Wie es den Kapitalismus zum Commonismus treibt
[Dieser Artikel ist in der heutigen Ausgabe des Neuen Deutschlands unter dem (vom der Redaktion veränderten) Titel „Vorwärts zum Commonismus“ erschienen.]
Stellen wir uns eine Welt vor, in der Produktion und Reproduktion bedürfnisorientiert zum Wohle aller stattfinden, organisiert von Menschen, die sich niemandem unterordnen müssen und sich freiwillig in die erforderlichen Tätigkeiten teilen. Ich nenne eine solche Gesellschaft Commonismus, weil ich glaube, dass darin die Commons, die Gemeingüter, eine wichtige Rolle spielen werden.
Man mag einwenden, dass eine solche Gesellschaft unmöglich ist, weil es sie noch nicht gab und weil sie der Natur des Menschen widerspricht. Doch daraus, dass es etwas noch nicht gab, kann man nicht schließen, dass es unmöglich ist; und Argumente zur „Natur des Menschen“ übersehen, dass die Menschen nicht nur die Gesellschaft machen, sondern umgekehrt auch durch die Gesellschaft beeinflusst und geprägt werden. Ändern sich die Strukturen, ändert sich auch das Verhalten der Menschen.
Der Commonismus bliebe allerdings eine abstrakte Idee, wenn er nicht das Zeug hätte, aus der heutigen Gesellschaft, dem Kapitalismus, heraus zu entstehen. Karl Marx sagte dazu, dass „die materiellen Existenzbedingungen“ neuer Produktionsverhältnisse „im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet“ werden müssen.
Eine commonistische Gesellschaft hat meiner Ansicht nach zwei wesentliche Voraussetzungen, deren Entwicklung durch die kapitalistische Logik zum Teil begünstigt wird, während ihre vollständige Umsetzung im Widerspruch zum Kapitalismus steht: (1) Menschliche Arbeit verschwindet aus dem Produktionsprozess, sie wird durch Automatisierung und Selbstentfaltung ersetzt. (2) Der Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln steht allen gleichermaßen offen.
Wie diese Voraussetzungen die Produktionsprozesse verändern, wird bislang im Bereich der digitalen Produktion von Software und anderen Informationsgütern am deutlichsten sichtbar. Die Freie-Software- und Freie-Kultur-Bewegung hat diesen Kernbereich der modernen Produktion so grundsätzlich umgewandelt, dass bestimmte Märkte deutlich geschrumpft oder gar komplett verschwunden sind. Dies betrifft etwa Internetsoftware, Software für Programmierer/innen und Enzyklopädien. In diesen Bereichen haben sich frei verwendbare Programme wie Apache, Firefox, WordPress, frei nutzbare Programmiersprachen wie Python, Entwicklungsumgebungen wie Eclipse sowie die freie Internet-Enzyklopädie Wikipedia durchgesetzt. Konkurrenzangebote, die gemäß der üblichen kapitalistischen Logik nur käuflich erwerbbar sind, haben nahezu keine Chance mehr. Indem sie Märkte zum Verschwinden bringt, weist diese Bewegung über den Kapitalismus hinaus. Zugleich basiert sie aber auf Voraussetzungen, die im Kapitalismus entstehen und der kapitalistischen Logik zufolge entstehen müssen.
Ein Paradox des Kapitalismus ist, dass die menschliche Arbeit einerseits seine Grundlage ist, andererseits aber ein Kostenfaktor, den jedes Unternehmen möglichst stark reduziert. Arbeit ist Quelle des Mehrwerts und damit des Profits, doch zugleich kann jedes Unternehmen seinen Profit zumindest temporär dadurch erhöhen, dass es Arbeit einspart und so gegenüber seinen Konkurrenten einen Kostenvorteil erzielt. Arbeit in Billiglohnländer auszulagern, ist eine Möglichkeit zur Kostensenkung, doch noch besser ist es aus unternehmerischer Sicht, sie durch Maschineneinsatz oder durch von den Kund/innen freiwillig und unentgeltlich übernommene Tätigkeiten zu ersetzen.
Bis vor einigen Jahrzehnten ging der Einsatz von Maschinen und menschlicher Arbeit meist Hand in Hand, etwa bei der Fließbandarbeit. Doch mit zunehmender Automatisierung wird die menschliche Arbeit bei Routinetätigkeiten immer entbehrlicher. Übrig bleiben Arbeiten, die sich kaum automatisieren lassen, weil sie Kreativität, Intuition oder Einfühlungsvermögen erfordern. Deshalb ist in Bezug auf den modernen Kapitalismus oft von „Dienstleistungs-“ oder „Informationsgesellschaft“ die Rede, weil die meisten nicht automatisierbaren Tätigkeiten in diese Bereiche fallen.
Zudem werden Aufgaben an die Kund/innen selbst delegiert, was weitere Arbeitskräfte einspart. Dank Selbstbedienung brauchen Supermärkte weniger Verkäufer/innen; beim Online-Shopping und Online-Banking werden die Verkäufer bzw. Schalterangestellten ganz überflüssig; Ikea überlässt den Kund/innen das Zusammenbauen ihrer Möbel und spart so Personal und Transportkosten.
Doch diese Entwicklungen verändern zugleich den Charakter des Tuns. Als Angestellter arbeite ich, um Geld zu verdienen. Wenn ich jedoch meine eigenen Möbel zusammenbaue oder im Internet nach für mich geeigneten Produkten suche, dann interessiert mich das Ergebnis meines Tuns. Und durch die zunehmende Automatisierung werden langweilige Routinetätigkeiten, die man nur gegen (Schmerzens-)Geld erledigt, zunehmend durch kreativere und daher auch inhaltlich interessantere Tätigkeiten ersetzt.
Für letztere ist eine Bezahlung zwar (sofern man noch Geld braucht) ein netter Pluspunkt, aber – wie sich in den letzten Jahrzehnten zur Überraschung vieler Ökonom/innen gezeigt hat – keineswegs eine notwendige Bedingung. Seit das Internet es immer mehr Menschen ermöglicht, andere mit ähnlichen Interessen auch über größere Entfernungen hinweg zu finden, sind viele Projekte entstanden, in denen Menschen gemeinsam an Dingen arbeiten, die ihnen wichtig sind. Dazu gehören Freie Software, Freie Inhalte wie die Wikipedia und Open-Hardware-Projekte, in denen die Beteiligten gemeinsam materielle Dinge entwerfen und die Baupläne mit der ganzen Welt teilen. Beim Freifunk-Projekt, das freie Funknetzwerke aufbaut, und bei Gemeinschaftsgärten, wo Menschen gemeinsam städtische Freiflächen in offene Gärten umgestalten, steht dagegen die Zusammenarbeit vor Ort im Mittelpunkt. All diese Projekte haben zwei Grundlagen: zum einen die freiwillige, bedürfnisorientierte Zusammenarbeit der Beteiligten; zum anderen die Gemeingüter – Software, Wissen, Netzwerke oder Orte –, die sie nutzen, pflegen oder hervorbringen.
Manchen der Beteiligten geht es dabei ums Geldverdienen oder die Verbesserung ihrer Berufschancen, aber viele engagieren sich aus anderen Gründen: weil sie selbst an dem entstehenden Werk Interesse haben; weil sie dabei Aufgaben übernehmen können, die ihnen Spaß machen; oder weil sie den anderen etwas zurückgeben möchten (ohne dazu verpflichtet zu sein). Arbeit zum Zweck des Geldverdienens wird so ersetzt durch Tätigkeiten, die man gerne um ihrer selbst willen, aufgrund ihres Ergebnisses oder den anderen Beteiligten zuliebe übernimmt: Selbstentfaltung.
Möglich ist das nur, weil die Beteiligten Zugang zu den benötigten Produktionsmitteln – wie Computern und Internetzugang – haben. Das mag als Begrenzung dieser freien, commonistischen Produktionsweise erscheinen, da die Konzentration der meisten Produktionsmittel in den Händen weniger für den Kapitalismus charakteristisch ist. Gemeinschaftlich produzieren kann man Software und Wissen, wo nur kleine, schon weit verbreitete Produktionsmittel nötig sind, aber wie steht es um Dinge, die riesige Fabriken erfordern?
Glücklicherweise treibt auch hier die Produktivkraftentwicklung den Kapitalismus in eine Richtung, die seine eigene Überwindung erleichtert. Ähnlich wie die heutigen Personalcomputer Nachfolger der Millionen kostenden und Räume füllenden Großrechner des letzten Jahrhunderts sind, werden auch andere Produktionstechniken immer günstiger und für Einzelne oder kleine Gruppen erschwinglicher. Kostengünstige, aber flexible computergesteuerte (CNC) Maschinen ersetzen in der industriellen Produktion zunehmend schwerfällige Großanlagen. Gleichzeitig hat sich rund um diese Maschinen eine Bewegung von Hobbyisten gebildet – die sogenannte „Maker“-Szene –, die sie nicht zum Geldverdienen benutzen, sondern um bedürfnisorientiert zu produzieren, zu experimentieren und Spaß zu haben.
In diesem Kontext sind auch erste Open-Hardware-Projekte entstanden, die selbst solche Produktionsmaschinen entwerfen und ihr Wissen als Gemeingut teilen. Damit werden die Grundlagen für eine bedürfnisorientierte, auf Gemeingütern basierende Produktionsweise gelegt. Die Rückeroberung der Produktionsmittel hat begonnen.