Verkaufen

Kaufen ist keine Tätigkeit unter anderen, sondern die zentrale Aktion des gesellschaftlichen Stoffwechsels, der wir als Aktivisten zur Verfügung stehen. Permanent. Schon das Kleinkind übersetzt: “Das will ich haben! ” in “Das will ich kaufen! ” Was wir kaufen, können wir uns vielleicht aussuchen, dass wir kaufen jedoch nicht. Die Frage nach dem Warum wirkt fast abwegig und zweifelsfrei, sie verrückt auch die ganze Sichtweise.

Nicht Güter sind an Produktionsstätten abzuholen oder einfach an Verteilungsstellen zu entnehmen, sondern Waren am Markt zu erwerben. Wenn wir etwas brauchen oder wollen, müssen wir es kaufen. Mittel der Aneignung ist das Geld. Kaufen meint Geld gegen Ware einzutauschen. Der Käufer muss daher über Mittel verfügen, um sich als solcher am Markt zu behaupten. Aus der Herausforderung folgt ja noch nicht die Verwirklichung.

Beim Einkaufen geht es darum, dass ein Geldhaber sich in einen Geldausgeber transformiert. Es handelt sich dabei jeweils um die gleiche Person in einem anderen Aggregatzustand. Geldausgeber kann einer nur sein, der Geldhaber ist. Er ist dazu solange im Stande, solange er über Geld verfügt oder ihm dieses vorgeschossen wird (Kredit). Mit dem Geld macht der Geldgeber als Käufer den Geldnehmer als Verkäufer gefügig. Geld ist der rationelle Grund, eine Ware preiszugeben. Der Austausch wird so zu einer unpersönlichen Kommunikation, wo im Regelfall allein die verdinglichte Beziehung über Geben und Nehmen entscheidet. Die substanzielle Kraft des bürgerlichen Subjekts liegt in seiner Kaufkraft.

Der Markt ist nicht der Ort gemeinsamer, also kommunistischer Erfüllung, sondern der Raum gegenseitiger Abgleichung, ein Platz, wo der kommerzielle Wettbewerb absolut gesetzt wird. Da treten Konkurrenten an, nicht Freunde auf. Die schmerzhafte Trennung der Konsumenten von den Produkten wird dort nicht aufgehoben, sondern Produkte werden als Waren freigekauft.

Das uns entgegenkommende Produkt wird nicht als Gut geschätzt, sondern als Ware wahrgenommen. Selbst wo es nicht positiv angenommen wird (“Wie kann ich es kaufen?”), sondern bloß negativ (“Was kann ich mir ersparen?”). Geld und Wert sind schon im Kopf der Leute, die am Markt als Käufer und Verkäufer, und eben nicht als profane Personen auftreten. Der Mensch wird nicht erst im Kaufakt zum Käufer, sondern er erfüllt in diesem Moment nur seine gesellschaftliche Funktion, die er immer hat, auch dann, wenn er sie gerade nicht ausübt. Er ist als Käufer formiert, selbst dort, wo nicht unmittelbar der Markt regiert. Das kommerzielle Wesen betrachtet die Welt durch das Auge von Kauf und Verkauf.

Wenn wir die Waren betrachten, denken wir den Tauschwert nicht bloß mit, wir begreifen und betätigen, ja empfinden ihn. Das ist eine synthetischer Vorgang. Und dieser gleicht nicht nur einem sozialen sondern einem organischen Reflex, der den Instinkten nahe kommt, und daher sich auch als solcher einschätzt. Die Kalkulation in den Geschäften folgt dem Gespür alltäglichen Handelns, den vielfachen Erfahrungen, die jedermann mit der Warenwelt so hat.

In letzter Instanz nimmt der Käufer als Käufer nicht sinnliche Möglichkeiten wahr, sondern monetäre Gelegenheiten. Wir sind weitgehend unfähig etwas aufzufassen, ohne die Kosten zu denken. Unser Denken ist ein Denken in Preisen, ein primitives Reflektieren in und von Werten. Was das kosten wird? Was das wohl gekostet haben mag? Oder: Wie komme ich selbst auf meine Kosten?

Was will der Zirkulant? Als Käufer will er so billig als möglich einkaufen, als Verkäufer will er so teuer als möglich verkaufen. Seiniges wie sich. Was er als Verkäufer will, will er als Käufer nicht. Dieser Widerspruch muss aber im Tauschakt aufgehoben werden. Handeln meint, dass der Verkäufer die Ware anpreist und der Käufer sie abpreist, um sich idealtypisch doch auf ihren Wert zu einigen.

Von Steuern und sonstigen Abgaben abgesehen, kann der Käufer nicht mehr bzw. weniger zahlen als der Verkäufer erhält. Sie müssen gegeneinander sein, aber zueinander finden, soll das Geschäft sich realisieren. Auf den Preis müssen sie sich einigen. Vergesellschaftung durch den Kauf funktioniert so, dass Käufer und Verkäufer etwas Gemeinsames vollziehen, aber nicht miteinander, sondern gegeneinander. Ihr Aufeinandertreffen gleicht einem Kampf. Sie sind zwar füreinander da, aber sie behüten sich nicht, sondern müssen immer auf der Hut voreinander sein. Besorgung meint nicht Fürsorge. Die Rede von der ungesellschaftlichen Gesellschaftlichkeit macht durchaus Sinn. Das Gesellschaftliche ist kein solidarisches Miteinander, sondern ein konkurrenzistisches Gegeneinander.

Am Markt stehen sich die Teilnehmer als “Tauschgegner” (Max Weber) gegenüber. Im Preis finden sie einen Vergleich ihrer Wünsche und Möglichkeiten. Der Markt ist sachlich, d. h. er geht nicht von den Bedürfnissen der Menschen aus, wenn für diese nicht bezahlt werden kann. Alle Käufer sind ihm gleich, d. h. egal. Wenn sie kaufen können erhalten sie das Produkt oder die Dienstleistung, wenn nicht, nicht. Sein böses Kriterium ist die Zahlungsfähigkeit.

Billig kaufen, teuer verkaufen! Dieses sich widersprechende Prinzip ist eine Zumutung sondergleichen. Jeder schaut in den Konfliktsituationen auf sich, nimmt Einbußen des anderen nicht nur in Kauf, sondern strebt sie direkt an. Rücksichtnahme verursacht Kosten. Doch nicht nur Käufer und Verkäufer treten gegeneinander an, auch Verkäufer gegen Verkäufer, und ebenso Käufer gegen Käufer, etwa auf der Jagd nach billigen Produkten, Leistungen und Arbeitskräften. Der Gier nach Schnäppchen entsprechen die Sonderangebote, die feilgeboten werden. Sie befriedigen sie, weil sie sie hervorrufen. Schnäppchenjagd gleicht einem Basistraining für Käufer.

3. Sprechen und Entsprechen

Wovon sprechen wir, wenn wir sprechen, ist zweifellos eine wichtige Frage. Wichtiger noch ist allerdings diese: Womit sprechen wir, wenn wir sprechen? Meine These: Wir sprechen nicht, wir entsprechen. Wobei dieses “ent” einiges aussagt. Ent-sprechen heißt, sich einer eigenen Sprache zu ent-ledigen. Wer sich entsprechend verhält, verhält sich nicht sprechend. Man sagt nichts zu dem, was passiert, man sagt einfach zu. Man hat nichts zu sagen, außer zuzusagen. Entgegen jedem ideologischen Getöse geht es gar nicht darum, sich selbst zu finden, sondern sich zurechtzufinden, was meint abzufinden. Leben soll gelten als Suche nach Entsprechung und nicht als Ort des Sprechens. Ihr sozialer Kontext lässt die Subjekte vorgefertigte Texte rezitieren, die sie zwar geringfügig variieren, in deren Matrix sie aber trotzdem fest haften. Sie bewegen sich frei in ihrem kommunikativen Betriebssystem, das sie verwenden, aber nicht beherrschen.

Niemand wird abstreiten können, dass Worte und ihre Assoziationen vorgegeben sind, eben nicht von ihren Anwendern entworfen oder erfunden. Sprache setzt Sprecher. Auf dass sie reden. Die Sprache, die wir haben, hat uns. Ihr affirmativer Charakter ist offensichtlich. Ihre strikte Immanenz vergattert uns alleine durch ihre Macht, gut vom Bestehenden zu reden. Sprache ist positiver Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse. Gegen diese effektiv zu sprechen und nicht nur affektiv zu raun(z)en, bedarf einer außerordentlichen Anstrengung. So scheitert das, was wir sagen wollen, manchmal schlicht am vorhandenen Material, das die Sprache uns bietet. Auch der Widerspruch ist oft nicht mehr als sperriger Bestandteil eines pluralistischen Rituals.

Nichts ist heute kenntlicher als das fortwährende Eindringen des Jargons der Wirtschaft in die Verkehrssprache. Die ökonomische Vokabel “Wert” hat ihren Siegeszug erst im 19. Jahrhundert angetreten. Heute ist sie selbstverständlich, da ist die Rede von mentalem Mehrwert, von einer Ökonomie der Aufmerksamkeit, von Trauerarbeit, von kulturellem Mehrwert, von Humankapital oder zuletzt gar von Zornbanken. Da wird fleißig angeheftet, auf dass klar wird, in welcher Welt wir leben.

Man denke bloß an den ganzen Marktadel der Wertworte. Unablässig ist da die Rede von “Wertschätzung” über “Wertschöpfung” bis hin zur “Wertegemeinschaft”. Neben den Substantiven gehören unzählige Verben und Adjektive dieser weitverzweigten Familie an, und sie wird immer größer. Wahrlich, da schwafeln nicht wenige von Werten, ohne je nach dem Begriff des Werts gefragt zu haben. Die affirmative Sprache ist Ausdruck der schier unendlichen Ökonomisierung der Welt. Womit nicht gesagt ist, dass diese Sprache nichts erfasst. Im Gegenteil, sie erfasst gar viel, auch wenn sie noch so wenig begreift. Ihre Verwendung macht uns zu-ge-hörig.

4. Tausch und Täuschung

Wenn wir unseren Geschäften nachgehen, können wir gar nicht ehrlich sein. Ehrlichkeit ist entwaffnend, eine Schwäche. Egal ob wir über Medikamente, Fernreisen oder Beleuchtungskörper reden. Wir müssen das und UNS verkaufen, egal was und wie.

Das Dasein der Waren muss laut und sichtbar präsentiert werden. Hier ist auch der Urknall der kommerziellen Werbung zu suchen. Nicht jede Reklame ist schon kommerziell, aber alles Kommerzielle betreibt Reklame. Dieses penetrante Aufmerksam-Machen dient der Verwertung. Wenn es sich nicht reklamiert, ist es seinem Untergang geweiht. Die Ware ist kein krudes Ding, sie gedeiht auf ihrer Verkündigung, ja Verheißung. Ware trägt Reklame in sich. Waren müssen PR-mäßig aufgerüstet werden. Der Verkauf erfordert hochentwickelte psychologische Strategien. Produktwerbung ist meist wichtiger als Produktentwicklung oder Produktqualität. Interessanter als die Veröffentlichung der Werbeprospekte wäre allemal die Publizierung der Werbekonzepte. Doch da gilt in der offenen Gesellschaft einmal mehr das Betriebsgeheimnis. Wie überhaupt wichtigstes Wissen in Black boxes steckt.

Werbung geht der Erwerbung voraus. Werbung fällt auf die Seite des Verkäufers, der Käufer hingegen muss umworben werden. Werbung ist beim Verkäufer eine aktive Größe und beim Käufer eine passive. Was eins tut, wird dem anderen angetan. Erwerben tue ich ausschließlich mit Geld, aber werben tue ich in erster Linie mit Eindrücken und Versprechungen. Um zu kaufen, muss man Erscheinungen haben. Der Verkäufer hat diese extra anzubieten. Anmache, Animation, Indiskretion, das sind seine Aufgaben.

Die Ware ist für den Markt noch nicht fertig, wenn sie als Produkt fertig ist. Es bedarf zusätzlicher Fermente, die eben in seinem Stoff nicht, aber in ihrer Funktion sehr wohl enthalten sind. Es handelt sich dabei um gesellschaftlich notwendige Projektionen und Täuschungen, die imstande sind, die Kunden auch unabhängig von Produkt und Preis zu beeinflussen. Es geht um die Herstellung serieller Eindrücke. Zweifellos ist es leichter, Produkte nicht haben zu wollen als Eindrücke. Letzteres geht nicht, und wenn, dann nur äußerst bedingt. Denn nicht ich habe Eindrücke, die Eindrücke haben mich, sind eigentlich Beeindruckungen. Eindruck ist etwas von mir Erzeugtes, Beeindruckung ist etwas in mir Erzeugtes.

Was den Konsumenten in Gang setzt, sind zweifellos die Gebrauchswerte, die er konsumieren will. Was ihn jedoch zu diesem oder jenem Handel treibt, sind die Reize, die Waren zu bieten haben. Der Verkäufer und insbesondere der Kaufmann hat seine Waren entsprechend anzureichern und auszustatten. Sie müssen als mehr erscheinen, als sie sind, um als solche zu gelten. Kaufentscheidungen sollen einem überdeterminierenden Verlangen folgen, sie sind mehr als profane Wünsche, sie sind formatierte Begierden.

Man mag einwenden, dass man die Werbung nicht mehr wahrnimmt, und in gewisser Hinsicht stimmt das. Aber das ist auch nicht notwendig. Wichtig ist nicht, dass man sie wahrnimmt, sondern was man hinnimmt. Es wäre nicht in ihrem Sinne, dass wir Werbung bewusst reflektieren, sondern umgekehrt, es geht darum, dass sie sich in uns einnistet und festsaugt, auf dass wir sie zwar nicht spüren, aber trotzdem spuren und in ihrem Sinne agieren und funktionieren. Reklame giert nicht nach Bekenntnissen, sondern nach Käufen.

Das “freie Individuum” ist nicht frei beim Auswählen, worauf seine Aufmerksamkeit fällt. Nicht Menschen suchen ihre Waren aus, nein Waren suchen sich die Menschen. Das ist der Zweck der Werbung, der verraten werden nicht darf, obwohl er so offensichtlich ist. Werbung ist also nicht Entscheidungshilfe, sondern Beschlagnahme. Aufmerksamkeit ist keine eigenständige Verfügung, sondern eine beständige Fügung. Sie ist kein Raum, der einem gehört, sondern weitgehend okkupiertes Gebiet.

Werbung funktioniert als gefälliger und adaptierter Modus, wo Bewerber wie Beworbene sich permanent Selbsttäuschungen hingeben. In jedem Bewerbungsgespräch wird das Vorstellen zu einem Verstellen, ja das wird sogar gefördert und geschult. Die entsprechenden Erwartungshaltungen mögen Halluzinationen sein, aber sie konstituieren die Subjekte in der vorgegebenen Kommunikationsstruktur. Daher nützt auch Aufklärung über Werbung kaum, denn was man den Leuten sagen kann, das wissen sie ohnehin. Aber sie wollen das Wahrgenommene nicht wahrhaben, verdrängen es. Was soll diese traurige Wahrheit auch ausrichten gegen die bunte Warenwelt der Realfiktionen? Widerwissen bleibt konsequenz-, ja geräuschlos, weil es im Treiben regelrecht untergeht. Es erscheint als widerspruchsloses und fatalistisches Einsehen.

Die Leute betreiben ihre Geschäfte nicht als aktive Bewusstseinsträger, sondern als narkotisierte Reakteure. Nur nicht aufwecken! Werbung ist ein kompliziertes und aktives Getäuscht-werden-Wollen, nicht ein profanes und passives Getäuscht-Werden. Also hergestellte Selbsttäuschung, nicht bloß hingenommene Täuschung. Wir sprechen darauf an, weil wir angesprochen werden wollen.

Werbung ist das Hochamt aller Waren. Sie ist Ansprache, Predigt, Gottesdienst. Sie vermittelt Fetischisten fetischistisches Bewusstsein. Eine Unmenge Zeit unseres Daseins verbringen wir an diesem Fetischdienst: Berechnen, Bezahlen, Bewerten, Bewerben, Bepreisen, Besteuern, Kalkulieren oder Spekulieren – das sind alles für uns selbstverständliche Sachen, obwohl diese ja nur aufgrund ihrer gesellschaftlichen Konstitution als natürlich erscheinen. Diese Vergeudung von Leben nennt sich Business und dieses lobt fortwährend seine ungemeine Sparsamkeit. Was bei den monetären Kosten stimmen kann, stimmt bei den gesellschaftlichen Folgen nie und nimmer.

Wie den Objekten, ergeht es auch dem Subjekt. Das bürgerliche Individuum steht unter dem Zwang, sich in Wert zu setzen, (sich) zu verkaufen, um kaufen zu können. Das bedingt natürlich unzählige und aufdringliche Spielarten der charakterlichen Maskierung, sei es Bluff oder Fassade, Mode oder Werbung. Anbieten, Anpreisen, Anmachen sind bürgerliche Formen der Selbstverstellung. Es geht wiederum um Täuschung im Sinne des Tauschs.

Das Verdrängte ist allerdings nicht ausgelöscht. Es schlummert und dämmert, ist ein Herd der Unruhe. Der Sieg der Werbung ist stets prekär, die Anstrengung, ihn zu erzielen, groß. Nicht zufällig verschlingt mittlerweile das Marketing mehr Geld als die Produktion. Auch wenn es retrospektiv anders erscheint, es läuft nichts von selbst, es muss mit immensem Aufwand am Laufen gehalten werden. Die Formatierung der gesellschaftlichen Subjekte ist nie abgeschlossen. Irgendwie hat man das Gefühl, als müsste die Kulturindustrie die Dosis stetig erhöhen, um den Vollzug zu garantieren.

Werbung als stabilisierender Faktor gerät selbst in destabilisierende Hektik. Wenn der Markt ins Rasen gerät, tut sich jede langfristige Planung schwer, da ja der kurzfristige Erfolg maßgeblich ist. Nicht langer Atem ist gefragt, sondern die Beschleunigung des Kurzstreckenläufers. Taktik hat Strategie ersetzt. Werbung wird zum Exzess einer Form, Indiskretion ist ihr Imperativ geworden. Indiskretion ist in der Reklame zwar angelegt, aber erst unter Bedingungen verschärfter Konkurrenz wird sie in ihren Auftritten hemmungslos, rücksichtslos, schamlos. Je radikaler der Markt, desto rabiater das Marketing.

5. Conclusio

“Life is business”, so ähnlich wird es einem nicht nur täglich suggeriert, so stellen es sich die meisten Zwangsmitglieder der bürgerlichen Vergesellschaftung auch vor, weil sie es ja selbst so und nicht anders anstellen. Dementsprechend funktionieren sie oder kommen (was nur die Kehrseite ist) unter die Räder, scheitern in und an der Konkurrenz. Als Täter und Opfer ihrer Geschäfte laufen sie im Laufrad des Kapitals. Ihr freier Wille ist einer zum Kaufen und zum Gekauft-werden. Alles andere kommt erst nachher – falls überhaupt. Leben wird zum nachgeordneten Aspekt des geschäftlichen Soseins. Man existiert, um sich zu verwerten.

Mein Ansatz und Anspruch will auf nichts weniger hinaus als darauf, den gesamten menschlichen Stoffwechsel in seiner obligaten Form in Frage zu stellen. Kaufen, Tauschen, Handeln, Bewerten, das ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ökonomisches Diktat. Markt und Mensch sind also keine eherne Zusammengehörigkeit, sondern vielmehr ein Widerspruch. Dort, wo der Markt herrscht, ist der Mensch durchgestrichen und dort, wohin der Mensch sich als solcher rettet, dort ist kein Markt. Es geht unfreundlicher Weise darum, das Geschäft (und alles was dazu gehört) als lebensfeindliche Form menschlicher Kommunikation zu dechiffrieren. Es ist pathologisch, schwer pathologisch. Geschäfte fressen Zeit und Raum auf. Lebenszeit. Lebensraum. Leben.

Käufer sein ist jedenfalls keine in der Natur angelegte Eigenschaft, sondern eine kulturelle Normierung, die zu einem Anspruch an alle geworden ist. Da ist nichts Ewiges an ihr. Praktische Befreiung beginnt, wo die Menschen mit dem Kaufen und Verkaufen bewusst aufhören. Wenn sie sich geben und sich nehmen, was sie brauchen. Wenn sie die Kostenrechung verwerfen und durch profane Zuneigung und Zueignung ersetzen. Wenn Angebot und Nachfrage durch Eingabe und Entnahme ersetzt werden. Wenn der konkurrenzistische Geschäftstrieb von einer kompetenten Kooperation abgelöst wird. Wenn die Trennung von Motiv und Bedingung bei der Transaktion von Gütern überwunden wird.

Wie sagt doch der Erste Gott im Brechtschen Stück “Der gute Mensch von Sezuan”: “Ich gebe zu, ich verstehe nichts von Geschäften, vielleicht muss man sich da erkundigen, was das Übliche ist. Aber überhaupt Geschäfte! Machten die sieben guten Könige Geschäfte? Verkaufte der gerechte Kung Fische? Was haben Geschäfte mit einem rechtschaffenen und würdigen Leben zu tun? ” – Nichts! Absolut Nichts!

15. Dezember 2008

From: streifzuege.orgBy: LorenzComments

Fiktives

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Fiktives

Sprunghafte Hypothesen zu Ökonomie und Ideologie des Kapitals

Streifzüge 52/2011

von Franz Schandl

Fiktionen spielen in unserem bürgerlichen Dasein eine große Rolle. Permanent stellen wir uns etwas vor und permanent wird uns etwas vorgestellt.

1.

In unserer Disposition reagieren wir beinahe reflexartig auf die Erfahrungen des Alltags, wozu nicht nicht nur klassisch Produktion, Zirkulation und Konsumtion gehören, sondern immer mehr und immer wichtiger auch die virtuellen Welten von Fernsehen oder Internet. Fiktionen zielen auf Reproduktion. Es geht darum, dass das, was ist, wieder ist. Fiktionen sind Bestandteil unserer Realkonstitution, eine geistige, ja geistliche Leistung warenförmiger Ganglien, eine Art Urvertrauen in die Bestandsfähigkeit des Kapitals. Und dieses liegt außerhalb unserer Entscheidung, es ist nämlich vorentschieden durch den praktischen Vollzug geschäftlicher Tätigkeiten. Unsere Fiktionen sind Figurationen oder besser noch Konfigurationen unserer bürgerlichen Existenz.

Das positive Denken etwa ist eine Anleitung, alle Geschehnisse unter einem gewissen Blickwinkel wahrzunehmen, sich weniger zu fragen, wie denn die Verhältnisse sind, sondern diesen a priori einen positiven Stempel, ein Gütesiegel des Soseins, zu verleihen. Nicht die kritische Frage zeichnet diesen Reflex aus, sondern eine unkritische Zusage. Was ist, muss auch vernünftig sein, ansonsten wäre es nicht. Es ist der gesunde Menschenverstand, der sich mit dem abfindet, was er vorfindet. Es gilt sich in den Verhältnissen nicht nur einzurichten, sondern sie auch noch zu bejahen.

Eine ganze Industrie ist heute darauf aus, die richtigen Fiktionen zu stützen, resp. uns zu ihnen zu verhelfen. Affirmation ist somit überdeterminiert. Praktisch werden jene nicht nur durch unsere alltäglichen Tätigkeiten hervorgerufen, sondern auch noch zusätzlich ideologisch aufgepeppt: sei es durch Medien, Reklame oder Unterhaltung. Diese stets reproduzierten Fiktionen wirken sich übermächtig aus, vor allem in unserem Kaufverhalten, in unserem Kulturkonsum, in unseren Einschätzungen und Geschmäckern. Wir sind Gefangene einer Matrix, die uns geistig, emotional und körperlich in Griff hält. Wir gehören nicht uns, sondern gehorchen. Wir sind Arrestanten einer Vorstellungswelt. Unsere Freiheit beginnt erst dort, wo wir begreifen, dass dem so ist und wir das so nicht wollen können.

Jede Einbildung ist eine Vorstellung, aber nicht jede Vorstellung ist eine Einbildung. Wenn wirklich ist, was wirksam geworden ist, dann ist viel Unwirkliches wirklich. Die Grenze zwischen Fiktion und Realität ist porös, sich ständig verschiebend und nie genau festlegbar. Allerdings ist uns diese Unterscheidung doch elementar, reden wir keiner Auflösung das Wort. Die Differenzierung ist also eine ständig operationale Aufgabe, keine vorgegebene Zuordnung vermag sie zu ersetzen.

2.

Das Fiktive ist nicht einfach unwahr, es wirkt um vieles gerissener, ja abgefeimter. Wir sitzen keiner Lüge auf, sondern der immanenten Täuschung des gesellschaftlichen Seins. Und der Kern dieser Täuschung liegt im Tausch und der ihm zugrunde liegenden abstrakten Arbeit: etwas für etwas anderes zu halten, indem wir es über abstrakte Arbeit vermittelt aufeinander beziehen, um es (als gleichwertig) auszutauschen. Die Annahme absoluter Vergleichbarkeit und Berechenbarkeit von allem und jedem ist erstes kommerzielles Gebot.

In den Metamorphosen des Kapitals und insbesondere im Tausch (Geschäft, Handel) sind die Fiktionen allgegenwärtig. Das eine ist das andere und das dritte auch. Es wechselt sich permanent aus und um. Registrieren, Kalkulieren, Spekulieren, das ist damit verbunden. Wessen Wert könnte es sein? Die Konzentration richtet sich zwar auf die Objekte der Begierde, aber nicht direkt, sondern nur vermittelt über den Wert. Es wird auf jeden Fall alles doppelt gedacht, als Gebrauchs- und Tauschwert. Deswegen sprechen wir auch von Waren.

3.

Warum eigentlich Kredite? Banal gesprochen, sagen sie doch nur aus, dass Dinge gemacht und geleistet werden könnten, dass das menschliche und technische Potenzial also vorhanden wäre, nur das leidige Geld fehle. Und das bürgerliche Subjekt kann sich um die Burg nicht vorstellen, es einfach zu tun, wenn es doch finanziert werden muss. Es geht nicht anders. Indes, nur Fetischisten können so normal denken. Mit dem Kredit wird ein Problem gelöst, das es elementar gar nicht gibt, das erst gesellschaftlich geschaffen werden muss, um es monetär beheben zu können. Natürlich ist das völlig verrückt, aber so ticken wir.

Mit dem Kredit will das Kapital die Grenzen des Warenkapitals überschreiten. „Andererseits ist der Kredit dann auch Form, worin das Kapital sich im Unterschied von den einzelnen Kapitalien oder das einzelne Kapital [sich] im Unterschied von seiner quantitativen Schranke zu setzen versucht“, sagt Karl Marx. (MEW 42: 560-561) Das Kapital wächst hier über seine Substanz hinaus, versucht sich an seiner eigenen Vervielfältigung. Kapital scheint durch Kapitalisierung beliebig multiplizierbar.

4.

„Nicht jede Vermehrung des leihbaren Geldkapitals zeigt wirkliche Kapitalakkumulation oder Erweiterung des Reproduktionsprozesses an.“ (MEW 25: 502) Im fiktiven Kapital geben sich verwertetes, noch zu verwertendes und irreales Kapital (Schwindel) ein Stelldichein. Die Grenzen sind nicht fix, wie Kapital überhaupt stets eine Gallerte seiner Metamorphosen darstellt. Verwertetes Kapital kann sich auch entwerten, das zu verwertende nie verwerten und der Schwindel prächtige Geschäfte tätigen. Natürlich wäre es Unsinn, fiktives Kapital als reines Phantasieprodukt zu begreifen, indes muss ein großer Schuss Halluzination doch beigemischt sein.

Fiktives Kapital bewegt real. Es ist wirksam auf gar vielen Ebenen. Es ist also mehr als eine Einbildung, selbst wenn es sich a posteriori als reine Einbildung entpuppen sollte. Geld wird dadurch real, weil behauptet wie geglaubt wird, dass es wirklich werden könnte. Die Dimension des Vorgriffes übersteigt inzwischen das, was man Realökonomie nennt, um ein Vielfaches. Die Funktionstüchtigkeit der fungierenden Warenwirtschaft ist geradezu von den Geldspritzen des fiktiven Kapitals abhängig. Die Finanzmärkte sind der Motor. Auch Investitionen und Konsum werden zusehends mehr aus fiktivem als aus realem Kapital finanziert.

Es wird mich einmal geben, daher tun wir so, als gäbe es mich schon heute. Das Vertrauen in mich muss gegeben sein oder erzeugt werden. Ich bin weder falsch noch richtig, ich bin eine Annahme, die sich erfüllt oder auch nicht. Setzt auf mich! – So spricht das fiktive Kapital. Kapitalisierung ist Spekulation auf eine erst zu tätigende Verwertung. Es ist sodann etwas in den Büchern, was es (noch) nicht gibt, aber in der Übereinkunft seiner Geschäftspartner einmal geben wird (sollen). In der Zukunft erwirtschaftetes Geld wird in die Gegenwart gebeamt. Fragt man das fiktives Kapital nach seinem Gehalt, dann verweist es auf eine noch zu tätigende Wertschöpfung. Es mag nicht da sein, aber es wird kommen. Es ist wie ein Erlösungsversprechen, das sich immer wieder mit dem gleichen Verweis verschieben lässt. Stets upgedatet, ist es frisch wie die Kurven des jeweiligen Börsentages. Ob alte Hoffnungen zerrinnen, ist egal, zentral ist, dass neue Hoffnungen keimen. Es herrscht eine erregende Erwartung. In seinem Trieb, neue Anlagen zu kreieren, ist das Kapital absolut eifrig und erfinderisch.

5.

Akkumulation hat Verwertung nicht zur Voraussetzung, sondern jene kann auch rein spekulativ als Einsatz zukünftiger Verwertung verstanden werden.

Im fiktiven Kapital setzt der Konjunktiv sich gegenüber dem Indikativ durch. Was ist schon das Reale gegen das Mögliche? Die Fiktion ist das wahre dynamische Element. Dieser Konjunktiv gibt Tempo und Orientierung vor. Er treibt an. Intention und Investition sollen primär in diese Richtung gehen.

Das fiktive Kapital entkommt gar der Verunreinigung durch den Gebrauchswert, weil es unmittelbar keine reale Gestalt annehmen muss. Es besteht lediglich aus Eigentumstiteln und Rechtsansprüchen. Zukünftige Gewinne erscheinen deswegen sogar als Erfolg versprechender als schon in Wert gesetzte. Auf Optionen kann auf einer komsumtiven Ebene eben noch nicht zugegriffen worden sein. Kurzum: man kann von noch nicht gezeugten Kühen das Rindfleisch nicht essen, wohl aber kann man auf die Geschäftstüchtigkeit ihrer Züchter setzen, auf die Kapazitäten des Marktes wetten und Aktien der Schlachthöfe kaufen, ohne je eine Kuh, einen Züchter oder einen Schlachthof gesehen zu haben. Zukünftige Tauschwerte lassen sich in der Gegenwart realisieren, zukünftige Gebrauchswerte aber nicht.

6.

„Die Bildung des fiktiven Kapitals nennt man kapitalisieren. Man kapitalisiert jede regelmäßig sich wiederholende Einnahme, indem man sie nach dem Durchschnittszinsfuß berechnet, als Ertrag, den ein Kapital, zu diesem Zinsfuß ausgeliehen, abwerfen würde; (…) Aller Zusammenhang mit dem wirklichen Verwertungsprozess des Kapitals geht so bis auf die letzte Spur verloren, und die Vorstellung vom Kapital als einem sich durch sich selbst verwertenden Automaten befestigt sich.“ (MEW 25: 484.)

Die Bewegung G-G’ möchte uns beweisen, dass Geld selbst Geld abwirft, dass der Umweg über den Gebrauchswert gar nicht mehr nötig ist, ja die besseren Geschäfte überhaupt auf dem Finanzmarkt zu tätigen sind. (Vgl. MEW 25: 404ff.) Der Gebrauchswert ist scheinbar im Tauschwert aufgegangen, das Kapital vollzieht eine tautologische Bewegung. Geld wird hergegeben, um mehr Geld zurückzuerhalten. Kapital will sich im monetären Himmelreich seiner Metamorphosen den alltäglichen Zumutungen und Ansprüchen entziehen, es will überhaupt nicht mehr fix werden, nur noch ein geradezu phantastisches Leben in seinen Zahlenkolonnen der Buchungen führen.

Die Brutstätte des fiktiven Kapitals ist der Markt. Die Zirkulation wird zur Sphäre der Produktion (sic!) fiktiven Kapitals durch Etablierung von Eigentumstiteln und Rechtsansprüchen. Fungierendes Kapital realisiert sich in der Zirkulation, und zwar nach Schaffung des Werts in der Produktion, fiktives Kapital realisiert sich ebenfalls in der Zirkulation, aber bereits vor Schaffung des Werts. Ob es diese Schaffung je geben wird, ist fraglich, indes ist der Glaube daran, die Fiktion, fundamental. Ist sie erschüttert, dann platzen die Blasen, schon allein deswegen, weil die Kapitaleigner (Inhaber, Teilhaber, Anleger, Aktionäre, Versicherte, Bankkunden) ihr Kapital abziehen und retten wollen. So wird das ideologische Moment immer wichtiger.

Was uns erscheint, das lassen wir erscheinen. Das ist der Käfig unserer Befangenheit, unsere Matrix. Fiktives Kapital mag nicht gedeckt sein, aber es „existiert“ trotzdem. Es ist ein reelles Trugbild, an das geglaubt wird, weil andere ebenfalls daran glauben. Es ist aber keine individuelle Halluzination, es ist eine kollektive Fiktion. Hier herrscht die ganze Kraft der großen Verzauberung, der wir mit aller Energie dienen. Man schaukelt sich gegenseitig hoch und stützt sich gegenseitig ab. Man verlässt sich auf die, die sich auf uns verlassen. Man verlässt sich gegenseitig, ohne es zu merken. So die Grundformel, die freilich weit komplexere und kaum überschaubare Formen annimmt. Und bricht etwas zusammen, dann hat das nie System, sondern im Gegenteil: bei den Verlässlichen haben sich Unverlässliche eingeschlichen und die nunmehr Verlassenen wurden und werden kräftig abgecasht. Denn das Geld, so die bürgerliche Psyche, ist stets vorhanden und kann auch gar nicht verschwinden, höchstens, es wird gestohlen. Also muss es gestohlen worden sein.

7.

Eine tatsächliche Abschöpfung hochgerechneter Werte ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, aber doch eher selten. Vor allem ist sie auch nur zu einem geringen Prozentsatz möglich, soll nicht sofort der Zusammenbruch erfolgen. Die Gewinne sind nicht einfach konsumierbar. Verfressen, versaufen, versegeln geht nicht. Die funktionale Aufgabe der Aktionäre besteht nicht darin, an der Börse abzucashen und sich ein arbeitsfreies Leben zu gestalten, sondern auf ewig im Turm des Geldes mitzuspielen. Steigen die Kurse, dann ist es nicht ratsam, auszusteigen, fallen die Kurse, wäre es erst recht blöd, auszusteigen. Aussteigen ist also tatsächlich keine Option. Kapital, egal welches, will immer wieder reinvestiert werden um sich verwerten zu können.

Der Großteil der Gewinne sind Buchungsgewinne, die nicht oder nie ausbezahlt, sondern wiederum eingesetzt werden. Kapitalisieren geht vor konsumieren. Das Spiel will keine Ende kennen. It’s a never ending game. Ad infinitum. Geschäfte sollen gar keinen Abschluss finden, sondern sich als unendliche Kapitalbewegung veranstalten. Als Selbstläufer. Geschäfte gelten als geglückt, wenn eine unüberschaubare Reihe von Besicherungen und Optionen gegeben sind. Geld, Maß des Tauschwerts, versucht und versteht sich als sein eigener Gebrauchswert zu setzen. Geld machen wird von einem Mittel zum Zweck zum Selbstzweck. Es wird tendenziell zu einer selbstreferenziellen Größe, die sich aus sich selbst akkumulierend antreibt. So zumindest die Fiktion.

8.

Das Wort „Kredit“ legt es nahe. Das Versprechen hält so lange, so lange es geglaubt wird. Glaubwürdigkeit ist also sein wahres „Kapital“. Viele Finanzgeschäfte funktionieren wie Pyramidenspiele. Solange sich Mitspieler finden, kann das Spiel laufen, sobald jedoch zu viele Ketten unterbrochen werden, droht der Kollaps. Können die Schulden oder gar die Zinsen nicht mehr gedeckt oder zumindest umgeschuldet werden, dann entpuppt sich die Struktur als nicht tragfähiges Kartenhaus. Im fiktiven Kapital wird die zukünftige Verwertung als Möglichkeit wahrgenommen, als Wahrscheinlichkeit behauptet und als Wirklichkeit propagiert. Ob diese Wahrnehmung der Wahrheit entspricht, ist zumindest heute egal. Aber es ist, so will es scheinen, auch morgen egal, weil man sodann den getätigten Verlust, der als mittelfristiges Minus erscheint, ja durchaus wieder durch einen Kredit ersetzen kann. Fiktives Kapital spielt auf Zeit.

Ob einzelne Kredite nicht bedient werden können, ist gesamtökonomisch ziemlich unerheblich. Problematisch wird es erst, wenn ganze Sparten (Konzerne, Versicherungen, Immobilien, Banken oder gar Staaten) crashen. Gehen diese Rechnungen in Summe nicht auf oder wird der Glaube daran massiv erschüttert, dann platzen die Blasen. Indes, bisher sind die Folge platzender Blasen sich neu bildende Blasen. Solange der Kapitalherrschaft dieses Kunststück der Fiktionen gelingt, wird sie nicht zusammenbrechen.

9.

Aktuell erleben wir wiederum einen Boom der Casino-Ideologie auf allen Fronten. Es geht aufwärts. Es wird aufwärts gehen. Es muss aufwärts gehen. Es ist immer noch aufwärts gegangen. Permanent geht es darum, Fiktionen auf allen Gebieten und in allen Sphären herzustellen und sich daran zu klammern. Zahlen werden präsentiert. Die Stimmung steigt. Man verfolge nur die Medien, wie da der Aufschwung herbeigeschrieben und die Konjunktur hochlizitiert wird.
Stimmungen sind dazu da, die Geschäfte zu stimulieren, nicht das Kapital in Frage zu stellen, sondern eben die aktuellen Fragen des Kapitals zu stellen: Wo gibt es wie viel zu holen? Wir stehen vor einem neuen Wirtschaftswunder, entnehmen wir den Zeitungen an einem dieser sonnigen Maientage. Wir wundern uns auch.

Zeitgeist: Moving Forward – It’s the system, stupid

Post from: Streifzüge. Liebe Leute: Allein hier zu schreiben, dass wir ein Leben ohne Geld wollen, kostet welches. Wer unsere Texte mag, soll dazu beitragen, dass sie hier (ent)stehen können. Wenn wer sich’s leisten kann. Eh klar. Dann aber seid so lieb: Her mit der Marie! Löst uns aus!



Zeitgeist: Moving Forward – It’s the system, stupid

Der dritte Zeitgeist-Film schreitet trotz etlicher Unzulänglichkeiten in die richtige Richtung voran

von Tomasz Konicz

Dieser Film stößt an die Grenzen des Mediums. In 161 Minuten ist Regisseur Peter Joseph im dritten Teil seiner Zeitgeist-Filmserie bemüht, den Zuschauer von der Notwendigkeit einer baldigen Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise zu überzeugen, sowie eine gangbare Systemalternative zu der bestehenden Gesellschaftsunordnung aufzuzeigen. In knappen drei Stunden wird in Zeitgeist: Moving Forward ein gigantischer thematischer Bogen gespannt, bei dessen wissenschaftlicher Erschließung und Bearbeitung in den vergangen Jahrhunderten Kapitalismuskritiker jeglicher Couleur ganze Bibliotheken an Textmaterial produzierten. Seine Premiere, bei der 340 Aufführungen in über 60 Ländern stattfanden, hatte Zeitgeist: Moving Forward am 15. Januar 2011, was wohl den mit Abstand größten Filmstart eines unabhängigen Projekts in der Kinogeschichte markiert. Der Film ist ab dem 25. Januar frei im Internet, unter anderem auf Youtube, abrufbar.

Die vom US-amerikanischen Regisseur und Aktivisten Peter Joseph seit 2007 produzierten – und auf beständig wachsende Resonanz treffenden – Zeitgeist-Filme gelten innerhalb weiter Teile der Linken immer noch als Paradebeispiele verkürzter Kapitalismuskritik. Dieser Ruf haftet den Filmen von Peter Joseph aufgrund der Verschwörungstheorien an, die in seinem Erstlingswerk Zeitgeist: The Movie Verbreitung fanden.

So führte er darin auch einen Teil der Kriege des 20. Jahrhunderts auf das Wirken einer Verschwörung von Bankern und der amerikanischen Notenbank zurück, die die USA in diese Konflikte genötigt hätten, um hieraus Profit zu schlagen. Letztendlich wurden alle auch im ersten Zeitgeist-Film erschütternd visualisierten Verwerfungen, Widersprüche und Konflikte auf das Treiben einer Gruppe machthungriger Menschen zurückgeführt, während die Struktur und innere Antriebsdynamik des kapitalistischen Systems ausgeblendet blieben.

Mit dieser personifizierten, verkürzten Kritik des Kapitalismus bricht der jüngste Zeitgeist-Film radikal.

In einer Schlüsselszene wird deutlich, dass für die derzeitige allumfassende globale Krise keine „korrupten Regierungen, keine finsteren Konzerne oder Kartelle, keine fehlerhafte menschliche Natur, und keine geheime, versteckte Intrige“ ursächlich verantwortlich sind, sondern die „Grundlagen unseres sozioökonomischen Systems selbst“. Und eben dies macht die faszinierende Radikalität dieses Films aus – er bemüht sich, diese sozioökonomischen Grundlangen zu benennen und die Notwendigkeit ihrer Überwindung darzulegen.

Zeitgeist: Moving Forward ist in seiner fast schon entwaffnend naiven, da eigentlich schlicht logischen Herangehensweise radikaler als alle Kapitalismuskritik, die von Filmemachern wie etwa Michael Moore jemals geäußert wurde. Peter Joseph will seine Kritik tatsächlich an der Wurzel des Systems ansetzen und greift dabei die Grundlagen des Kapitalismus frontal an: Geld, Markt, Warenproduktion und Finanzkapital.

Der Film zieht in den ersten drei Kapiteln thematisch immer größere Kreise, vom Individuum über die Gesellschaft bis hin zum Planeten. Der erste Teil des Films, der sich mit dem ideologischen Konstrukt einer „menschlichen Natur“ auseinandersetzt, kann als der gelungenste betrachtet werden. Hier zerlegen mehrere Wissenschaftler die weitverbreiteten Mythen eines genetischen Determinismus als Ursache von Charaktereigenschaften oder kriminellem Verhalten, wie auch die Idee einer in unserer genetischen Disposition gründenden menschlichen Natur. Der ideologische Charakter dieses genetischen Determinismus als ein „Weg zu sagen, wie die Dinge sind, ohne die Art und Weise zu gefährden, wie die Dinge sind“, wird deutlich benannt. Am Fallbeispiel der Disposition zu Suchterkrankungen – die als eine Reaktion auf traumatische Kindheitserlebnisse interpretiert werden – wird dargelegt, wie das Individuum seit der frühen Kindheit im Wechselspiel mit seiner Umgebung geformt wird und wie gesamtgesellschaftliche soziale und ökonomische Faktoren bis in die intimsten zwischenmenschlichen Beziehungen hineinwirken. „Die elterliche Erfahrung, wie einfach oder wie hart das Leben ist, wird an die Kinder weitergegeben. … Das frühe Leben ist ein Vorgeschmack auf die Welt, in der du leben wirst.“ Eine „menschliche Natur“ als solche gebe es nicht, es mache nur Sinn, von der „menschlichen Natur“ in Zusammenhang mit menschlichen Bedürfnissen zu sprechen. „Unsere Natur besteht darin, nicht von der Natur eingeschränkt zu sein“, die Menschen werden durch ihre Gesellschaft geformt, wie es der Neuro- und Verhaltensbiologe Robert Sapolsky formulierte.

Diese individuelle Perspektive, die Rückkopplung auf die menschlichen Bedürfnisse, wird auch bei der Auseinandersetzung mit der „sozialen Pathologie“ beibehalten, unter der unsere Gesellschaft subsumiert wird. Beeindruckend sind auch alle Filmsequenzen, bei denen der beständig zunehmende Konkurrenzkampf – das ewige Rattenrennen, bei dem jeder gegen jeden antritt – mit den gesundheitlichen Folgen für breite Bevölkerungskreise konfrontiert wird. Die Genese des kapitalistischen Menschenbildes, das den Menschen als des Menschen Wolf ansieht, wird vom Kopf auf die Füße gestellt, indem diese Ideologie auf die Herrschafts- und Ausbeutungsstrukturen im Kapitalismus zurückgeführt wird.

Die folgenden Kapitel, die sich mit den verheerenden gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des kapitalistischen Marktsystems auseinandersetzen, kranken hingegen an einem fehlenden Kapitalbegriff. Dies soll nicht heißen, dass es in der zweiten Filmhälfte keine interessanten, wirklich an den Wurzeln der kapitalistischen Misere ansetzenden Passagen gäbe, doch fehlt diesen – teilweise sich selbst widersprechenden – Ausführungen der gemeinsame Nenner, der die disparat geschilderten Phänomene in Zusammenhang bringen würde. Der Film schildert den Konsum- und Wachstumszwang, die daraus resultierende Verschwendung ökologischer Ressourcen, die zunehmende soziale Ausdifferenzierung, die seit Dekaden schwelende Krise der Arbeitsgesellschaft und auch die globale Verschuldungsdynamik – doch gerade die gemeinsame Grundlage dieser Phänomene in dem krisenhaften Prozess der Kapitalakkumulation, der an innere und äußere Schranken stößt, wird nicht explizit benannt. Peter Joseph schafft es durchaus, gewisse Momente des Prozesses der Kapitalverwertung, bei dem ja das Kapital beständig seine Form von Geld über Waren zu mehr Geld (G-W-G) wechselt, zu erfassen. Doch eben diesen Verwertungsprozess selbst – denn nur aus dieser sich selbst zum Zweck dienenden Bewegung der uferlosen Akkumulation heraus ist Kapital zu verstehen – haben die Macher von Zeitgeist: Moving Forward bei aller Radikalität nicht erfasst. Stattdessen wird im Film verkürzt über „Geldsequenzen“ fabuliert, denen die Marktsubjekte hinterherliefen.

Hieraus resultieren dann die ernsthaften Mängel, die dieses monumentale Werk aufweist. Etwa wenn Geld einfach mit Schulden gleichgesetzt wird und diesem im Endeffekt kein Wert als solcher beigemessen wird – was ja aus rein naturalistischer Perspektive stimmen mag , aber die gesellschaftliche Funktion des Geldes als allgemeines Wertäquivalent nicht berücksichtigt. Generell sind die Abschnitte des Films, die sich mit dem Finanzsystem auseinandersetzen, misslungen, sie führen den Zuschauer in die Irre. Das ist umso bedauerlicher, da der Film ansonsten in vielen Punkten eine bislang von diesem Medium nicht gekannte Radikalität durchhält, die sich auch beim Entwurf der gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus manifestiert.

Unter dem Titel „Globale ressourcenbasierte Wirtschaft“ wird in einigen logischen Schritten ein Gegenmodell entworfen, bei dem die nachhaltige Förderung, Distribution und Verarbeitung der global vorhandenen Ressourcen in Übereinstimmung mit den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen geschildert wird, die unter Zuhilfenahme fortgeschrittenster Informationstechnik und Automatisierung in höchster Effizienz und Ressourcenschonung bewerkstelligt werden soll. Markt, Geld, soziale Hierarchien und Privateigentum an Produktionsmitteln sollen hierbei überwunden werden. Der radikale Gedankenschritt, der hier gemacht wird, verliert aber sehr viel von seiner Wirkung, sobald die Argumentation – in objektiv unnötiger Weise – immer mehr in Details geht und die Stadtentwürfe des US-amerikanischen Architekten und Futuristen Jacque Fresco als verbindliche und absolut „logische“ Vorbilder künftiger Urbanität propagiert. Joseph wirbt hier mit dem Anspruch wissenschaftlicher Objektivität für die urbanen Visionen seines Mentors, die vielen Zuschauern ob ihrer Sterilität kalte Schauer über den Rücken jagen dürften. In diesen Passagen driftet der Film in Ideologie ab.

Ebenso problematisch ist die naive Wissenschaftsgläubigkeit der Filmemacher, wie auch der sich um Joseph und Fresco formierenden Zeitgeist-Bewegung, die die Umsetzung der anvisierten sozialen Transformation realisieren soll. Joseph und Fresco sollten sich vielleicht einmal fragen, wieso die von ihnen vergötterte Wissenschaft seit ihrer Etablierung im Gefolge der Durchsetzung der kapitalistischen Wirtschaftsweise zur Zementierung und Optimierung von Ausbeutung und Unterdrückung so überaus erfolgreich eingesetzt werden konnte.

Dennoch schreitet Peter Joseph mit Zeitgeist: Moving Forward in die richtige Richtung voran. Der Film trifft tatsächlich den Zeitgeist, der Kapitalismus verliert gerade den ideologischen Schleier einer naturwüchsigen, natürlichen Gesellschaftsordnung. Mit einer beispiellosen Geschwindigkeit gewinnt dieser dritte Zeitgeist-Film derzeit an Popularität: Allein auf Youtube konnte das Epos bereits nach knapp zwei Wochen gut 2,5 Millionen Zugriffe verzeichnen. Es ist, als ob das allgegenwärtige Hintergrundrauschen der Kulturindustrie – ähnlich der Anfangssequenz des Films – zur Kenntlichkeit geronnen wäre und seine omnipräsente Deutungshoheit über die Realität verlöre. Immer mehr Menschen wachen aus diesem massenmedial induzierten Schlaf auf, in dem sie durch die Kulturindustrie, durch die Gesellschaft des Spektakels gefangen gehalten wurden, um zu erkennen, in welcher kaputten, die elementarsten menschlichen Bedürfnisse negierenden Welt sie leben. Es ist der allumfassende Krisenprozess der kapitalistischen Gesellschaftsformation, wie er eindringlich im vierten Teil des Films dargelegt wurde, der den Kollaps der ideologischen kapitalistischen Matrix ermöglicht. Trotz aller oben dargelegten Mängel besteht das Verdienst dieses Films darin, diesem Prozess des massenhaften Ankommens in der „Wüste des Realen“, in einer vom Prozess der nur noch dem Selbstzweck dienenden Kapitalverwertung verwüsteten Welt, eine ungeheure Dynamisierung verliehen zu haben.

Link zum Film:

aus: www.hintergrund.de, 09.02.2011

Thesen zum Zeitgeist Movement

Post from: Streifzüge. Liebe Leute: Allein hier zu schreiben, dass wir ein Leben ohne Geld wollen, kostet welches. Wer unsere Texte mag, soll dazu beitragen, dass sie hier (ent)stehen können. Wenn wer sich’s leisten kann. Eh klar. Dann aber seid so lieb: Her mit der Marie! Löst uns aus!



Thesen zum Zeitgeist Movement

von Franz Nahrada

1. Der Film “Zeitgeist:Moving Forward” ist eine längst fällige Abrechnung mit lähmenden und dominanten Ideologien, ein erfrischendes und monumentales Statement gegen den Zeitgeist der letzten Jahrzehnte.

1.1. Der Film nimmt seinen Ausgangspunkt beim Konstrukt einer menschlichen Natur, der die gegenwärtige Gesellschaft entsprechen soll und weist nach, dass die Verhaltensdispositionen weitgehend selbst hergestellt sind (Zum Beispiel anhand des Zusammenhangs von Gewalt in der Familie und späterer Gewaltbereitschaft). Das was oberflächlich als Egoismus oder Altruismus bezeichnet wird, liegt nicht in den Genen, sondern wird von tiefen – zumeist sehr frühkindlichen – Erfahrungen geformt.

1.2.1. Bestimmt so das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein und Verhalten, wendet sich der Film eben diesem gesellschaftlichen Sein zu. In einer fundamentalen Kritik werden die zwei Doppelmonster Warenproduktion und Finanzsystem vorgeführt, die zu einer notwendigen tragischen Fehlentwicklung von menschlicher Gesellschaft führen müssen, die sich selbst zunehmend ad absurdum führt. Materieller Reichtum akkumuliert sich selbstzweckhaft und ohne Rücksicht auf seinen Sinn oder seine Bedingungen, der Konsum ist nur Mittel dieser Akkumulation und daher zur systemischen Verschwendung verkommen. Geld als die ultimate und dauerhafte Gestalt dieses Reichtums ist folgerichtig gar nicht an realen Reichtum als Substanz gebunden und entwickelt in sich selbst noch einmal ein unheimliches Eigenleben, indem es als reine Spekulation auf zukünftige Vermehrung geschaffen wird, also eigentlich substanzloser Bezug auf sich selbst ist.

1.2.2. Gerade darin, durch seine schiere Größe und Wucht, bestätigt sichdas zum Finanzkapital aufgestiegene Geld als das Ermächtigungsmittel einer schrankenlosen Diktatur über alle Lebenschancen, das erst durch die folgerichtige Krise, aber doch immer nur zum Teil, vernichtet wird, um nach dieser Häutung den nächsten Zyklus zu beginnen. Die Darstellung versäumt es zwar, den inneren Zusammenhang von Warensystem und Geldsystem darzustellen, doch schon die äußere Krise, die Krise fast aller materiellen Ressourcen, zeigt dass dieses Doppelsystem zur existentiellen Gefahr für das Fortbestehen der Menschheit geworden ist.

1.3. Der Film wagt es auszusprechen was die einzig richtige Konsequenz dieser Gefahr ist: Beides, das Warensystem UND das Geldsystem und damit aber auch der gesamte Überbau der auf ihm beruhenden, gewaltsamen und verschwenderischen gesellschaftlichen Instanzen müssen abgeschafft werden. Eine Alternative ist denkbar und machbar, sie ist überfällig und notwendig – eine Alternative, die vom menschlichen Bedürfnis und den natürlichen Ressourcen ihren Ausgangspunkt nimmt und ihren inneren Bezug vernünftig organisiert. Zugleich ist diese Alternative von Anfang an nur als globale Alternative denkbar, denn wir leben längst in einer tausendfach vernetzten und verketteten Welt. Abstrahieren wir für einen Moment von der totalitären Einschränkung durch die Form des gesellschaftlichen Reichtums, so stehen uns noch immer genug Mittel zur Verfügung, eine Welt des guten Lebens für alle einzurichten.

1.4. Die praktische Schwierigkeit dieses Überganges ist freilich ungeheuerlich groß. Der Film endet in einer optimistischen Vision einer globalen Protestbewegung, die die Herrschenden zur Abdankung zwingt, warnt aber zugleich vor dem Dilemma, in eine Gewaltkonkurrenz gezwungen zu werden.

2. Soweit eine Würdigung des Films, der in einer neuen und drastischen Wendung auch die Macht der Medien und des Netzes bei der Bildung neuer und bedeutender sozialer Bewegungen zeigt. Ohne Zweifel ist durch diesen Film und die gut besuchten Screenings die Existenz einer globalen Bewegung bestätigt, ohne dass wir noch wüssten, was die nächsten Schritte, die Strategie und die Kampfmittel dieser Bewegung sein werden. Es scheint ein hoher Bewusstseinsstand zu herrschen der diese Bewegung dazu bringt, sich vom traditionellen Marxismus abzugrenzen:

“Wir werden aufhören, das System zu unterstützen, während wir zur selben Zeit konstant Wissen, Frieden, Einheit und Mitgefühl befürworten und verbreiten werden. Wir können nicht “gegen das System kämpfen”. Hass, Wut und die “Kriegsmentalität” haben als Weg zur Veränderung versagt, da sie sich der selben Mittel der korrupten, etablierten Mächte bedienen, welche sie als Werkzeug zur Wahrung der Kontrolle einsetzen.” (Christian Kogler/Zeitgeist Website)

Die Bewegung ist zunächst weniger Subjekt als Katalysator; es ist der massenhaft verstärkte Druck der besseren Einsicht, der Menschen dazu bringt, ihren realen Lebensprozess revolutionieren zu wollen:

Wie machen wir den ersten Schritt, wie sollen wir den Übergang schaffen?” Das ist natürlich die schwerste Frage. Die Antwort: Irgendwo müssen wir anfangen! Es gibt viele Dinge, die eine Einzelperson oder Gruppe tun kann, um dieser Vision Gestalt zu geben. Der wichtigste Schritt ist Bildung. (Jacob Olszewski/Zeitgeist Website)

Und im Unterschied zu vorangegangen Bildungsbewegungen, die es sich sich in der Selbstbezüglichkeit ihrer besseren Einsichten sektenhaft gemütlich gemacht haben, sucht die Zeitgeist – Bewegung den Dialog. Dahinter steht die richtige Einsicht, dass es durchaus die intellektuellen Ressourcen des herrschenden Systems selber sind, die anzusprechen wären. Gerade diejenigen, deren Beruf es ist, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse am Laufen zu halten, sind nicht einfach Funktionäre der Ware und des Geldes; sie sind vielmehr in ihrer Tätigkeit zunehmend mit der Tatsache konfrontiert dass die “Sachzwänge” die die Budgets und Buchhaltungen regieren eine vernünftige Erfüllung ihrer Aufgaben schlechterdings unmöglich machen. Der beständige Zwang die eigenen Ansprüche, die eigene Arbeit als Erzieher, Verwalter, Experte, Mediziner, Wissenschaftler und so weiter an diesen Sachzwängen zu relativieren und zu akkomodieren und die Produktion von menschlichem Elend erleben zu müssen, kann nur selbst zu menschlichen Tragödien und zu einem Gefühl der zunehmenden Uneträglichkeit führen.

Gerade dort, wo Intellektuelle direkt mit Fragen der gesellschaftlichen Reproduktion beschäftigt sind, wird man hinter vorgehaltener Hand erfahren wie sehr sie die offiziell verkündeten Botschaften des Zynismus bezichtigen. Und wo sie es nicht direkt sind, in der Kunst- und Ideologieproduktion, wird die Freude am schönen Schein immer schaler und der hohe Status der selbstzufriedenen Weltfremdheit nimmt ab.

Nach fünfundreißig bleiernen Jahren kehrt also fundamentale Gesellschaftskritik zurück, verstärkt und beschleunigt durch das Netz. Und sie kehrt vermutlich in einer gereiften Form zurück, nicht mehr in der irrigen Annahme, dass alle Fragen prinzipiell geklärt seien und nur mehr die Wissenden die Unwissenden zu belehren hätten.

3. In diesem Sinn hat sich die Zeitgeist Bewegung auch an mich gewandt, den Film zu kommentieren. Ich werde im folgenden versuchen, Kritik zu üben, nachdem ich die Würdigung bereits geleistet habe. In einem Wort: der Film hat eine wichtige Botschaft, aber er enthält noch viele Fehler, die hoffentlich im Lauf der Zeit zu korrigieren sein werden.

3.1. Zunächst laboriert der Film wie die gesamte Zeitgeist – Bewegung an einem Selbstwiderspruch: das Projekt einer neuen Gesellschaft wird vorgestellt, ohne es selbst dem Prinzip einer kritischen Selbstüberprüfung und Experimentation auszusetzen. In einer wunderbaren Stelle des Filmes spricht Jacques Fresco über die “Formelgläubigkeit” der Wissenschaft und die Tendenz, die kritische Rolle des Experimentes bei der Entwicklung von Lösungen zu vergessen. Er tut dies am Beispiel der Entwicklung des Flugzeuges. Eine logische Konsequenz müsste also sein, dass die Bewegung die Realisierung eines Experimentalraumes für Ressourcenbasierende Wirtschaft fordert, dies geradezu zu einem leidenschaftlichen Anliegen macht. Die “Erfindung” einer geldfreien Gesellschaft und einer ressourcenbasierenden Ökonomie lässt sich nicht im Ernst mit der Bemerkung (im Film) abtun, das “jede größere Supermarktkette dies im Kleinen schon vorwegnimmt”. Das erinnert ein wenig an die unsäglich dumme Aussage eines marxistischen Teach-In Redners in den Siebzigern, die Planwirtschaft sei deswegen kein theoretisches Problem weil ja auch die Züge der Bundesbahn planmäßig führen (was übrigens damals noch der Fall war). Die Arroganz und Ignoranz dieses Arguments ist kaum zu überbieten. Es handelt sich dabei auch um kein quantitatives Problem oder ein Problem lediglich gesteigerter Komplexität, sondern um einen vollkommenen qualitativen Unterschied. Wir sprechen hier von einem Projekt einer partizipativen und über die Bedürfnisse der Menschen konstituierten Produktion, einem inhärent dynamischen Vorgang der möglichst vielen Varianten Rechnung tragen und alle Rahmenbedingungen einbeziehen soll. Das Ganze übrigens unter der Voraussetzung einer kapitalistisch vorgegebenen, vollkommen überzogenen Totalvergesellschaftung, die in ihren prekären Rahmenbedingungen schlechterdings nicht planbar ist. Alle diese Auseinandersetzungen über den notwendigen Rückbau, die aspektuelle Autarkie von Teilsystemen als notwendige Bedingung zur Lebensfähigkeit des Ganzen usw. werden noch zu führen sein: doch bleibt in jedem Fall der Widerspruch schon stehen, dass das Neue “dogmatisch antizipiert wird”, anstatt dass es inmitten der alten Welt schon keimhaft seine Wahrheit unter Beweis gestellt hätte. Noch niemals hat sich geselschaftliche Entwicklung so vollzogen, und wir tun gut daran, historischer Erfahrung zu vertrauen, wenn wir tatsächlich Geschichte schreiben wollen. Adam Smith wies in seinem “Wealth of Nations” auf die erfolgreiche Praxis in Oberitalien und Flandern hin, als er seinen adligen Lesern die Einführung von Kapitalismus und freier Lohnarbeit als Reichtumsquelle für moderne Kriegsführung anempfahl.

3.2. Der zweite Punkt scheint mir ebenso fundamental wie der erste: Jacques Fresco, der geistige Ahnvater der Zeitgeist – Bewegung, postuliert eine immanente Logik des Zusammenhanges von Bedürfnis und Produktion, wie sie nur aus dem abstrakten Denken eines modernistischen Stadtplaners entspringen kann. Nicht die Menschen und ihre kulturelle Verschiedenheit, ihre Verwurzelung mit Werthaltungen und Lebensprozessen sind der prägende Faktor der Gestaltung ihres Lebenssystems, sondern eine mathematisch zu berechnende Idealformel, aus der folgt dass wir in kreisförmigen Städten leben werden, die versorgungsoptimiert geplant und realisiert sind. Meine erste Reaktion darauf war: in dieser Stadt würde ich nicht wirklich leben wollen, sie ist wirklichkeitsentleert wie Huxleys Brave New World. Nicht dass es ab und zu ganz angenehm wäre, in diesem gigantischen Erholungsheim dahinzudösen oder Spektakel aufzuführen – aber auf die Dauer wäre das eine eintönige Umgebung, in der es keinen Spaß macht zu erfinden oder kreativ zu sein. Kluge Utopisten wie Franz Werfel (Stern der Ungeborenen) oder Hermann Hesse (Glasperlenspiel) haben diese Idealwelt ihrer immanenten Menschenfeindlichkeit überführt. Ich möchte als provokative Antithese zu Frescos Idealstadt ganz bewusst das Gegenbild des Dorfes einführen, in der der Mensch nach wie vor mit dem Nichtverfügbaren der Natur als ewigem Dialogpartner und Konterpart konfrontiert ist – nicht um sich ihr zu unterwerfen oder vor ihr zu kapitulieren, sondern um in immer neuer Form mit ihr ein dynamisches Spiel der Umgestaltung und Transformation zu spielen, durch das er selbst erst Zugang zur Quelle seiner Lebendigkeit findet.

Ernst genommen hieß das einen wesentlich größeren Freiraum der menschlichen Gestaltung von Lebenswelten und Lebensformen zu fordern, dem Individuum auch die Freiheit geben zwischen solchen Lebensformen zu wählen. Der Schweizer Visionär P.M. stellt deswegen auch die Form der kleinräumigen kooperativen Lebensgestaltung in den Mittelpunkt (Life Maintainance Organisation, bolo), deren Qualität gerade ihre Diversität ist, die Fülle an menschlichen Lebensentwürfen und dementsprechend gewählten “Bühnen” (aber nicht im Sinn eines Spektakels), in denen Werte und Muster in Resonanz miteinander gehen können.

3.3. Das leitet schließlich auch zum dritten Hauptargument über, das ich hier noch anführen muss. Weder wird die derzeit offizielle Vision der Zeitgeist – Bewegung unseren Möglichkeiten gerecht noch der tatsächlichen Beschränkung unserer Ressourcen. Wir haben vielleicht gar nicht mehr die Zeit und die Mittel, in unserer Lebensspanne die Frescoschen Idealstädte zu bauen, aber wir haben eine Fülle von Möglichkeiten des organischen Umbaues unserer derzeitigen Lebensräume. Im Film wird – leider -eine ganz, ganz wichtige Unterscheidung nicht gemacht, die konstitutiv für die vollkommen veränderten Perspektiven unserer Zeit ist. McLuhan hat sie am besten herausgearbeitet, indem er der Gleichsetzung von Automatisierung und Mechanisierung bzw. Industrialisierung ihren scharfen Unterschied entgegensetzte.

Industrialisierung verlangt große, zentralisierte, standardisierte Lebenswelten, städtische Lebensräume am besten, in denen gewaltige Inputs zu großen Outputs verarbeitet werden müssen. Automatisierung kann in alle Lebenswelten vordringen, auch in die peripheren, sich dort in vorhandene Kreisläufe eingliedern und diese optimieren. Sie ist, wie McLuhan sagt, inhärent dezentralistisch und antihierarchisch. Toffler hat gezeigt, wie die Industrie selber stofflich und technisch gesehen zur Mutter der Automatisierung wurde und eine Fülle von Produkten hervorbrachte, die selber ihre lokale Produktionsintelligenz mitbringen, die durch globale Vernetzung der dezentralen Produktionsaggregate eine neue lokale Renaissance einleiten können.

All dies fehlt in Frescos Vision, uns sollte von der Zeitgeist Bewegung neu bedacht werden – auch und gerade um handlungsfähig zu bleiben in einer Gesellschaft die die Erde fast aller leicht verfügbaren Ressourcen beraubt hat (der Film zeigt auch dankenswerterweise, wie schwierig die Wiedergewinnung dieser Ressourcen über Jahrzehnte und Jahrhunderte sein wird). Wir müssen uns auf eine langsame Periode der Erholung einstellen, auf eine Entschleunigung. Deswegen ist es heute wichtig, die Einsichten der Transition – Bewegung mit den erfrischen radikalen und klaren Thesen der Zeitgeist Bewegung hinsichtlich des Waren- und Geldsystems zu verknüpfen.

4. Damit vermeiden wir auch einen historischen Fehler, der uns viel zu wenig bewusst ist: den Verlust und das Leid, das mit einem totalen Bruch, mit der scheinbar so jugendfrohen Emphase des Einreißens, Ausreißens und Neuaufbauens verbunden ist. Revolutionen sind tiefe Wunden, die Gesellschaften für Generationen erschüttern, und die Kunst der Geburtshilfe einer neuen Gesellschaft besteht darin, solche Wunden möglichst zu vermeiden – ohne das eigene Anliegen aufzugeben.

Vom Schöpfen

Post from: Streifzüge. Liebe Leute: Allein hier zu schreiben, dass wir ein Leben ohne Geld wollen, kostet welches. Wer unsere Texte mag, soll dazu beitragen, dass sie hier (ent)stehen können. Wenn wer sich’s leisten kann. Eh klar. Dann aber seid so lieb: Her mit der Marie! Löst uns aus!



Vom Schöpfen

Einwürfe jenseits des Bilderverbots

Streifzüge 45/2009

von Franz Schandl

In folgendem Beitrag soll das Schöpfen im Sinne von Schaffen wie Entnehmen der heutigen Praxis des Kaufens und Verkaufens gegenübergestellt werden. Wie ist direkte Vergesellschaftung denkbar? Wie können wir uns in Stoffen und Diensten aufeinander beziehen, ohne auf ein Medium, also Geld als entwickeltes Tauschmittel angewiesen zu sein? Wie kommt uns zu, was wir brauchen, ohne dafür zu zahlen?

Die Frage nach dem Jenseits des Kapitalismus ist eine brandaktuelle, keine, die irgendwo in ferner Zukunft liegt, sondern eine, die jetzt, hier und heute gestellt werden muss, um geschichtsmächtig werden zu können. Sie garantiert nichts, aber ohne sie geht gar nichts, ohne sie regiert eine fahle Illusionslosigkeit, die sich dann noch als Realismus abfeiert und doch nichts anderes darstellt als passive Affirmation.

Über Perspektive zu reden, ist freilich schwierig, begibt man sich doch auf ein Terrain, das mehr Unsicherheiten birgt als die Denkerstube. Perspektive, das hat immer etwas Handfestes und Konkretes. Als Theoretiker sollte man sich davor hüten. So muss gar nicht erst verboten werden, was wir uns selbst verbieten. Der leidige Theoretiker erscheint so des Öfteren als das bloß kritisierende Subjekt. Als fensterloses Wesen, das laut schimpft, aber eigentlich schwarzsieht, schwarzmalt und schwarze Bücher schreibt. Es übersetzt die Skepsis des Denkens in einen Pessimismus des Handelns, praktisch hält es sich nicht nur zurück, sondern gänzlich raus. Da sowieso nichts geht, ist jedes Probieren ein Griff daneben. Experimente? Da ist die Unlust größer als die Lust. So korrespondiert das kategorische Nein durch den selbstverordneten Attentismus in eigenartiger Weise mit dem Vorgefundenen, das es zu überwinden versucht.

Dass man das Denken nicht einfach herunterbrechen darf, gilt gemeinhin als Grundsatz kritischer Theorie. Indes, das zeichnet sie nicht aus, sondern enthebt sie jedweder Verantwortung. Umgekehrt, die Aufgabe besteht darin, sie herunterzubrechen, sie nicht zu belassen auf den Türmen der Erkenntnis in der Verwaltung mönchischer Orden, sondern jene als Geschenk den “Niederungen” anzubieten. Erkenntnis wird nur angenommen werden, wenn sie nicht als Besserwisserei daherkommt. Ideen haben nur dann Kraft, wenn sie viele Köpfe ergreifen und mehr noch, wenn sie Teil des Gefühls werden.

Zweifellos ist es eine zwänglerische Überforderung der Kritik, jedes Mal von ihr stante pede eine Alternative einzufordern. Es ist aber genauso eine Unterforderung, sie und sich von diesem Anspruch gänzlich zu befreien. Im Gegenteil. Zuletzt muss Kritik sagen können, was sie will, und nicht bloß, was sie nicht will. Nur aus dieser Transformation lässt sich emanzipatorische Praxis, die notwendige Energie und Kraft für den Umsturz gewinnen.

Nun denn, machen wir uns schmutzig. Malen wir aus. Das Bilderverbot ist hiermit aufgehoben. Wobei dieses Sehen keine Beschau oder gar Weltanschauung sein kann, sondern der bewusste Versuch, sich mittels Perspektive in Bewegung zu setzen und Dynamik zu erzeugen.

Äquivalenzen

Geben und Nehmen sind überhistorische Konstanten, quasi ontische Größen der menschlichen Entwicklung. Da sie allerdings heute primär als Tausch von realen oder vermeintlichen Äquivalenten erscheinen, gelten das Tauschen und mit ihm das Kaufen und Verkaufen als unwiderrufliche Tatsachen. Doch dieser Schluss ist ein Trugschluss. Geben und Nehmen sind vielmehr vom vermeintlichen Nenner des Tauschens zu befreien. Der Tausch und noch deutlicher das Geschäft beschreiben lediglich geschichtsmächtige Verknüpfungen, die sich in arroganter Weise als unhintergehbare Selbstverständlichkeit behaupten. Gerade der gesunde Menschenverstand halluziniert sich so manche Besonderheit als Allgemeinheit.

Von Tausch sprechen wir hier, wenn Geben und Nehmen als äquivalenter Stoffwechsel fungieren, wenn Reziprozität eingefordert wird. Wenn sie als feste Beziehung gleicher Werte in Erscheinung treten und ehern aneinandergeknüpft sind. Nicht jede gegenseitige Transaktion ist daher ein Tausch, sondern nur solche, wo beide Seiten als gleichwertige und gleichgültige aufeinandertreffen und den Platz wechseln. Im Akt des Tausches wird von seinen Inhalten abstrahiert und auf ein gemeinsames Quantum geronnener Arbeit, also Wert geschlossen. Ob diese Rechnung heute noch stimmig ist und aufgehen kann, ist da schon eine andere Frage. Tatsächlich orientieren wir uns aber nach wie vor krampfhaft an dieser Abstraktion.

Dass gegeben und genommen werden muss, ist eine platte Bestimmung menschlichen Daseins und Fortkommens. Es wird gegeben und genommen werden. Aber es soll nicht genommen werden, weil gegeben wird, und umgekehrt. Reziprozität ist zu überwinden. Geben und Nehmen sind aus ihrer gegenseitigen Aneinanderkettung zu befreien. Auf der Tagesordnung steht der Schritt von der negativen Vergesellschaftung der abstrakten Arbeit hin zu einer positiven Vergesellschaftung durch konkrete Tätigkeiten, die danach fragen, was gewünscht wird, und dementsprechend Güter und Leistungen bereitstellen. Das Bedürfnis gestaltete sich demnach jenseits einer heute allgegenwärtigen (wenn auch stets schwieriger zu bewerkstelligenden) In-Wert-Setzung, es wäre eine einfache Anforderung, nicht eine doppelt kodifizierte Angelegenheit. Der Wert hätte selbstredend als Prinzip ausgedient.

Entfetischisierung

In seiner Kritik am Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokraten hält Karl Marx eindeutig fest: “Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebensowenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.” (MEW 19:19-20) Es gilt: “Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!” (MEW 19:21)

Eines der hartnäckigsten Vorurteile ist, dass Geld die Leute zu den Waren führt. Das Gegenteil ist wahr: Geld hindert am Zugriff. Die gesamte Geldwirtschaft ist schwerfällig, weil sie die Menschen von ihren Lebensmitteln trennt: “Der größte Teil der heute verrichteten gesellschaftlichen Arbeit hat keinen anderen Zweck als den abstrusen, allen Gesellschaftsmitgliedern den direkten Zugang zum stofflichen Reichtum zu versperren”, schreibt Gaston Valdiva. (Zeitverschwendung Marktwirtschaft, in: Dead Men Working, S. 232) Der Kapitalismus setzt nicht auf Zuwendung, sondern auf Verknappung. Diese kann bloß mit Geld durchbrochen werden. Allen Waren ist eine Geldsperre eingebaut, wo nur solche Zugang finden, die den entsprechenden Preis entrichten können. Aneignung setzt Zahlung voraus.

Worum es in einer zukünftigen Gesellschaft geht, das ist die Aufhebung der Zirkulation als eigenständige Sphäre, ihre Rücknahme in eine profane und sinnliche Distribution von Gütern. “Die tatsächliche Abschaffung der Zirkulation müsste logischerweise identisch sein mit der Abschaffung des Geldes und der Institutionen des Marktes überhaupt”, schreibt Robert Kurz. (Der Kollaps der Modernisierung, Frankfurt am Main 1991, S. 78)

Das Zeitalter bewusster Entschlüsse, das steht erst bevor. Was brauchen die Leute? Was möchten sie? Was könnte notwendig sein? Was sinnvoll? Jedem und jeder nach seinen und ihren Bedürfnissen hieße dann, dass ich etwas bekomme, ohne unmittelbar etwas Äquivalentes dafür aufbieten zu müssen. Meine Eingabe wird nicht an meiner Herausnahme gemessen. Menschen werden als soziale Wesen anerkannt, die von den anderen ihrer Gattung zu schützen und zu hegen sind, auf dass sie sich entfalten und so ebenfalls adäquate und gesellige Beiträge einbringen können. Und wollen. Ohne Zwang. Der “Umweg” (Marx) über die Abstraktifizierung von Arbeit würde verschwinden. Denn die Frage nach der Leistbarkeit, also der Zwang zur freiheitlichen Kostenfrage, müsste in einer emanzipierten Assoziation durch Ergänzungsfragen ersetzt sein: “Was will ich?” “Was noch?” Dies wird dann bei den Entnahmestellen geholt oder zugestellt. Unvorstellbar? Warum?

Was ansteht, ist eine Entfetischisierung des Stoffwechsels, was heißt: zu Gütern zu kommen, ohne sie kaufen zu müssen. Nicht Geld gilt es aufzustellen, sondern einzig und allein die Produkte und Leistungen, Geräte und Zusprüche zur Verfügung zu stellen, um ein Leben in Wohlversorgtheit führen zu können. Nichts hätte mehr rentabel oder geschäftsfähig zu sein, alles stünde für sich. Man stelle sich nur vor: Nahrung um des Essens willen, Bücher um des Lesens willen, Bauten um des Wohnens willen. Kein Gedanke würde mehr verschwendet werden, ob ein Produkt oder eine Leistung am Markt bestehen kann, das wäre kein Kriterium. Insbesondre hätten Menschen sich nicht mehr zu verdingen, um sich auf etwas zu beziehen.

Aufbauend auf einer kooperativen und solidarischen Grundstimmung, haben wir es sodann mit Menschen zu tun, die nicht als Konkurrenten gegeneinander antreten. Zuversicht, die auf sozialer Geborgenheit aufbaut, lässt Versorgung wie Verantwortung nie abreißen. Sie besagt, dass es selbstverständlich ist, beizutragen wie zu entnehmen. Ich bin abhängig, aber ich werde nie abgehängt. Erst hier und so kann wahre Souveränität entstehen. “Nur der ist froh, der geben mag”, singt der Bettler in Goethes Faust. (Vers 857, Werke, Band 3, München 1986, S. 34) Geben kann freilich nur der, dem auch gegeben wird. Produziert wird für die konkrete Allgemeinheit, nicht für eine abstrakte des anonymen Geldes.

Abschaffungen

Geldverrichtung meint Zeitvernichtung. Der Unnötigkeiten sind viele: Zahlung, Rechnung, Kontrolle, Kontoführung, Buchhaltung, Besteuerung, Bezuschussung, Bewerbung – wir stecken im Geldverkehr, er ist der eigentliche Stoffwechsel, obwohl er diesem doch nur dienen soll. Die Zeit, in der wir Angebote vergleichen und selbst Angebote legen, nicht zu vergessen. Und Geld muss gehütet werden. Zu seiner Sicherheit benötigt es Wachpersonal, Tresore, Panzerwägen, Überwachungskameras, Geldautomaten, Alarmanlagen u.v.m. Nichts scheint schützenswürdiger.

Der Großteil der heutigen Arbeiten besteht aus Tätigkeiten, die unmittelbar mit dem Verrechnungswesen zu tun haben und somit an einer von Kapital (Zahlung) und Staat (Besteuerung, Bezuschussung) geschaffenen Notwendigkeit hängen. Dieser Teil dehnt sich nach wie vor aus, denken wir etwa an die rasante und voluminöse In-Preis-Setzung von Gesprächen durch Mobiltelefone. Während Kosten und Arbeitsverausgabung zur Herstellung der Produkte sinken, steigen die Aufwendungen, sie zu bewerben, zu verkaufen, zu besteuern – materiell wie finanziell! Nicht nur, dass eine Unzahl von Berufen sich ausschließlich damit beschäftigt, auch alle anderen Kopf- und Handarbeiter sind permanent am Kalkulieren und Rechnen. Es ist uns obligat. Nicht nur beim Ein- und Verkaufen, die ganze “Lebensplanung” veranstaltet sich als Kette von Kostenrechnungen. Immer wieder gilt es die bange Unfrage zu stellen: Können wir uns das leisten?

Viele Institutionen fungieren hauptsächlich oder zumindest partiell für den Geldfetisch: Banken und Versicherungen, Steuerberatungskanzleien und Mietervereinigungen, Gewerkschaften und Unternehmerverbände. Interessensvertretungen geht es in erster Linie um das Geld ihrer Klientel. Auch die Mehrzahl der staatlichen und öffentlichen Verwaltungstätigkeiten dient direkt dem Geldverkehr. Bei den Bürokratien handelt es sich um Geldumleitungsbehörden, geschuldet dem seltsamen Umstand, dass, ließe man den Markt alleine fuhrwerken, die unsichtbare Hand die Gesellschaft schon erschlagen hätte. Kurzum: Nicht nur die Produktion und Zirkulation, auch die Verwaltung ist zu demonetarisieren. Viele Sektoren des Sozial- und Rechtsstaats wären zu streichen.

Schon Marx bemerkte, dass unter der Herrschaft des Kapitals eine “Überzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen” (MEW 23:552) gegeben ist. Alles, was mit sekundärem, also monetärem Rechnungswesen zu tun hat, d.h. mit geschäftlicher Tätigkeit im engeren Sinn, wird fallen, ganze Berufe und Sparten sind abzuschaffen und man sollte diese auch beim Namen nennen: die Steuerberater, die Verkäufer, die Bankangestellten, die Versicherungsagenten, die Geldtransporteure, die Werbefritzen, die Schuldeneintreiber, die Mahnverrechner. Etc., etc., etc.

Rechnungen der Zukunft haben Rechnungen über Materialien und Dienste zu sein, nicht über Kosten derselben. “Denken wir uns die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, dass die Gesellschaft im voraus berechnen muss, wie viel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z.B. für längere Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Schwierigkeiten eintreten.”(MEW 24:316-317)

Die Liste fulminanter Abschaffungen und Reduzierungen wäre jedenfalls eine lange. Das hätte weitreichende Folgen: Exemplarisch würde der Energieverbrauch (Erdöl/Erdgas/Strom) sinken, ebenso der Konsum an Pharmazeutika. Und wenn der Mobilitätszwang fiele, gingen die Verkehrsunfälle sukzessive zurück, das hieße wiederum weniger Chirurgen und weniger Rehabilitationen. Weniger Flugkilometer bedeuten weniger Lärm, weniger Abgase, weniger Klimaerwärmung. Und so weiter und so fort. Selbst im Produktionsbereich würde sich viel Arbeit verflüchtigen. Man brauchte nicht nur kein Geld mehr zu drucken, auch das Reklamematerial (das einige Tage nach der Produktion im Papiercontainer landet) wäre überflüssig. Selbst die selige Autoindustrie würde in überschaubaren Kooperativen einen Bruchteil der Fahrzeuge ausstoßen, die aber zweifellos um vieles besser wären als die heutigen Gefährte.

Wir wollen also die Leute um ihre Jobs bringen? Genau das!! Durch ein Transformationsprogramm eminenter Abschaffungen könnten in einigen Durchgängen wahrscheinlich mehr als drei Viertel der Arbeiten einfach eingespart und entsorgt werden, ohne dass wir etwas verlieren. Einerseits würde viel Kraft und Energie für die Individuen frei werden, andererseits würden die Belastungen von Mensch und Umwelt abnehmen. Der von diversen Schwachsinnigkeiten befreite Alltag wäre dann tatsächlich ein anderer. Es wäre ein Aufatmen, zweifelsfrei.

Emanzipation setzt eine Unzahl von Abschaffungen voraus, die vor allem eins gewährleisten sollen: disponible Zeit, die nicht unter dem Druck der existenziellen Absicherung steht. Jene ist geradezu die Bedingung des Kommunismus. Er kann seine Dynamik und Möglichkeiten erst entfalten, wenn die Notwendigkeiten und Pflichten bloß einen unbeträchtlichen Aufwand erfordern, das Leben somit nicht unter dem Diktat des Überlebens steht. “Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. (…) Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann.” (MEW 25:828)

Die Freiheit kann nur so groß sein, wie die Notwendigkeit klein ist. Darin besteht die Aufgabe der Emanzipation, in der Befreiung von Notwendigkeiten, nicht in der Einsicht in diese, wie Hegel (Enzyklopädie, Werke 8, Frankfurt am Main 1986, S. 288 ff.) und nach ihm auch Engels (MEW 20:106) es noch nahelegten. Freilich werden die Notwendigkeiten nie ganz verschwinden und es werden auch in Zukunft Regelungen, ja sogar Verpflichtungen auszuhandeln sein.

Formlose Form

Das Herstellen, Weiterreichen und Bekommen von Gütern (materiellen wie immateriellen) ist in formloser Form zu bewerkstelligen. Das Hin und Her hat keine äußeren Zweckbestimmungen, schon gar nicht welche in Wert und Tausch. Freiheit meint Freiheit vom Markt. “Wir machen keine Ware, wir machen nur Geschenke”, sagte Bertolt Brecht (Baal). Das Geben und Nehmen ist von jeder fetischistischen Halluzination äquivalenter Arbeitsquanta zu befreien. Vielmehr geht es um ein gemeinsames Schöpfen, ein Begriff der beides, Geben und Nehmen, in sich zusammenfasst.

Bruch mit dem Fetischismus als dominierende Größe des Lebens heißt, dass kreative Individuen die Götzendiener (sei es für Gott oder Geld) als menschlichen Grundtypus ablösen. Schöpfung wird nicht länger ausgelagert, in ein Jenseits oder in einen Starkult projiziert. Sie wird reingeholt ins Leben. Der künstlerische Akzent des Terminus ist hier durchaus mehr als eine aromatische Duftnote. Tatsächlich werden sich die kreativen Aspekte der Tätigkeiten erhöhen. Auch die Produkte wären dann mehr individueller als serieller Natur. Da der Zwang zum Geldverdienen, zu Effizienz und Rationalisierung Geschichte ist, wird der Druck auf die Menschen schwinden.

Schöpfen wird verstanden als Kreieren und Schaffen, als Weitergeben und Entnehmen, Gebrauchen und Verzehren. Diese Vieldeutigkeit soll festhalten, dass Schöpfen als Aktion und Transaktion, als Habe und Konsumtion in einem zu verstehen ist. Geben und Nehmen wären in einem Gesamtprozess des Schöpfens aufgehoben. Schöpfen wäre somit ein unendlicher Prozess der Selbstschöpfung, die sich verändernd stets sich neu erschafft. Sie kennt individuelle wie kollektive Momente. Schöpfen funktioniert nicht auf der Ebene von Gleichungen und Messungen, sondern auf qualitativen Zueignungen. Als große Schenkung.

Schöpfung hat zweifelsfrei was von einer ultimativen Anmaßung, sie ist der Superlativ der Selbstermächtigung. Wobei der englische Begriff Empowerment hier günstiger wäre, da er nicht nach Selbstherrschaft und Ausnahmezustand riecht. Schöpfung ist auch nicht mit Verfügungsgewalt zu übersetzen. Fügung und Gewalt sind nicht Ziele emanzipatorischen Lebens, im Gegenteil, es soll nicht besessen, befohlen und verfügt, sondern solidarisch kooperiert werden. Voraussetzung dieser Selbstbestimmung sind Bedürfnis und Motivation. Verträglichkeit ist apriorisch gegeben, muss nicht durch gesonderte Rechtsakte extra konstituiert werden.

Bisher galt: “Was der Käufer einer Ware mit derselben anfangen will, ist dem Verkäufer durchaus gleichgültig.” (MEW 24:219) Als Käufer und Verkäufer, als Geld- und Warenbesitzer sind sich die Menschen einander herzlich egal. Diese Gleichgültigkeit ist Folge der Verdinglichung und Verhältnisse. Eben weil wir uns sachlich und nicht freundschaftlich in Beziehung setzen und quantifizierende Abgleichungen (Geschäfte) uns leiten. Eigennutz ist als Vor- und Nachteil codiert und wird auch so akzeptiert. Dieser unerträgliche Egoismus der Gleichgemachten sollte freilich nicht mit Individualismus verwechselt werden. Schon Oscar Wilde, und der war wohl der Prototyp eines Individualisten, hat diese Differenz treffend herausgearbeitet: “Der Individualismus wird ferner uneigennützig und ungeziert sein”, schrieb er 1891 in “Der Sozialismus und die Seele der Menschen”. (Zürich 1982, S. 65)

Künftig soll daher gelten: Die, die den Mantel geschneidert und genäht haben, wollen, dass denen, die den Mantel tragen, warm ist, das Kleidungsstück gefällt, es bequem sitzt und ganz einfach Freude macht. Was sonst? Die, die einen Apfelbaum pflanzen, wollen, dass die geernteten Früchte den anderen schmecken, dass sie gelobt werden für die Pflege. Was denn sonst? Der, der den Artikel schreibt, will, dass die Leser Genuss finden und Erkenntnisse gewinnen. Was denn sonst? Diese Aspekte können sich erst ungebrochen entfalten, wenn kein Geschäft ansteht, das Produkt nicht als Ware beworben und verkauft werden muss, und die Frage der Erzeugung keine der Kosten ist. Nicht das Geschäftskalkül entscheidet über Herstellung und Anschaffung eines Lebensmittels, sondern Güte und Begehren. Mit dieser Banalität kann die Komplexität der bürgerlichen Ökonomie nicht mithalten. Jene ist wahrlich banaler, als es der Hausverstand in seiner vertrackten Beschränktheit erlaubt.

Geben und Nehmen sind im Schöpfen nicht mehr bedingt, sondern unbedingt. Brauchen wir dafür nicht andere Menschen? Zweifellos, wen denn sonst. Die Leute können gar nicht so bleiben, wenn sie wollen, dass Menschen bleiben oder noch besser: werden sollen. Sollen wir ernsthaft keine anderen wollen als die formatierten Sorten und konformierten Typen, die wir haben? Sollen diese Konkurrenzidioten und Charaktermasken der Menschheit letzter Schluss sein? Wir, die Ultimaten?!? Das wäre doch fatal und nichts anderes als die Einladung zum kollektiven Selbstmord. “Mit den Verhältnissen wird aufgeräumt werden, und die Natur des Menschen wird aufgeräumt werden und die Natur des Menschen wird sich ändern. Das einzige, was man von der Natur des Menschen wirklich weiß, ist, dass sie sich ändert.” (Oscar Wilde, ebenda, S. 63) Das erst in die Geschichte eintretende Individuum ist weder ein Formatiertes noch ein Entformatiertes, es ist Ein-sich-selbst-Gestaltendes, somit der Schritt vom Es zum Ich.

Freie Assoziation

Nicht nur bei den Ressourcen, sondern auch bei allen Produktions- und Distributionsmitteln sollte es sich um Commons, also gesellschaftliche Güter handeln. Nichts soll Ware sein! Dass reziproke System von Leistung und Gegenleistung müsste auf allen Ebenen durchbrochen werden, es sollte ganz selbstverständlich werden, dass im einzelnen Fall Letztere nicht als Bedingung für Erstere genannt wird. Sich Beitrag und Entnahme abseits von Neid und Gier, Interesse und Konkurrenz vorzustellen, da tun wir uns heute schwer. Wie soll das funktionieren, schreit der gesunde Menschenverstand. Dass solch unkomplexe Handhabung möglich sein könnte, muss dem bürgerlichen Subjekt als vollendete Verrücktheit erscheinen. Wo kämen wir denn da hin? Der Mensch ist nicht so! Außerdem, das hat es doch noch nie gegeben. Einwände auf diesem Niveau gibt es hunderte. Indes wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, wollen wir nicht mehr so leben, wie wir uns zwingen, zu existieren. Erst mit diesem wirklich radikalen Inventar an Gedanken lässt sich der paradigmatische Bruch vorstellen. Und anstellen.

Privateigentum und Ware sollen durch Hab und Gut abgelöst werden. Habe ist nicht unbedingt als Eigentum und Recht denkbar, sondern als Vermögen und Gestaltungsfreiheit, die ihre Ausschließlichkeit inhaltlich (“Was ich esse, kann kein anderer essen”) und nicht formal begründet, in etwa: “Es gehört mir, daher kannst du es nicht haben, egal ob dich hungert oder friert, denn ich verfüge über einen gültigen Rechtstitel, den du mir nur durch Zahlung ablösen kannst.” Wie irre! Wichtig ist doch, ob jemand gut zu essen, zu trinken, zu wohnen und sich zu erfreuen hat, nicht ob ihm Speise, Getränk, Wohnung oder gar Lustbarkeiten gehören. Wie armselig sind wir, dass wir unsere Anliegen bloß via Rechtsanspruch befriedigen können, nicht als spontane Lebensäußerung. Das sagt eigentlich alles über das bescheidene Niveau unserer Sozietät. Tatsächlich, wir leben in der Vorgeschichte.

Heute sind Geben und Nehmen Konsequenzen der Auslöse einer Ware durch Geld. Im Kommunismus werden jedoch das Brauchen und das Zustehen als pragmatische Motive ausschlaggebend, einzig in Sondersituationen und bei Mangelprodukten werden begründete Ausnahmen (etwa Partizipationsscheine) unumgänglich sein. Nur hier wird ein spezifisches Aufteilen stattfinden. In den meisten Fällen ist es völlig überflüssig. Was zur Genüge vorhanden ist, muss nicht geteilt, sondern lediglich verteilt werden. Vorhandenheit und Bedürfnis sind die Kriterien der Versorgung. Man wird dann etwas mehr Brot backen als gegessen und verfüttert wird. Mehr deswegen, damit es zu keinen Engpässen kommt. Nicht viel mehr deswegen, damit nicht zu viel im Abfall landet. Güterfülle meint nicht Urassen. Grob wird diese Regel für alle Mittel des Lebens gelten. Reserven sind obligat. Das Volle oder Erfüllte ist nicht mit der Verschwendung zu verwechseln. Stoffliche Sparsamkeit und inhaltlicher Reichtum schließen einander nicht aus. Der wichtigste Reichtum ist sowieso ideeller Schatz: Liebe, Freundschaft, Geselligkeit, Müßiggang, Kreativität, Spiel.

Das gute Leben

Das Problem ist nicht, dass das gute Leben nicht herstellbar oder leistbar wäre, es ist nicht finanzierbar. Woraus in der irrationalen Rationalität gefolgert wird, dass man sich das gute Leben abschminken soll, keineswegs aber Zahlungsfähigkeit und Kaufkraft verwerfen darf. “Ohne Geld geht gar nichts”, das ist dieser heillose Konsens, aus dem beschränkte Subjekte, die sich freie Bürger schimpfen, ihre grobschlächtigen Vorurteile speisen.

Halten wir doch kurz inne: Die Maschinen sind da, die Rohstoffe sind da, die Kenntnisse sind da, ebenso die Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Produkte sind herstellbar, die Leistungen machbar, die Güter verteilbar. Dies alles wäre schaffbar, nur zwängt es sich nicht durch das Nadelöhr des Marktes. Wir sind so an unseren monetären Schranken angelangt – zweifelsfrei; aber nie und nimmer an den Grenzen des Machbaren – im Gegenteil, diese gehen erst auf. Objektiv steht der Kommunismus an, ob er wirklich werden kann, hängt allerdings von uns ab.

Nicht über unsere Verhältnisse haben wir gelebt, sondern unter unseren Verhältnissen leben wir. Die soziale Degradierung durch die Krise ist nicht Ergebnis davon, dass unsere Möglichkeiten sinken, jene ist Konsequenz daraus, dass die Güter als Waren nicht mehr bezahlt und die aufgenommenen Kredite nicht mehr bedient werden können. Im Prinzip ist das kein Malheur, ein Unglück ist es nur in einer Gesellschaft, wo der Wert und das Geld, wo Kaufen und Verkaufen sakrosankt sind. Solange wir dieses Paradigma nicht verlassen, sind wir den Gesetzlichkeiten und Zerstörungen von Markt und Staat ausgesetzt.

Nun denn, wenn es mit dem Geld nicht geht, warum probieren wir es eigentlich nicht ohne? Was fesselt uns so an den Fetisch, dass wir lieber mit ihm untergehen, als dass wir uns ihm verweigern? Warum jagen wir ihm nach, anstatt ihn zu verjagen? Warum vermögen wir uns kein Jenseits davon auszudenken? “Wir kommen deshalb nicht dazu, die Welt ohne Geld zu denken, weil wir alles mit ihm denken”, sagt Eske Bockelmann. “Kein Gedanke entkommt dem Geld, weil es jeder schon fest in sich trägt.” (Die Abschaffung des Geldes, Streifzüge 36, S. 6 und 7)

Es wäre doch einfach, die Fragen so zu stellen: Wie versorgen wir die Leute, wie produzieren und verteilen wir Güter und Leistungen? Die fetischistische Frage von rechts bis links, von oben bis unten, und das in aller Herren Länder, jedoch lautet: Wie stellen wir das Geld auf, dass Staaten und Unternehmungen, Banken und Versicherungen und zuletzt auch die Konsumenten zahlungsfähig sein können? Geht es in erster Frage um die Menschen, so in der zweiten Frage um die Wirtschaft. Das Grundproblem ist, wir denken die Frage 1 automatisch als Frage 2. Und auch wenn wir jetzt mit dem Geld ein ganz praktisches Umsetzungsproblem haben, ein Übersetzungsproblem haben wir deswegen (noch immer) nicht, eben weil die Grundsetzung dieser Reflexion so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie als organisch erscheint.

Wie bringen wir also das Geld aus unseren Köpfen? Denn raus muss es. Mangel an Phantasie kann es ja nicht sein, der uns davon abhält. So gibt es ja kaum eine Absurdität, die wir uns nicht vorstellen können. Wir glauben Schauermärchen und sitzen den dümmsten Mythen auf. Wir nehmen kommerzielle Schrägheiten als bare Münze, wir folgen bereitwillig jeder abgedrehten Esoterik, der Zahlenmystik, den Horoskopen, den Latrinengerüchten oder gar den gefährlichen Mythen der Religionen. Uns kann man jeden Schwachsinn einreden, aber eine Welt ohne Geld zu denken, das kann nicht sein, das soll nicht sein, das darf nicht sein. Wir, die wir kein jenseitiges Diesseits auslassen, vermögen uns ein diesseitiges Jenseits nie und nimmer vorzustellen. Doch gerade dieser Schritt der Umschaltung setzt Emanzipation in Gang. Wir müssen lernen, uns und unsere Verhältnisse nicht über Geld zu synthetisieren.

Was meint freie Assoziation, was gutes Leben, was Genuss? Jene ist ja keine mit festen Strukturmerkmalen ausgestattete Ordnung im Sinn einer Gesellschaftsformation. Keine Formatierung, sondern eine Entformatierung, keine Normierung, sondern eine Enormisierung der Vielfalt. Da gibt es auch keine neuen Werte, sondern gar keine. Man kann nicht sagen, was im Kommunismus normal ist. Vielleicht dieses: dass die Menschen (und auch die anderen Geschöpfe) den Menschen nicht egal sind und dass soziale Not überwunden ist. Dass die großen Zumutungen wie Hungern, Dursten, Frieren, Bekriegen, Konkurrieren, Arbeiten, Vereinsamen und Verblöden der Vergangenheit angehören. Insgesamt werden die Komponenten des Spiels in ihrer gesamten Varianz an Platz im Leben gewinnen. Darüber hinaus wird es eine Vielzahl an Problemen, Schwierigkeiten und Aufgaben geben. Es wird nicht nur bequem sein.

Im Kommunismus wird viel Zeit dafür verwendet, sich um sich und seinesgleichen zu kümmern. Um Freudenschaffung geht es und um Freundschaftspflege. Da ist einiges aufzuholen und vieles zu tun, was heute unterlassen werden muss. Und wenn das alles einem zu viel ist, kann eins zwischenzeitlich aussteigen, ohne sich selbst versorgen zu müssen. Die Momente des Glücks werden nicht so selten sein und die Phasen der Zufriedenheit werden größere Dauer kennen. Individuelle Disposition ist dafür die Grundbedingung. Gutes Leben heißt aus dem Vollen zu schöpfen, um selbst schöpferisch tätig zu werden.

Der Kommunismus hat nichts anderes vor, als dass die Menschen gut zueinander sind, weil sie es können und weil sie es wollen. Er hat nichts zu verwirklichen, er will nichts vorschreiben, er hat keine letzten Ziele, keine hehren Ideale und keinen tieferen Sinn. Freude will er ermöglichen, das schon. Er möchte, dass Menschen froh sind und genießen können. Wozu sonst soll man auf der Welt sein? Materiell setzt der Kommunismus auf Zukömmlichkeit. Und emotionell auf Bekömmlichkeit. Kurzum, es soll schmecken. Nur, wie bringen wir die Leute auf den Geschmack?

From: streifzuege.orgBy: LorenzComments

Das gute Leben (Auslauf)

Post from: Streifzüge. Liebe Leute: Allein hier zu schreiben, dass wir ein Leben ohne Geld wollen, kostet welches. Wer unsere Texte mag, soll dazu beitragen, dass sie hier (ent)stehen können. Wenn wer sich’s leisten kann. Eh klar. Dann aber seid so lieb: Her mit der Marie! Löst uns aus!



Das gute Leben (Auslauf)

Streifzüge 45/2009

Von Franz Schandl

Das Problem ist nicht, dass das gute Leben nicht herstellbar oder leistbar wäre, es ist nicht finanzierbar. Woraus in der irrationalen Rationalität gefolgert wird, dass man sich das gute Leben abschminken soll, keineswegs aber Zahlungsfähigkeit und Kaufkraft verwerfen darf. “Ohne Geld geht gar nichts”, das ist dieser heillose Konsens, aus dem beschränkte Subjekte, die sich freie Bürger schimpfen, ihre grobschlächtigen Vorurteile speisen.

Halten wir doch kurz inne: Die Maschinen sind da, die Rohstoffe sind da, die Kenntnisse sind da, ebenso die Fähigkeiten und Fertigkeiten. Die Produkte sind herstellbar, die Leistungen machbar, die Güter verteilbar. Dies alles wäre schaffbar, nur zwängt es sich nicht durch das Nadelöhr des Marktes. Wir sind so an unseren monetären Schranken angelangt – zweifelsfrei; aber nie und nimmer an den Grenzen des Machbaren – im Gegenteil, diese gehen erst auf. Objektiv steht der Kommunismus an, ob er wirklich werden kann, hängt allerdings von uns ab.

Nicht über unsere Verhältnisse haben wir gelebt, sondern unter unseren Verhältnissen leben wir. Die soziale Degradierung durch die Krise ist nicht Ergebnis davon, dass unsere Möglichkeiten sinken, jene ist Konsequenz daraus, dass die Güter als Waren nicht mehr bezahlt und die aufgenommenen Kredite nicht mehr bedient werden können. Im Prinzip ist das kein Malheur, ein Unglück ist es nur in einer Gesellschaft, wo der Wert und das Geld, wo Kaufen und Verkaufen sakrosankt sind. Solange wir dieses Paradigma nicht verlassen, sind wir den Gesetzlichkeiten und Zerstörungen von Markt und Staat ausgesetzt.

Nun denn, wenn es mit dem Geld nicht geht, warum probieren wir es eigentlich nicht ohne? Was fesselt uns so an den Fetisch, dass wir lieber mit ihm untergehen, als dass wir uns ihm verweigern? Warum jagen wir ihm nach, anstatt ihn zu verjagen? Warum vermögen wir uns kein Jenseits davon auszudenken? “Wir kommen deshalb nicht dazu, die Welt ohne Geld zu denken, weil wir alles mit ihm denken”, sagt Eske Bockelmann. “Kein Gedanke entkommt dem Geld, weil es jeder schon fest in sich trägt.” (Die Abschaffung des Geldes, Streifzüge 36, S. 6 und 7)

Es wäre doch einfach, die Fragen so zu stellen: Wie versorgen wir die Leute, wie produzieren und verteilen wir Güter und Leistungen? Die fetischistische Frage von rechts bis links, von oben bis unten, und das in aller Herren Länder, jedoch lautet: Wie stellen wir das Geld auf, dass Staaten und Unternehmungen, Banken und Versicherungen und zuletzt auch die Konsumenten zahlungsfähig sein können? Geht es in erster Frage um die Menschen, so in der zweiten Frage um die Wirtschaft. Das Grundproblem ist, wir denken die Frage 1 automatisch als Frage 2. Und auch wenn wir jetzt mit dem Geld ein ganz praktisches Umsetzungsproblem haben, ein Übersetzungsproblem haben wir deswegen (noch immer) nicht, eben weil die Grundsetzung dieser Reflexion so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie als organisch erscheint. Wie bringen wir also das Geld aus unseren Köpfen? Denn raus muss es.

Was meint freie Assoziation, was gutes Leben, was Genuss? Jene ist ja keine mit festen Strukturmerkmalen ausgestattete Ordnung im Sinn einer Gesellschaftsformation. Keine Formatierung, sondern eine Entformatierung, keine Normierung, sondern eine Enormisierung der Vielfalt. Da gibt es auch keine neuen Werte, sondern gar keine. Man kann nicht sagen, was im Kommunismus normal ist. Vielleicht dieses: dass die Menschen (und auch die anderen Geschöpfe) den Menschen nicht egal sind und dass soziale Not überwunden ist. Dass die großen Zumutungen wie Hungern, Dursten, Frieren, Bekriegen, Konkurrieren, Arbeiten, Vereinsamen und Verblöden der Vergangenheit angehören. Insgesamt werden die Komponenten des Spiels in ihrer gesamten Varianz an Platz im Leben gewinnen. Darüber hinaus wird es eine Vielzahl an Problemen, Schwierigkeiten und Aufgaben geben. Es wird nicht nur bequem sein.

Im Kommunismus wird viel Zeit dafür verwendet, sich um sich und seinesgleichen zu kümmern. Um Freudenschaffung geht es und um Freundschaftspflege. Da ist einiges aufzuholen und vieles zu tun, was heute unterlassen werden muss. Und wenn das alles einem zu viel ist, kann eins zwischenzeitlich aussteigen, ohne sich selbst versorgen zu müssen. Die Momente des Glücks werden nicht so selten sein und die Phasen der Zufriedenheit werden größere Dauer kennen. Individuelle Disposition ist dafür die Grundbedingung. Gutes Leben heißt aus dem Vollen zu schöpfen, um selbst schöpferisch tätig zu werden.

Der Kommunismus hat nichts anderes vor, als dass die Menschen gut zueinander sind, weil sie es können und weil sie es wollen. Er hat nichts zu verwirklichen, er will nichts vorschreiben, er hat keine letzten Ziele, keine hehren Ideale und keinen tieferen Sinn. Freude will er ermöglichen, das schon. Er möchte, dass Menschen froh sind und genießen können. Wozu sonst soll man auf der Welt sein? Materiell setzt der Kommunismus auf Zukömmlichkeit. Und emotionell auf Bekömmlichkeit. Kurzum, es soll schmecken. Nur, wie bringen wir die Leute auf den Geschmack?

Bye bye critica dell’interesse…

Sulla miopia della dottrina della libera moneta.

Streifzüge 33/2005

Andreas Exner & Stephanie Grohmann

La folle strada della nostra “Civilizzazione”, incorniciata dalla distruzione dell’ambiente e dalle catastrofi sociali, è per molte persone motivo sufficiente per indagare a fondo sul loro proprio modo di vivere. Molti non si accontentano di affidarsi ad appelli politici, ora che diventano molto chiare le limitate possibilità della democrazia quando richiede la sicurezza di posti di lavoro, sempre meno disponibili, attraverso una rinnovata crescita economica. E troppo dolorosa è la consapevolezza che non possiamo più sfuggire alla legge della concorrenza e alla sofferenza per il freddo sociale. Che possibilità ci sono, dunque, per dar vita tutti insieme a qualcosa di interamente nuovo? Che cosa possiamo fare adesso di concretamente altro?

La pseudo-critica al capitalismo di Silvio Gesell

Ultimamente ha assunto una certa popolarità una particolare risposta a questa domanda: il modello di organizzazione sociale del circolo dello scambio sembra possa mostrare una via d’uscita dai problemi della distruzione dell’ambiente e dai problemi sociali. In quelle regioni del mondo che hanno già fatto esperienza del crollo dell’economia capitalistica formale sono talvolta nati come ancora di salvezza, dal mero bisogno e senza teoria, i circoli dello scambio. Il breve boom dei circoli dello scambio argentini ne è l’esempio paradigmatico. Diversamente, i circoli dello scambio, qui da noi, nella misura in cui essi non vengano praticati come mero hobby senza ulteriori motivazioni, sono concepiti come il modello per un’altra economia. In essi la dottrina della libera moneta di Silvio Gesell ha trovato il suo sedimento pratico. Essa cerca comunque anche di approdare nei dibattiti teoretici. Nell’ambito della critica alla globalizzazione, o nei resti del movimento ecologista, in ogni caso dove gli uomini cominciano a porre in questione in modo approfondito la società della merce – senza tuttavia portarla (ancora) fino in fondo – là la critica dell’interesse formulata da Silvio Gesell trova dei sostenitori. Fra i critici dell’interesse c’è senz’altro chi, di quando in quando, lo fa con intenti radicalmente emancipatori. Tuttavia questa critica rappresenta, nel migliore dei casi, solo un primo passo sulla via, spesso lunga, verso uno sguardo sul modo di funzionamento della società che si basa sulla merce, cioè sul capitalismo. Per lo più i sostenitori della critica dell’interesse restano legati alla società della merce e alla pseudocritica dell’interesse che finisce per occhieggiare all’antisemitismo. Che una tale posizione non sia sostenibile teoricamente e dia luogo a pericolose illusioni, cercheremo ora di dimostrarlo.

Silvio Gesell era commerciante alla svolta fra il 19° e il 20° secolo e si interessava alle condizioni di un capitalismo stabile, libero da crisi. La sua riflessione fondamentale era tanto semplice quanto falsa: l’interesse è la radice di tutti i mali della forma economica capitalistica. 1 Da ciò ne consegue la necessità di una “moneta libera dall’interesse”. Tramite una regolare timbratura la libera moneta di Gesell dovrebbe continuamente perdere valore quando non venisse spesa, e quindi il circolo della moneta e del commercio della merce sarebbe tenuto in moto. Gesell vedeva la causa dell’interesse nella tesaurizzazione della moneta attraverso il patrimonio. Tutte le merci sono secondo Gesell deperibili e perciò caratterizzate da un fondamentale svantaggio nei confronti dell’indeperibile moneta. Poiché di fatto tutti gli uomini hanno bisogno di denaro per lo scambio delle merci, i possessori del denaro godrebbero di un forte privilegio, che essi si fanno pagare in interesse. Nell’ottica di Gesell ciò rappresenta una “ingiustizia” del capitalismo e al tempo stesso anche la causa delle crisi economiche.

Gli obbiettivi di Gesell erano tutt’altro che umanitari. La libera moneta doveva togliere le catene alla concorrenza e ridare “ai più abili” il loro “diritto” contro i “parassiti” accaparratori di denaro. Come alcuni odierni liber-monetisti, caldeggiava l’eugenetica, ovvero il “miglioramento genetico” dell’uomo attraverso la “selezione naturale”, alla quale la libera moneta doveva dare il suo contributo.

Dalla critica popolar-nazionale dell’interesse al revival della teoria della libera moneta

Nel punto più alto della grande depressione degli anni ’30 le idee di Gesell incontrarono il terreno per loro più fruttuoso. Un esempio spesso citato come riprova pratica dell’efficacia della libera moneta è “l’esperimento di Wörgl” avvenuto fra le due guerre in Tirolo. Con l’aiuto della libera moneta, che si era autonomamente data, la comunità poté finanziare investimenti per progetti di costruzione nel circondario comunale, dare impulso alla crescita economica e così ridurre la disoccupazione e la miseria. L’esperimento venne presto ostacolato dalla banca nazionale austriaca che vedeva in pericolo la propria sovranità monetaria. Il suo effetto somigliava a quello di un programma keynesiano per lo sviluppo della crescita e per questo si pone in contraddizione con il tono di fondo della critica alla crescita di molti odierni liber-monetisti. Da questo temporaneo e limitato programma economico comunale è stato più volte desunto il possibile buon effetto che avrebbe una più ampia introduzione della libera moneta. Si tace tuttavia sulle particolari condizioni territoriali e la breve durata dell’esperimento di Wörgl.

Fra le due guerre naufragavano i tentativi rivoluzionari del movimento operaio occidentale e la crisi del capitale si acuiva. In questa situazione l’ideologia della critica dell’interesse cadeva a puntino: l’odio per il capitale finanziario, che veniva interpretato come responsabile delle proprie miserie, rendeva possibile una presa sull’ordine capitalistico e apriva al tempo stesso una valvola di sfogo per il sentimento diffuso di impotenza e umiliazione. Non per caso le vedute di Silvio Gesell influenzarono in modo determinante il funzionario nazista e ideologo del partito Gottfried Feder, il cui obbiettivo centrale, nella politica economica, di una “rottura della schiavitù dell’interesse” venne accolto nel programma del NSDAP (partito nazionalsocialista). Il folle e populista accostamento di interesse e ebraismo, alla quale anche Gesell e i sui precursori ideologici si erano fermati, aveva preparato il terreno per quella catastrofe che la critica nazional-popolare dell’interesse avrebbe suggellato.

La fine della guerra portò un periodo di crescita economica e di piena occupazione, nel quale la dottrina della libera moneta cadde nel dimenticatoio. Solo quando, negli anni ’80, il miracolo economico giunse alla fine, la disoccupazione crebbe e insieme si fece sentire la crisi ecologica, la dottrina della libera moneta si ripresentò come valida alternativa.

La crisi della nostra “civiltà” spinge verso una trasformazione sociale fondamentale. Molti la vedono realizzarsi nei circoli dello scambio e nella libera moneta, nei mercati locali, nelle monete complementari e nelle cooperative di mutuo credito. Tutte queste idee hanno nomi e origini diversi, ma un comune denominatore: deve esserci il mercato, anche se possibilmente piccolo. Deve esserci il denaro, però senza interesse. Deve esserci lo scambio, però equo. Quando ci viene offerta questa trinità come soluzione, dovremmo però esaminarla a fondo. Poiché questa presunta scialuppa di salvataggio non può dirsi sicura prima ancora che dimostri di poter galleggiare. Vediamo che cosa i sostenitori della libera moneta associano a queste idee. Possiamo sintetizzarlo in tre punti: nessun obbligo di crescita, equità e stabilità economica.

Nessun obbligo di crescita?

Nei circoli dello scambio ecologisti si è diffusa la convinzione che la libera moneta renda possibile una presunta “economia naturale” senza obbligo di crescita. Nell’interesse la moneta sembra accrescersi come da se stessa e si potrebbe pensare che proprio per questo motivo debbano crescere anche le imprese. Tuttavia questa opinione è falsa. Per comprenderlo è sufficiente dare uno sguardo al bollettino giornaliero della politica economica: ministri della finanza e Banche nazionali in tutto il mondo ricorrono allo strumento dell’abbassamento dei tassi quando la crescita economica minaccia di fermarsi. Poiché interessi bassi significa crediti economici, e per conseguenza cresce la disponibilità all’investimento, nella misura in cui sono corrispondentemente alte le aspettative di profitto. Alti tassi d’interesse per contro soffocano in ogni caso la crescita, perché spingono molte imprese al fallimento e insieme rendono non redditizi gli investimenti finanziati col credito. Dal punto di vista dei consumatori la libera moneta non comporta che l’inflazione. Grazie alla sua svalorizzazione permanente si darebbe una grande pressione, quella di spendere il più velocemente possibile la libera moneta. Anche questo effetto dovrebbe stimolare la crescita in una buona situazione economica. Non per ultimo era infatti anche questo uno degli scopi dichiarati che Silvio Gesell voleva raggiungere con la libera moneta.

L’unico argomento che resta infine per una onorevole via d’uscita ecologica della libera moneta suona, secondo il punto di vista liber-monetista, così: con la soppressione dell’interesse sarebbe pur sempre data la possibilità di non lasciar crescere l’economia, mentre l’interesse creditizio nell’”attuale sistema del denaro” forza in ogni caso la crescita. Tuttavia questa è solo una mezza verità: L’interesse creditizio impone sicuramente un profitto minimo, però le imprese prendono il credito proprio per accelerare la loro crescita, non il contrario. Questo perché con parte di capitale esterno ad interesse possono esser fatti più investimenti che con il proprio limitato capitale. Il credito procura un vantaggio decisivo nella concorrenza.

Con ciò siamo anche arrivati all’autentica causa della crescita. Non è l’interesse ad originare la crescita delle imprese e quindi dell’economia in generale, bensì la concorrenza per il massimo profitto possibile. Ciò è confermato dalle imprese stesse. 2 Infine, anche dal punto di vista statal-politico la crescita è necessaria, poiché l’aumento della produttività determinato dalla concorrenza libera continuamente forza-lavoro che può trovare di nuovo occupazione e pagare tasse solo grazie alla crescita produttiva. Inoltre la crescita economica mitiga la lotta per la redistribuzione ed è necessaria per la sopravvivenza della valorizzazione tecnologica complessiva nazionale nella competizione internazionale, la quale del resto esisteva già prima della globalizzazione.

Ecologicamente molto modesti, alcuni seguaci della libera moneta si limitano in definitiva a evidenziare l’effetto positivo di un basso tasso di interesse per gli investimenti rispettosi dell’ambiente. Con ciò però si sono già congedati dalla loro richiesta di una libera moneta, poiché interessi bassi sono auspicabili anche dal punto di vista della teoria economica keynesiana, la quale però d’altra parte confida con essi di dare impulso alla crescita.

Il delirio del rendimento

Come già il socialdarwinista Silvio Gesell prima di loro, anche gli odierni liber-monetisti propagandano una pretesa “equità di rendimento” a cui la moneta libera da interessi dovrebbe dar luogo. L’interesse è, dal loro punto vista, da criticare in quanto “reddito senza lavoro”, invece giustificato per il guadagno dell’impresa attraverso il lavoro. Questa visione riposa sulla rappresentazione fantastica della vita degli “uomini ricchi”. Chiaramente ci sono milionari che fanno una bella vita. Chi non la vorrebbe? L’amministratore di beni medio è però tutt’altro che un semplice pigro possessore di denaro, che passa il tempo a prendere il sole, mentre i suoi milioni aumentano. Uno sguardo nell’agenda degli appuntamenti di un manager che amministra fondi o il volto di uno stressato broker della borsa parlano a sufficienza: l’amministrazione del denaro è un lavoro faticoso e rischioso come nessun altro. Inoltre sono gli stessi trust industriali e conglomerati di imprese a investire il loro capitale nei mercati finanziari. Una separazione fra imprenditore “lavoratore” e capitalista “fannullone” non corrisponde alla realtà. Esiste piuttosto una “divisione del lavoro” fra anonimi capitali industriali e finanziari corrispondente al capitalismo moderno che niente ha a che fare con le fantasmagoriche figure sociali del liber-monetista.

Che cosa è l’interesse

Diversamente da quanto affermato dai liber-monetisti, l’interesse non è assolutamente un aumento di prezzo imposto dai “capitalisti”. Si tratta piuttosto – insieme al guadagno dell’impresa – di un parte del profitto che si basa complessivamente sull’appropriazione di lavoro non pagato nel processo di produzione delle merci. La merce “forza-lavoro”, che si vende sul mercato del lavoro, ha come ogni altra un valore d’uso qualitativo e un valore di scambio quantitativo. Il valore d’uso di quella merce consiste, per il capitale, nella possibilità di guadagnare, attraverso il suo utilizzo, valore di scambio. Il valore di scambio della merce forza-lavoro, il suo prezzo, che si manifesta nel salario, si dà come risultato delle abitudini sociali, dell’esito delle lotte per la distribuzione e in generale del costo della sua riproduzione, cioè la spesa per i mezzi di sostentamento, istruzione etc. Là dove la forza lavoro viene usata oltre quel periodo di tempo indispensabile per il suo valore di scambio, si dà per l’impresa un eccedenza di valore di scambio. Questo plusvalore è lo scopo della produzione capitalistica e si manifesta nel profitto.

Ciò che non viene “guadagnato” come valore economico attraverso l’utilizzo della forza-lavoro non può nemmeno essere messo da parte nella forma dell’interesse. Diversamente rispetto al prestito di denaro pre-moderno, che di fatto consumava le sostanze finanziarie del creditore, il denaro sotto le condizioni capitalistiche viene prestato non come mero mezzo di scambio, bensì innanzitutto come capitale. L’interesse è quel prezzo che il denaro in quanto capitale ha: in quanto mezzo con il quale produrre plusvalore e profitto. Il possesso di denaro rende possibile, alle condizioni capitalistiche, la produzione di plusdenaro, e questa potenza del denaro vuole anche essere corrispondentemente pagata. Il prezzo del denaro capitalistico espresso nell’interesse si orienta secondo la domanda e l’offerta del mercato finanziario. Gli interessi alla fine vengono pagati dal profitto che il denaro in quanto capitale ottiene nel processo di produzione. I debiti, a queste condizioni, servono non solo all’arricchimento del creditore ma anche a quello del debitore, fintanto che il denaro viene collocato nella produzione di profitto e non speso per i fini del consumo, capitalisticamente improduttivo.

La falsa critica della libera moneta al capitalismo viene ingannata dalla superficiale impressione che evoca il capitale portatore di interessi: esso sembra aumentarsi come da se stesso, senza l’intromissione della produzione di merce. Se non vediamo nel capitale le relazioni reificate di sfruttamento e i rapporti di produzione, lo sguardo si concentra solo sull’apparente auto-incremento del denaro nell’interesse. Si arriva allora all’impressione che il capitale finanziario “improduttivo” e la sua amministrazione si fronteggino con il “produttivo” imprenditore, qui unito in uno stesso fronte con i lavoratori e le lavoratrici. L’imprenditore viene qui visto non come facente le funzioni di capitalista, che estrae valore dai suoi lavoratori e dalle sue lavoratrici e si fa prestare a questo scopo il denaro necessario, bensì come “lavoratore speciale”. Egli certamente estrae profitto dal possesso dei mezzi di produzione e dallo sfruttamento della forza lavoro, tuttavia sembra ricevere un “salario imprenditoriale” per la sovrintendenza e l’organizzazione del processo di produzione. Per contro il denaro capitalistico “improduttivo”, che non viene visto nel suo inseparabile legame con la produzione, sembra lucrare il suo guadagno d’interesse da una supposta altra sorgente rispetto a quella da cui proviene il guadagno delle imprese che producono merce. Il pensiero della dottrina della libera moneta si comprende così non solo in base ai suoi obbiettivi politici, ma anche ad una insufficiente e superficiale interpretazione del capitale e della valorizzazione capitalistica.

Date queste premesse possiamo ora commentare anche la critica ampiamente condotta dai sostenitori della libera moneta sulle “quote d’interesse” nei prezzi delle merci. Se si volesse qui criticare l’interesse con il pedante argomento che esso entri nel prezzo delle merci, si dovrebbe nello stesso momento condannare anche il guadagno dell’impresa. Esso entra certamente nel prezzo, e neanche poco. È comprensibile che l’acquirente di crediti preferisca non pagare alcun interesse, così come il consumatore possibilmente non vorrebbe pagare proprio nulla. In quanto a ciò, ogni prezzo è sempre troppo alto. Questo però non è un argomento valido per la libera moneta, bensì un argomento contro il denaro in generale.

I liber-monetisti riconducono all’interesse anche la “redistribuzione verso l’alto”, importante nel capitalismo. Di fatto la forbice della ricchezza si deve necessariamente aprire anche senza l’interesse. Da una parte è sì il risultato del tanto propagandato, dai liber-monetisti, “calcolo di rendimento del mercato”, in base a cui vengono vagliate la “fiacchezza della concorrenza” e il “rifiuto del rendimento”. Dall’altra si accumula profitto, che viene reinvestito nella produzione per ottenere sempre più profitto, necessariamente anche senza interessi. Il salario del lavoro viene per contro regolarmente consumato e non investito nella produzione di profitto, e può essere “aumentato” solo attraverso le lotte sindacali. In ogni caso, ad un tale aumento salariale sono posti confini molto stretti: un alto tasso di crescita economica è per questo un presupposto essenziale.

Il pagamento degli interessi dai paesi poveri per il loro “credito allo sviluppo” significa di fatto una massiccia redistribuzione dal Sud verso il Nord, che eccede considerevolmente il volume dell’”aiuto allo sviluppo”. Non si possono però chiudere gli occhi di fronte al fatto che senza interessi nessuna impresa e nessun stato del mondo vorrebbero dare in prestito il loro capitale in grandi quantità. Una tale concessione di credito ha successo solo se adocchia al profitto nella produzione di merce. Perciò proprio le economie nazionali, che negli anni ’70 erano le più promettenti candidate allo sviluppo capitalistico, si sono spesso infilate più profondamente nelle crisi di debito. La libera moneta qui non può rappresentare alcuna soluzione. L’unica sensata richiesta è piuttosto una cancellazione del debito incondizionata per i paesi poveri e lo sviluppo di un modello fondamentalmente nuovo di cooperazione al di là del mercato, dello scambio e del denaro.

Con la libera moneta nella crisi

Veniamo ora all’ultima affermazione: un’economia di mercato con la libera moneta non conosce alcuna crisi. In ciò la dottrina della libera moneta assomiglia significativamente alla teoria economica neo-liberale, all’ideologia giustificazionista dell’attuale campagna delle liberalizzazioni. Come il neoliberalismo, la teoria della libera moneta pensa che un mercato lasciato a se stesso sia stabile ed essenzialmente non necessiti di alcun intervento politico. Perciò i liber-monetisti difendono senza mezzi termini la causa di una “libera e giusta economia di mercato”. La teoria della libera moneta si distingue da questo punto di vista dal neoliberalismo soltanto in quanto considera il “denaro senza interessi” come presupposto contro la crisi. Anche i suoi forti lamenti sull’inflazione, che essa vuole distinguere dalla perdita di valore della libera moneta, e sui debiti dello stato rassomigliano al chiacchiericcio neoliberale.

Entrambe le teorie partono da una fittizia economia di mercato con scambio naturale di merce contro merce. La moderna reale economia di mercato è però necessariamente un’economia del denaro. Proprio attraverso il denaro vengono superati i limiti dello scambio immediato: si può vendere senza poi comprare alcunché; e le imprese possono percepire crediti per finanziare i loro investimenti. In una economia di mercato produttori e consumatori non si accordano coscientemente. Lo sviluppo della domanda, del potere d’acquisto reale, del prezzo, dei bisogni dei consumatori e della capacità di produzione così come le strategie della concorrenza, lo spostamento dei flussi della domanda e l’insorgere di nuove branche per gli investitori restano sostanzialmente sconosciute. Grazie a questa fondamentale insicurezza del mercato da una parte, e ai meccanismi del credito dall’altra si accumulano necessariamente investimenti fallimentari che conducono alla fine ad una crisi economica. In una tale crisi il capitale investito senza una reale e solvibile domanda viene annichilito e privato di valore. Ciò significa: molte imprese vanno in bancarotta o devono chiudere, sopprimere posti di lavoro o ridurre i salari.

Un ulteriore fattore di crisi incorporato nell’economia di mercato è l’esaurirsi di opportunità economiche di crescita. Poiché tutti i mercati, così come le possibilità di aumento della produttività, i potenziali di razionalizzazione, il potere d’acquisto e i bisogni concreti degli uomini sono limitati, questo fattore prima o poi necessariamente si presenta. A quel punto i profitti si inabissano e gli investimenti diminuiscono. Si arriva così ad una crisi, e molti uomini perdono il lavoro e le loro entrate monetarie. La dottrina della libera moneta pensa qui che attraverso la perdita di valore della libera moneta gli investimenti aumentino e che la tesaurizzazione del denaro non possa più attrarre nessuno, in quanto presunto impedimento alla crescita – in ciò differenziandosi dalla teoria della libera moneta di orientamento ecologista. Una crisi, cioè una produzione economica stagnante o in perdita, diverrà così, secondo la loro opinione, impossibile. La libera moneta però agisce sulla crescita né più né meno come l’inflazione: nessuna perdita di valore del denaro, per quanto grande sia, può obbligare alcuno a fare investimenti. Quando non ci sono sufficienti profitti all’orizzonte, lo spirito di investimento rimane entro confini molto stretti.

La libera moneta non solo non può evitare alcuna crisi: è essa stessa portatrice di crisi. Sulla base cioè della perdita permanente di valore essa è come una patata bollente che salta di mano in mano spingendo in alto l’inflazione senza controllo. Il ruolo di deposito del valore toccherebbe a un qualunque altro oggetto di valore, prestito estero o simili. Proprio questo è ciò che accade nei paesi con alto tasso di inflazione.

L’assurdità della dottrina della libera moneta

La dottrina della libera moneta fraintende il modo di funzionare del mercato e non può perciò comprendere perché in una economia di mercato tanto il lucro quanto l’interesse debbano necessariamente esistere. Nella sua rappresentazione il denaro deve “tornare ad essere un puro mezzo di scambio”. Ma il denaro in una economia di mercato non è solo un mezzo di scambio, è fra le altre cose anche capitale. Questo significa che il denaro viene investito nella produzione di merci solo quando genera profitto. Senza profitto in una economia di mercato non c’è alcuna spinta alla produzione. Ciò si mostra nel momento in cui l’apparente automatismo produttivo dei mercati vacilla e si dissolve in una crisi. Sebbene le possibilità materiali di produzione restino esattamente le stesse, i mezzi di produzione diventano inattivi e larghe quantità di forza lavoro vengono dismesse. Detto più semplicemente, sulla base della folle logica dei mercati può accadere che uomini che si trovano accanto a luoghi di produzione pienamente funzionanti muoiano di fame.

Poiché la produzione non viene controllata dalla società, la “capacità economica” di un’impresa viene misurata unicamente in base al livello di profitto che essa stessa raggiunge. Già solo sulla base della concorrenza il profitto dell’impresa viene massimizzato per quanto possibile. Chi fa più profitto può, grazie a maggiori investimenti, crescere più velocemente ed assicurare al meglio la propria sopravvivenza economica. D’altra parte il profitto è anche l’unico scopo della produzione capitalistica: dal denaro deve venire maggior denaro. Maggior profitto significa migliori traguardi economici, maggior crescita economica. Questa linea di condotta non si modifica neanche in assenza di interessi. Il profitto normalmente non viene consumato o speso, dal capitalista immaginario dei liber-monetisti, in yacht o champagne, ma viene reinvestito in ulteriore produzione di profitto. Questo è precisamente il folle meccanismo autoreferenziale del capitalismo, voler produrre per produrre, lavorare per lavorare, investire per poter investire di più. La libera moneta non cambia una virgola di questa folle mania, piuttosto la rinforza.

L’interesse gioca in questo circolo vizioso, una volta che ne se è accettata la folle logica, un ruolo completamente “razionale”. Il capitale monetario viene dislocato tendenzialmente, in modo corrispondente alla legge di mercato della domanda e dell’offerta, nei rami con le più grandi aspettative di profitto e quindi anche con il più alto fabbisogno di capitale, il quale non si indirizza certo verso i bisogni degli uomini, bensì verso le esigenze della valorizzazione. Questo meccanismo viene controllato in modo indiretto attraverso la concessione dei crediti e l’aumento degli interessi, dunque senza il consenso diretto delle imprese. Gli investimenti considerati a rischio o a basso rendimento ricevono più difficilmente credito di quelli da cui ci si aspetta un sicuro e alto profitto. Senza interesse non ci sarebbe né stimolo né orientamento per questo processo di distribuzione del capitale.

Nello spazio del sistema capitalistico l’alternativa al meccanismo del credito del libero mercato finanziario sembrerebbe consistere nell’investimento pianificato dallo stato. Ciò richiede il potere discrezionale da parte dello stato su tutte le risorse e una estesa burocrazia statale. Il socialismo reale ha mostrato verso quali problemi tutto questo conduca. Il liber-monetismo vuole quanto più possibile respingere lo stato, ovvero liquidarlo, e realizzare un mercato che premi il rendimento del lavoro. Solo che il “denaro senza interesse” può funzionare solo in una economia nazionale isolata dal mercato mondiale, nella quale la banca nazionale centrale eserciti pieno controllo. Già sin dall’inizio l’introduzione della libera moneta causerebbe una fuga di capitali senza precedenti e con ciò grossi problemi economici. Non venne realizzata nemmeno nel periodo nazista, contrassegnato dal protezionismo e dalla folle idea anti-semita di una “rottura della schiavitù dell’interesse”. Nell’epoca della globalizzazione un tale scenario isolato semplicemente non è immaginabile. Quelle che una volta erano “economie nazionali” sono adesso sempre più interconnesse, tanto da non poter più uscire dal mercato mondiale.

L’esaurimento di possibilità di crescita più convenienti che necessitavano di una relativa maggior occupazione, così come la recessione nella crescita del mercato interno, crearono agli inizi degli anni ’70 importanti presupposti per l’attuale processo di globalizzazione del capitale. Da questo tipo di sviluppo non si può tornare indietro. L’ipotesi liber-monetista – che fra l’altro si nasconde dietro le comuni rappresentazioni della critica alla globalizzazione à la Attac – per la quale il rigonfiamento dei mercati finanziari e l’indebitamento pubblico e privato sono la ragione della crescita stagnante e della crisi economica è falsa. La connessione è esattamente rovesciata: il capitale fluisce sui mercati finanziari perché già dagli inizi degli anni ’70 il profitto nella produzione delle merci è receduto.

Il liber-monetismo rivela la sua fondamentalmente erronea comprensione del capitalismo, fra le altre cose, quando indica come esempio le monete del medioevo (i “bratteati”) come prova dei benefici effetti della libera moneta. Non vogliamo qui entrare sulla supposta connessione causale fra i bratteati, una valuta medievale con continua perdita di valore, e il benessere. Qui deve solo esser fatto rilevare che il denaro nella società feudale del medioevo giocava un ruolo marginale e non è comparabile con il denaro del capitale odierno. Sui mercati medievali non esisteva alcuna libera formazione dei prezzi, gli uomini della società feudale non erano costretti a vendere la loro forza lavoro, non c’era alcun capitale industriale, dominava la produzione per il proprio bisogno, la vita della comunità non era retta da anonime relazioni di diritto e di denaro ma da relazioni sociali personali. Poiché mancava una libera formazione di prezzi imposta dal capitale che produce profitto, non è possibile paragonare l’usura medievale con l’interesse capitalistico.

Sulla base di tutte le suddette debolezze, insulsaggini e indiscutibili aspetti politici i seguaci e le seguaci della “moneta senza interesse” si distinguono dalla dottrina della libera moneta. Ciò viene fatto sicuramente in modo sincero, e perciò è una cosa buona. Rispetto alla infondatezza dell’idea di un “denaro senza interessi” non cambia però di fatto proprio niente, sia che si accompagni ad altre idee riformatrici o ne richieda per sé sola la paternità. Le crudeltà della società della merce non si lasciano curare con una operazione superficiale, bensì sono da rigettare fuori dal mondo attraverso il superamento della forma merce e della valorizzazione.


1 La dottrina della libera moneta vuole affrancare l’economia di mercato dal capitalismo. Nel nostro modo di intendere la cosa, entrambi i concetti richiamano invece due facce di una stessa medaglia. Essi si co-appartengono inseparabilmente: l’economia di mercato contrassegna l’aspetto del commercio delle merci, il capitalismo quello della produzione delle merci. Le espressioni “dell’economia di mercato” e “del sistema capitalistico” significano perciò essenzialmente lo stesso. Anche il socialismo reale va posto nello stesso filone del sistema capitalistico dell’economia di mercato. Si tratta del tentativo, condannato al naufragio, di una economia di mercato pianificata. Come capitale la teoria della libera moneta intende solo il capitale monetario. Dal nostro punto di vista, il capitale non è una cosa, bensì un incessante processo fine a se stesso di accrescimento di valore economico. Questo processo comprende tanto il denaro quanto la merce (materia prima, mezzi di produzione, forza-lavoro). La critica del capitalismo, qui solo schizzata, si distingue perciò in modo fondamentale dalla “critica del capitalismo” della teoria della libera moneta.

2 Bakker, L. (2000): Wachstum wider Willen? (Crescita controvoglia? ) In: Heinrich-Böll-Stiftung: Jenseits des Wachstums (oltre la crescita), Politische Ökologie 66.

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Bye bye critica dell’interesse…

From: streifzuege.orgBy: LorenzComments

Was ist der Wert?

ÜBER DAS WESEN DES KAPITALISMUS – EINE EINFÜHRUNG

Streifzüge 30/2004

von Christian Höner

Die ersten Werttheoretiker waren die Klassiker der bürgerlichen Ökonomie: Adam Smith und David Ricardo. Sie gingen davon aus, dass die Arbeit, die benötigt wird, um ein Produkt herzustellen, den Wert einer Ware bildet. Die vergangene, verausgabte Arbeit liegt demnach gewissermaßen in der Ware und verleiht ihr so die Eigenschaft, Wert zu besitzen. Die Frage, warum überhaupt Produkte in den warenproduzierenden Gesellschaften eine Wert- Eigenschaft erhalten, konnten und wollten sie nicht beantworten. Das tat dann ein Kritiker des Waren produzierenden Systems namens Karl Marx. Auch bei ihm führt der Weg zum Wert über die Analyse der Ware. Was ist nun so Entscheidendes an der Ware zu entdecken?

Gegenüber einem Produkt zeichnet sich eine Ware per Definition dadurch aus, dass sie gegen eine andere Ware getauscht werden kann. Die Ware, zum Beispiel ein Hammer, besitzt also nicht nur die Eigenschaft, dass er aus Holz und Eisen besteht und dass man mittels eben jenes Hammers Nägel in die Wand schlagen kann. Als Ware besitzt der Hammer “die Eigenschaft” tauschbar zu sein. Was ist damit gemeint?

Um beim Beispiel zu bleiben: Ein Hammer soll gegen eine Flasche Bier getauscht werden. Nun sind Hammer und Bier zwei völlig verschiedene Dinge für völlig unterschiedliche Zwecke. Ihre Unterschiedlichkeit mag zwar für denjenigen, der Bier trinken oder einen Nagel in die Wand schlagen will, von Bedeutung sein. Für den Tausch als logische Operation ist ihre konkrete Nützlichkeit ungeeignet. Denn beim Tauschakt geht es ja bekanntermaßen um den Tausch von Gleichem oder Gleichwertigem. Wenn dem nicht so wäre, würde man bedenkenlos sein Auto gegen ein Stück Butter tauschen. Jedes Kind weiß, dass das Auto wertvoller ist. Offensichtlich ist es nicht die qualitative Eigenschaft der Ware (also ihre konkrete, sinnliche Natur), die den Tausch möglich macht. Bier, Hammer, Auto müssen also irgendetwas besitzen, das sie untereinander gleich und damit vergleichbar macht.

Was ist nun das Gleiche an einem guten Bier und einem robusten Hammer? Beide existieren nur, weil Menschen Energie zu ihrer Herstellung verausgabt haben. Dabei geht es allerdings nicht um die konkreten Tätigkeiten, die die Herstellung von Bier und Hammer erfordern, denn als solche sind sie völlig verschieden. Gleich und vergleichbar werden sie nur, wenn von ihrer konkreten Natur abgesehen (abstrahiert) wird. Es geht dann nicht mehr um den konkreten Vorgang des Bierbrauens bzw. Hammerherstellens, sondern darum, dass überhaupt Energie verausgabt wird. Marx verwendet dafür auch den Begriff der abstrakten Arbeit. Abstrakte Arbeit – so Marx – vergegenständlicht sich in der Ware und bildet deren Wert. Um den Wert einer Ware betrachten zu können, muss also von der gesamten konkreten Erscheinung des Hammers abgesehen werden. Was man dann in den Händen hält, ist ein recht seltsames abstraktes Häufchen verausgabter menschlicher Energie.

Die Ware besitzt also einen Doppelcharakter. Sie ist einerseits ein konkretes, sinnliches Ding. Andererseits ist sie ein abstraktes, rein quantitatives Wert-”Ding”.

Marx nennt die konkret-sinnliche Gestalt der Ware den Gebrauchswert. Bei Marx ist der Gebrauchswert noch eine überhistorische Kategorie. Tatsächlich ist der Gebrauchswert dem Diktat des Werts gleich mehrfach unterworfen. Zum einen wird nur das hergestellt, was sich auch verwerten bzw. indirekt über die Verwertung realisieren lässt. Zum anderen beherrscht das Verwertungsdiktat den Produktionsprozess selber. Maschinerie wie Produkt sind unter dem Gesichtspunkt der Verwertung organisiert. Es ist der Produktion wie dem Produkt anzusehen, dass sie unter dem Diktat abstrakter betriebswirtschaftlicher Effektivität realisiert werden. Allgemeiner ausgedrückt: Der Gebrauchswert ist nur die Konkretion der Abstraktion des Werts. Der Gebrauchswert gibt nur in einem abstrakten Sinn Nützlichkeit an: Nützlichkeit überhaupt. Zum Beispiel ist auch eine Bombe ein sinnlich-konkretes Ding mit einer gewissen Nützlichkeit. Spätestens mit den Skandalen in der Lebensmittelindustrie dürfte klar sein, dass die Aussage von Marx, dass die Brötchen in der feudalen Gesellschaft genauso schmecken wie im Kapitalismus nicht aufrechtzuerhalten ist. Der Gebrauchswert ist nicht als überhistorische Konstante, sondern als der Ware zugehörig neu zu bestimmen.

Wie aber ergibt sich nun die Größe des Werts? Dass die Zeit hierbei eine Rolle spielt, die zur Verausgabung menschlicher Energie an einer Ware notwendig ist, scheint einleuchtend. Nun gibt es da ein Problem: Der Hersteller eines Autos wird zum Beispiel nicht auf den Gedanken kommen langsamer zu arbeiten, um den Wert seines Fahrzeuges zu erhöhen – was übrigens auch nicht passieren würde. Er muss sich nämlich mit seiner Konkurrenz und deren wissenschaftlich-technischem Vermögen, Autos herzustellen, messen. Allgemein kann man also sagen, dass sich die Größe des Werts aus der Größe der abstrakten Arbeitszeit in Abhängigkeit von der durchschnittlichen gesellschaftlichen Produktivtät ergibt. Wir wissen dank Marx zwar jetzt, dass die abstrakte Arbeitszeit in Abhängigkeit von dem Standard der Produktivität die Größe des Werts festlegt. Wie kann man jedoch diese Größe genau ermitteln? Ganz einfach: gar nicht. Es gibt zwar Stechuhren und Arbeitsplätze, wo die Einhaltung der Zeitvorgaben überwacht wird. Aber es gibt einfach keine Messinstrumente, die die abstrakte Arbeitszeit oder gar den durchschnittlichen Standard der Produktivtät irgendwie messen könnten. Dass es trotzdem Preise an jeder Ware gibt, wie man sich im Supermarkt überzeugen kann, liegt daran, dass Wert und Preis nicht identisch sind. Der Wert – so könnte man sagen – ist die eiserne Richtschnur, um die herum der Preis zirkuliert.

Wer legt fest, welche Ware welchen Wert hat? Die Antwort ist so einfach wie verwirrend: die Waren selber. Das Irrsinnige dieser Feststellung sticht geradezu ins Auge. Dinge haben per se keinen eigenen Willen und erst recht können sie keine Entscheidungen treffen. Und trotzdem verhält es sich gewissermaßen so. Warum aber? Indem die Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer tagtäglichen Praxis ihre Produkte gegeneinander tauschen, setzen sie ihre Tätigkeiten einander gleich. Dieses Gleichsetzen verleiht den Produkten die gespenstische Eigenschaft, Wert zu besitzen. Gespenstisch ist diese Eigenschaft, weil es den Produkten von Natur aus nicht zusteht, Wert zu besitzen. Der Wert einer Ware, zum Beispiel eines Diamanten, ist auch durch eine atomare Analyse nicht zu ermitteln. Da sind nur Kohlenstoffatome. Wir haben es also mit einer Paradoxie zu tun: Der Wert ist da und auch wiederum nicht. Die Dinge besitzen nicht von Natur aus Wert, erst durch die Tauschpraxis der Menschen kommt der Wert in die Welt. Das Verhalten der Menschen wird so paradoxerweise zu einer “Eigenschaft” eines Dinges; es “fährt” in die Dinge hinein und “beseelt” die Warenkörper, die sich nun scheinbar zu anderen Waren “verhalten” können.

Warum der Wert ein Gespenst ist

Das soziale Verhältnis von Menschen verkehrt sich zu einem verdinglichten Verhältnis von Sachen. Dieses Verhältnis von Dingen kann natürlich nur ein Scheinbares sein, aber es handelt sich um einen realen Schein, der sich erst verflüchtigt, wenn sich die Menschen nicht mehr in dieser spezifischen Art und Weise gesellschaftlich aufeinander beziehen. Marx nennt das Unvermögen, nicht anders als über die “Produkte der menschlichen Hand” gesellschaftlich aufeinander Bezug nehmen zu können, Warenfetischismus. Die mystisch-fetischistische Basis der aufgeklärten Warengesellschaft findet eine Analogie im Reich der Religionen. “Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, müssen wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand”, sagt Marx im 1. Band des Kapital. Ob Totem, Naturgötter, Gott oder die Ware: die gesellschaftliche Synthese erfolgt nicht in der Form eines unmittelbaren gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses, sondern indirekt durch unbewusste, gemeinsame Bezugnahme auf etwas scheinbar “Äußerliches”, das scheinbar unabhängig vom bewussten Treiben der Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhang wie eine Matrix strukturiert. Diese Matrix erscheint nicht als durch die Menschen gemachtes Verhältnis, sondern als ein quasi-natürliches bzw. naturgesetzliches. Aber dieses Naturgesetzliche ist nichts weiter als die eigene gesellschaftliche Form, in welcher sich die Menschen in der Warengesellschaft aufeinander beziehen. Und so reicht es nicht, sich dieser unbewussten Form einfach bewusst zu werden. Vielmehr muss sich die Form der gesellschaftlichen Praxis der Menschen zueinander verändern, so dass die Vermittlungsprozesse zwischen Mensch-Mensch und Mensch-Natur in bewussten Kommunikationsprozessen vollzogen werden.

Warenproduktion: Von einem Randphänomen …

Auch wenn der Mainstream der bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften davon ausgeht, dass zu tauschen in der Natur des Menschen liege, ist der Warentausch in den vormodernen Gesellschaften nicht dasVergesellschaftungsprinzip gewesen. Wenn überhaupt getauscht wurde, so handelte es sich um ein randständiges Phänomen. Die vormodernen Gesellschaften funktionierten als Subsistenzwirtschaften, und diese verfügten über verschiedenste Formen der Verteilung von Produkten, zum Beispiel durch persönliche Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnisse. Es zeichnet erst die kapitalistische Gesellschaft aus, dass das Tauschen zum einzigen Prinzip des “Stoffwechselprozesses des Menschen mit der Natur” wird. Historisch betrachtet war der Tausch so lange ein randständiges Phänomen, wie die Menschen über eigene oder gemeinsame Mittel zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse verfügten. Erst die gewaltvolle Trennung der Menschen von diesen Mitteln machte Kapitalismus und damit die Verallgemeinerung des Tauschprinzips möglich. Erst im Kapital vollendet sich die Logik des Tauschens. Um das zu verstehen, müssen wir uns nochmals dem Wert zuwenden. Die Wert-Eigenschaft der Dinge entsprang einem spezifischen unbewussten Verhältnis der Menschen. Ein soziales Verhältnis wurde zu einer Eigenschaft einer Sache. Diese Wert-Eigenschaft ist das Ergebnis einer realen Abstraktion als logische Bedingung des Tauschaktes. Um sinnlich verschiedene Dinge gleich und damit vergleichbar zu machen, muss gerade von ihrer Sinnlichkeit abgesehen werden. So verwandeln sich sinnliche Gegenstände in abstrakte Wert-Dinge, die nichts weiter darstellen als Arbeitsprodukte überhaupt, in denen menschliche Energie überhaupt verausgabt wurde. Der Wert ist also der gemeinsame Nenner der Waren -verausgabte, vergegenständlichte oder auch geronnene menschliche Energie -, über den sich die Waren aufeinander beziehen können.

Der Wert – seinem abstrakten Wesen entsprechend – kann nun in verschiedenen Formen und Aggregatzuständen auf der sinnlichen Oberfläche der gesellschaftlichen Praxis erscheinen. Er kann u. a. in der Gestalt von Waren oder in der von Geld erscheinen. Im Geld erscheint der Wert als praktischer Vermittler zwischen verschiedenen Waren. Ein Beispiel: Ein Bäcker stellt Brötchen her, um sie gegen Geld zu tauschen. Mittels jenes Geldes tauscht der Bäcker all die Dinge ein, die er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse benötigt. Hier erscheint das Geld als relativ harmloses und sinnvolles Instrument: Hergestellte Waren werden gegen Geld und dann wieder gegen Waren getauscht, die dann konsumiert werden sollen; Ware-Geld-Ware. Der Wert schlüpft gewissermaßen zuerst in das Kostüm einer Ware, dann in das des Geldes, um sich schließlich wieder in eine Ware zu verwandeln. Dieses vermeintlich idyllische Bild einfacher Warenproduzenten hat allerdings nichts mit Kapitalismus zu tun.

… zum Kapital

Was ist nun Kapital? Damit Kapital entsteht, ist es notwendig, die Bewegung Ware- Geld-Ware in ihre einzelnen Segmente zu zergliedern und neu zusammenzusetzen: Geld-Ware-mehr Geld. Diese Bewegung ist Kapital. Im Unterschied zu Ware-Geld- Ware, wo zumindest noch am Anfangs- und am Endpunkt die Ware steht und das Geld nur vermittelnd zwischen beide Waren tritt, hat sich der Wert in seiner Ausdrucksform Geld selber zum Ausgangs- und Endpunkt der Bewegung des Kapitals gemacht, wobei die Bewegung Geld-Geld nur “Sinn” macht, wenn sich das Geld vermehrt. Der Wert ist zu seinem eigenen Ziel geworden, seine eigene sinnstiftende Instanz, er heckt sich selber als Selbstzweck. Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse sinkt zu einem bloßen Mittel herab, zu einem notwendigen Übel. Die “Maschine” Kapital ist also ein selbstbezüglicher Automatismus oder wie Marx es nennt: das automatische Subjekt. Alle menschlichen Bedürfnisse und die damit verbundenen Interessen können sich nur noch verwirklichen, wenn sie innerhalb der Kapitalbewegung gewissermaßen als Kollateralschaden abfallen. Die Produktion der Waren ist zum notwendigen Übel geworden, um aus Geld mehr Geld zu machen. Da der Gesellschafts- und Naturbezug der Menschen in der Warengesellschaft nur im Rahmen der selbstzweckhaften Bewegung des Werts (Kapital) erfolgt, der Wert aber eben von diesem Bezug absieht, weil er nur sich selbst und seine Selbstvermehrung kennt, sinken die Menschen zu bloßen Exekutoren der Bewegung des Kapitals herab. Die Menschen werden zu Funktionsträgern bzw. zu Charaktermasken eines sie beherrschenden Automatismus, der nichts weiter ist als ihre eigene verrückte, unbewusste, gesellschaftliche Vermittlungsform.

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Was ist der Wert?

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