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Eine Welt ohne Geld?
Wie gleichberechtigt und freiwillig produziert werden kann
[Der folgende Artikel wurde in der Oya 8 veröffentlicht, deren Thema das „Geldbeben“ ist.]
Das Geld spielt in unserer Gesellschaft eine so große Rolle, dass es schwierig ist, sich eine Welt ohne Geld vorzustellen. Arbeiten die Menschen nicht nur, um Geld zu verdienen?
Würden Firmen ohne die Erwartung von Profiten etwas produzieren? Wahrscheinlich eher nicht. Doch für das Tun der Menschen spielt das Geld keine so große Rolle, wie man gewöhnlich denkt. Weniger als 40 Prozent der in Deutschland geleisteten Arbeiten werden bezahlt, der größere Teil wird nicht entlohnt: Tätigkeiten im Haushalt, private Pflege- und Betreuungsleistungen sowie ehrenamtliche Tätigkeiten. Gerade weil sie unbezahlt sind, werden diese Tätigkeiten in unserer Gesellschaft meist nicht sehr ernst genommen, doch ohne sie würde alles zusammenbrechen. Und sie demonstrieren eindrucksvoll, dass Menschen für andere nützliche Dinge tun, auch wenn sie nicht mit Geld „bestochen“ werden.
Auch im Internet spielen weitgehend geldfreie Formen der Produktion eine wichtige Rolle. Für Freie Software, wie das Betriebssystem Linux oder den Browser Firefox, und Freie Inhalte, wie die Internet-Enzyklopädie Wikipedia oder das OpenStreetMap-Projekt, muss ich nichts bezahlen. Ich darf sie nutzen, an andere weitergeben, und sogar – wenn ich die entsprechenden Kenntnisse habe – erweitern und verbessern; und das alles kostet mich keinen Cent.
Bedürfnisorientierte Produktion
Bisweilen wird Freie Software von Firmen produziert, die damit auf indirektem Weg Geld verdienen, z.B. über den Verkauf von Supportverträgen, Dokumentation oder passender Hardware. Doch in vielen Fällen steht hinter solchen Projekten eine Community von Menschen, die sich freiwillig und unentgeltlich engagieren, weil ihnen das dort entstehende Produkt wichtig ist oder weil sie die Tätigkeit genießen. Anderen geht es darum, etwas zu lernen, ihre Kenntnisse zu demonstrieren oder der Community etwas zurückzugeben. Es gibt viele Gründe, warum Menschen sich engagieren – auch ohne Geld.
Entsprechend den Vorstellungen der modernen, neoklassischen Wirtschaftstheorie entstehen Firmen zur Reduzierung von sogenannten Transaktionskosten (Ronald Coase). Das heißt, als Unternehmer meine Angestellten zu beauftragen, ist für mich günstiger, als jede einzelne Leistung einzukaufen. Die Angestellten haben den Vorteil, im Voraus zu wissen, welche Einnahmen sie erwarten können, statt sich täglich auf dem Markt bewähren zu müssen, aber sie sind Teil eines hierarchischen Systems und müssen den Anweisungen der Geschäftsführung folgen. Beziehungen auf dem Markt spielen sich dagegen zwischen formell Gleichberechtigten ab, sind jedoch rein funktionell: Die anderen interessieren mich nur als Tauschpartner, die mir etwas verkaufen oder abkaufen können.
Die Neoklassik kennt keine anderen Formen außer dem Markt und der Firma, doch die Communities von Menschen, die gemeinsam produzieren, zeigen, dass es auch anders geht. Anders als in Firmen sind alle freiwillig dabei, niemand erteilt den anderen Befehle. Deshalb wird diese Produktionsweise als Peer-Produktion bezeichnet: Die Beteiligten arbeiten auf gleichberechtigter Basis (als „Peers“) zusammen.
Und anders als auf dem Markt sind die anderen keine potenziellen Tauschpartner, sondern Menschen, die mit mir zusammen zu einem Ziel beitragen, das uns wichtig ist. Bei solchen Projekten geht es also ums Beitragen statt ums Tauschen. Beitragen ist im Gegensatz zum Tauschen kein Nullsummenspiel: Wenn ich beim Tauschen bzw. (Ver-)Kaufen ein „gutes Geschäft“ gemacht habe, bedeutet dies allzu oft, dass jemand übers Ohr gehauen wurde. Wenn dagegen jemand gute Beiträge liefert, gewinnen alle Beteiligten.
Solange die Produzenten Verkäufer sind und die Nutzer Käufer, arbeiten alle tendenziell gegeneinander: Die Einnahmen des einen sind die Kosten des anderen. Und ein höherer Marktanteil für einen Produzenten schmälert die Einnahmen desjenigen, der dasselbe produziert, weshalb die Produzenten zwangsläufig in einem Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. Derselbe Interessengegensatz wie zwischen Verkäufern und Käufern besteht zwischen Angestellten und Inhabern bzw. Geschäftsführung einer Firma: Erstere wollen zu möglichst günstigen Konditionen ihre Arbeitskraft verkaufen; letztere wollen ein Maximum an Arbeitskraft für möglichst wenig Geld erhalten. Diese Gegensätze fallen bei der bedürfnisorientierten Peer-Produktion weg, da meine Bedürfnisse nicht auf Kosten der Bedürfnisse anderer gehen müssen. Im Gegenteil: Alle Beteiligten unterstützen sich gegenseitig bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse, was für alle von Vorteil ist.
Die verschiedenen Geldfunktionen und wer sie übernimmt
Produktion findet also nicht nur des Geldes willen statt. Doch ist eine Welt ganz ohne Geld möglich? Dafür müssen wir die drei Funktionen von Geld betrachten und uns fragen, was gegebenenfalls an ihre Stelle treten könnte: Geld ist die Triebkraft der Produktion in den Firmen, Geld ist der Motivator, um arbeiten zu gehen, und Geld regelt die Verteilung: Wer Geld hat, kann sich Ressourcen und Güter kaufen, wer keines hat, geht leer aus.
Wir haben schon gesehen, dass die erste Geldfunktion bei einer bedürfnisorientierten Produktion entfällt. Bedürfnisse spielen im Kapitalismus ebenfalls eine Rolle, denn niemand kann ein Produkt verkaufen, nach dem kein Bedürfnis besteht. Doch hier sind die Bedürfnisse nur Mittel zum Zweck der Geldvermehrung, so dass sich Firmen bemühen, das Bedürfnis nach ihren Produkten bei potenziellen Kundinnen und Kunden überhaupt erst zu wecken.
Bedürfnisorientierte Produktion darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass jede und jeder nur für sich produziert. Peer-Produktion beginnt zwar oft dort, „wo’s ihre Entwicklerinnen und Entwickler juckt“, wie Eric Raymond, einer der Pioniere der Freien Software, sagte, aber gleichzeitig entstehen dabei immer auch für andere nützliche Güter. Und häufig beteiligen sich Menschen nicht aufgrund konsumtiver, sondern aufgrund produktiver Bedürfnisse: Sie machen etwas, weil sie es gerne machen, weil sie etwas lernen oder weil ihnen die Menschen wichtig sind, für die sie es machen.
Ungezwungene Produktion für andere
Dass Peer-Produktion immer auch Produktion für andere ist, widerspricht gängigen ökonomischen Vorstellungen, wonach die Alternative zum Markt eine Art Robinson-Modell ist: Alle würden nur noch für sich oder ihre Familie produzieren; Kooperation größeren Stils fände nicht mehr statt. Dass man mit so einem isolierten Modell nicht weit kommt, ist klar. Als weitere Alternative wird die zentralisierte Planwirtschaft – der verflossene „Realsozialismus“ – genannt: Die ganze Gesellschaft funktioniert nach dem Modell einer Firma. Das Management, die Planerinnen und Planer geben vor, was alles zu tun ist, verteilen die zu erledigenden Aufgaben und überwachen, dass sie ordnungsgemäß erledigt werden. Diese Alternative hat historisch nicht sonderlich gut funktioniert und klingt wenig attraktiv: Man ist weiterhin abhängiger Angestellter, jetzt allerdings des Staats, und muss tun, was die Vorgesetzten sagen.
Peer-Produktion ist dagegen Produktion für andere, die nicht erzwungen wird und nicht des Geldes willen stattfindet. Peers produzieren für andere, weil sie es können und weil es eine Möglichkeit ist, weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Denn je mehr Menschen die Ergebnisse eines Projekts nutzen, desto mehr potenzielle Beitragende gibt es, da die Beitragenden meist nach und nach aus dem Kreis der Nutzerinnen und Nutzer dazustoßen. Wenn ein Projekt nicht mit anderen teilt und für andere mitproduziert, nimmt es sich die Chance, „Nachwuchs“ zu gewinnen.
Die Aufgabenverteilung bei Peer-Projekten erfolgt in einem offenen Prozess, für den sich der Begriff „Stigmergie“ etabliert hat. Die Beteiligten hinterlassen Hinweise (griechisch stigmata) auf begonnene oder gewünschte Arbeiten, die andere dazu anregen, sich darum zu kümmern. Diese Zeichen, etwa To-Do-Listen und Bug-Reports in Softwareprojekten oder „rote Links“ auf noch nicht existierende Artikel in der Wikipedia, bilden einen wichtigen Teil der Kommunikation.
Alle Beteiligten folgen den Zeichenspuren, die sie am meisten interessieren, und sorgen auf diese Weise sowohl für eine automatische Priorisierung der offenen Aufgaben – was mehr Menschen am Herzen liegt, wird im allgemeinen schneller erledigt – als auch dafür, dass die unterschiedlichen Kenntnisse und Fähigkeiten der Beitragenden nahezu optimal eingesetzt werden. Man arbeitet zumeist an dem, was man sich am ehesten zutraut. Und da man sich aussucht, ob und wo und wie viel man mitarbeitet, sind die Beteiligten motivierter als Menschen, denen eine Aufgabe zugeteilt wird oder die als Angestellte oder Selbständige auf dem „freien Markt“ nur wenig Alternativen haben. Somit wird auch die zweite Geldfunktion entbehrlich. Peer-Produktion zeigt, dass Geld keineswegs der einzige Motivator ist.
Die unangenehmen Aufgaben
Aber reicht das? Was passiert, wenn man das Modell der Peer-Produktion auf alle Bereiche der Gesellschaft projiziert? Was wäre, wenn sich für bestimmte Aufgaben keine Freiwilligen finden, weil sie von allen als unangenehm, gefährlich oder aus anderen Gründen unattraktiv empfunden werden? Ein geldbasiertes System zwingt die schwächsten Glieder der Gesellschaft zur Übernahme solcher Aufgaben – diejenigen, die keine anderen Möglichkeiten zum Geldverdienen haben. Dass das eine gute Lösung ist, würden nur Zyniker behaupten – aber wie geht es anders?
Manche dieser Aufgaben würden sich wahrscheinlich als verzichtbar erweisen; wo das nicht der Fall ist, bleiben Automatisierung, Umorganisation und faire Aufteilung als Lösungen. Die Automatisierung hat seit Beginn der „industriellen Revolution“ schon enorme Wirkungen entfaltet; immer größere Teile der Produktion werden ganz oder teilweise automatisiert.
Allerdings stellt im Kapitalismus der Lohn eine Grenze der Automatisierung dar. Je schlechter bezahlt ein Job ist, desto schwieriger wird es, ihn ohne Mehrkosten zu automatisieren. Deshalb lohnt sich dies bei vielen undankbaren Tätigkeiten, wie etwa Putzen, gemäß der kapitalistischen Kalkulation nicht. Anders bei der Peer-Produktion: Wenn es hier Aufgaben gibt, an deren Erledigung alle oder viele interessiert sind, die aber niemand selbst tun will, dann ist der Anreiz, sie ganz oder teilweise zu automatisieren, sehr hoch. Und da die Automatisierung von Tätigkeiten selbst eine spannende und herausfordernde Beschäftigung ist, sind die Chancen, dafür Freiwillige zu finden, sehr viel besser.
Wo dies unmöglich ist, dürften sich Tätigkeiten häufig so umgestalten lassen, dass sie angenehmer werden. Im Kapitalismus finden manche Arbeiten unter sehr schlechten Bedingungen statt. Man denke an eine Angestellte, die um vier Uhr morgens Büros putzen soll. Das würden gleichberechtigte, freiwillig kooperierende Menschen von sich aus nicht so organisieren. Automatisierung und Umorganisation lassen sich auch kombinieren. Beispielsweise werden in einigen spanischen Städten heute Müllautos mit Greifarmen eingesetzt, mittels derer die Mülltonnen vom Fahrerhaus aus ferngesteuert aufgenommen und geleert werden. So kommt niemand mehr mit dem Müll direkt in Berührung, und die Müllabfuhr wird zu einer einem Videospiel ähnlichen Geschicklichkeitsaufgabe, für die sich leicht Freiwillige finden.
Falls weder Automatisierung noch Umorganisation greifen, ist ein Pool von unangenehmen Aufgaben denkbar, von denen jede und jeder anteilig einige übernimmt. Wenn sich so alle oder die meisten an der Erledigung dieser Aufgaben beteiligen, hat niemand sehr viel damit zu tun, und was alle machen müssen, ist erfahrungsgemäß auch weniger schlimm.
Gemeingüter und Besitz produzieren
In jeder Gesellschaft verhalten sich die Menschen zur Natur und zu den Produkten ihres Tuns in einer Weise, die dieser Gesellschaft entspricht. Im Kapitalismus werden Ideen, Produkte und natürliche Ressourcen vorwiegend als Eigentum betrachtet, das nur mit Zustimmung der Eigentümerin oder des Eigentümers – und in aller Regel gegen Geld oder eine andere Gegenleistung – den Besitzer wechseln kann. Bei allgemeiner Peer-Produktion werden sie dagegen zu Gemeingütern und Besitz, denn wo das Geld überflüssig wird, verliert auch das Eigentum, also die Berechtigung, Dinge „zu Geld zu machen“, seine Bedeutung. Etwas zu besitzen, bedeutet dagegen, es zu benutzen: Die Wohnung, die ich gemietet habe, ist mein Besitz, aber das Eigentum meines Vermieters.
Gemeingüter (englisch commons) sind Güter, die von einer Gemeinschaft produziert oder gepflegt werden und die für die Nutzerinnen und Nutzer nach gemeinsam festgelegten Regeln verfügbar sind. Freie Software und Freie Inhalte sind Gemeingüter, die alle nicht nur nutzen, sondern auch verändern und weiterentwickeln dürfen. Wasser, Luft, Wälder und Land galten oder gelten in vielen Gesellschaften als Gemeingüter, die von größeren oder kleineren Gruppen genutzt und gepflegt wurden und werden.
Peer-Produktion basiert auf Gemeingütern und bringt ihrerseits neue Gemeingüter hervor. Deswegen spricht der US-amerikanische Jurist Yochai Benkler, der den Begriff geprägt hat, auch von commons-based peer production. Das von Peers produzierte Wissen – ob Software, Inhalte oder Freies Design, freie Bauanleitungen und Konstruktionspläne, die die Herstellung, Nutzung und Wartung materieller Güter dokumentieren – wird zum Gemeingut, das andere anwenden und weiterentwickeln können. Aber Peer-Produktion kann nicht nur Informationen, sondern auch Infrastrukturen und materielle Güter hervorbringen. So sind in vielen Städten Freie Funknetze entstanden, die allen in der Umgebung kostenlosen drahtlosen Internetzugang ermöglichen. Häufig sind diese Projekte als „Mesh-Netzwerke“ organisiert, die ohne privilegierte Server auskommen – alle beteiligten Computer sind gleichberechtigt. Mittels solcher dezentraler, selbstorganisierter Netzwerke können sich die Menschen nicht nur mit Kommunikationsmöglichkeiten versorgen, sondern auch mit Energie und Wasser. Selbstorganisierte commonsbasierte Projekte zur Wasserversorgung existieren beispielsweise in Südamerika.
Gleichzeitig sind auch erste offene Einrichtungen für die Produktion materieller Güter entstanden. Hackerspaces und Fab Labs werden von Freiwilligen betrieben und verfügen oft über computergesteuerte Maschinen – z.B. Fräsmaschinen und sogenannte 3D-Drucker oder Fabber –, die eine weitgehend automatisierte Produktion kleiner Stückzahlen ermöglichen. Die Baupläne der verwendeten Maschinen werden nach Möglichkeit selbst als Freies Design offengelegt, und man arbeitet daran, dass sich mit ihnen wiederum mindestens gleichwertige Maschinen herstellen lassen. So schafft sich die commonsbasierte Peer-Produktion selbst die Basis für ihre weitere Ausbreitung und gleichzeitig für die Versorgung der Menschen mit dem, was sie zum Leben brauchen.
Wo die Dinge als Gemeingüter und Besitz produziert werden, wird die Frage der Verteilung, die letzte noch offene Geldfunktion, viel entspannter. Ich kann beliebig viele Lebensmittel verkaufen, aber nur eine sehr begrenzte Anzahl essen. Dasselbe gilt für alle anderen Güter: Jedes Bedürfnis, sie zu nutzen, ist tendenziell begrenzt. Grenzenlos ist nur die Möglichkeit und gegebenenfalls das Interesse, sie zu Geld zu machen. Aber diese Möglichkeit verschwindet in einer Welt, wo die Produktion bedürfnisorientiert erfolgt und niemand kaufen und verkaufen muss.
Gemeinsam gute Entscheidungen fällen
Peers produzieren für sich und andere. Ich tue etwas für die anderen und vertraue darauf, dass die anderen etwas für mich tun. Alle suchen sich die Bereiche aus, die ihnen wichtig sind oder gut gefallen. Auch wenn einige gar nichts machen, ist das kein Problem, solange nur genügend andere aktiv werden. Dabei funktioniert Peer-Produktion immer nur dann, wenn man die anderen tatsächlich als Peers, als ebenbürtig begreift. Einzelne können sich nicht auf Kosten der anderen verwirklichen, weil die anderen nicht dumm sind und sie dabei nicht unterstützen werden – und ohne Unterstützung kommt man nicht weit.
Auch eine peer-produzierende Gesellschaft wird entscheiden müssen, wie die vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden – produziert man lieber Lebensmittel für alle oder Biosprit, damit einige nach Erschöpfung der Ölvorräte weiter Auto fahren können? Setzt man für die Energieversorgung lieber auf dezentrale erneuerbare Energiequellen oder auf Atomkraftwerke, die die Menschen in ihrer Umgebung einem unkalkulierbaren Risiko aussetzen und die kommenden Generationen jahrtausendelang mit Verpflichtungen belasten? Baut man am schönsten Punkt der Küste lieber ein Kulturzentrum, das alle nutzen können, oder ein Schloss für jemanden, der sich für etwas Besseres hält? Wer verstanden hat, wie und warum Peer-Produktion funktioniert, wird wohl wenig Zweifel haben, wie die Antworten auf diese Fragen ausfallen dürften. Aber das Wichtigste ist, dass sie gestellt und beantwortet werden können von denen, die sie angehen – uns allen.
On the End of Money
[Es gibt auch eine deutschsprache Version des Artikels]
Franz Hörmann, professor at University of Economics in Vienna, has rocked the boat with his theses on the breakdown of the monetary system [1|2|3|4, in german]. The breakdown shall happen this year. And then? WienTV made an interview with Hörmann after a screening of the new movie Zeitgeist Moving Forward (with english subtitles):
What should one think about this?
Beside the concrete date stamping of the crash (there have been other collaps theorists who failed) I see some problematic points in Hörmann’s theses. Here, I will list only those points which spontaneously come to my mind when watching the interview (disclaimer: I have not read Hörmann’s book on the same topic).
1. Hörmann treats money in a way, as if it actually has nothing to do with real economy. He thinks, money creation is an arbitrary act of private banks. Problems arize from treating money as a substance (a jar full of gold pieces) and by putting interest on it. In reality, however, money is a pure counting unit, simply information. It doesn’t show any substance, but only relations, Hörmann thinks.
It is true, that money only depicts relations, but these relations are exchange relations of commodities, which incorporate effort to produce them. In traditional political economy there is a notion for that: value. While the price may only be a number, the value expresses a relationship. To emphasize this aspect Marx named the societal relationship expressed by value (following dialectical philosophy of Hegel) »value substance«. If one understands substance in a colloquial sense as »matter« then one is wrong.
In real history there have been a special commodity which becomes the money commodity. Therefore it suggest itself to think of money commodity as a »thing«. In fact, historical money commodity expresses relationships between exchangers. In the following the materiality of money was dropped, and finally even material backing through gold stored in a bank deposit was removed. Today money seems to be only a »number« which has nothing to do with real exchange relations. But this is not the case. Indeed, the financial sphere has been relatively decoupled from real economy and generates new »financial products from nothing« again and again, but these products remain — mediated in space and time — related to real economy. The process of partially bringing both spheres in accordance is named crisis. Crises are generated with necessity, and they are generated with necessity on levels going up and up.
The built-in escalation dynamic (money must steadily turned into more money) actually has total crash potential — this is where I go with Hörmann. However, this does not result from interest, but the other way round. Interest is only an expression of the built-in growing coercion of capitalist logic. Interest is — so to say — the slice financial sphere wants to cut from real economy. And due to real economy not being able to »deliver« as much enough, it will be simulated beforehand inside relatively decoupled financial sphere itself. Relatively decoupled, because any time the balance will be coerced, and then all houses of cards and pyramid schemes collapse.
2.Hörmann wants to reintroduce money — which he thinks is only a counting number — after a crash as new money (by social ministry), in this case including a basic income for all. Then cooperation instead of competition and justice instead of injustice will rule, he thinks.
Why should this »new« money »behave« differently compared to the old one? All relationships in which money plays a role remain the old ones: separate private production, exchange, markets, and thus value relations. Competition and profit maximizing is gong on. But also cooperation, because there is cooperation already. There are already cars which are produced in a lego-like way (this was an example of Hörmann). Justice — understood as just equivalent exchange — is already there, too. Solely the basic income would be new, it would help a lot of people.
3. »Dead things« will no longer payed, but only human efforts and abilities. There is an extra circulation for raw materials. Unpopular tasks will be rewarded with extra bonus, while popular tasks do not yield so much. Due to money only being a number human behavior can be governed this way.
Shall »dead thing« be declared »valueless« by law? Here we have the fallacy, that money is a functionless arbitrary issue, which can be re-defined at will. This is not the case. If basic processes of commodity production and distribution do exist further on, then money will fulfill its function therein. Products »having value« is nothing which is established by agreement and thus can be removed on the same way, but with the necessity of exchange (and exchange is necessary as long as production is taking place privately) there is a necessity for money which mediates the exchange. This is not an agreement but a process behind our backs, which Adam Smith already knew.
Funnily the arbitrary weighting (unpopular tasks high, popular ones low) reminds me of Christian Siefkes’ old auction model of Peer-Economy (which he no longer follows). But this is only noted in the margin, otherwise the approaches do not have much to do with each other.
There would be some more points, but I leave it that way (cue: bank employees as psychological coaches — an horrible imagination).
Why do those, who basically recognized money as a fetish — and not many are able to do this — finally need to adhere to money? It seems to be an overlarge mental leap to image circumstances, in which we are not plagued by material power — the coercion to »make money« — but we are able to take our life in our own hands.
»Zeitgeist« and Commons
[Es gibt auch eine deutschsprachige Version des Artikels]
Some weeks ago the movie »Zeitgeist Moving Forward« was released (online/torrent and offline), and I have seen the film only now. Whow, this is a loaded movie! In a radical and compelling way it tells the end of the fetish »market economy«. I did not expect that. The following trailer hardly facilitates the right impression:
So, what is the film about and what has this to do with commons?
The movie is full of informations. One has to concentrate enormously to follow all facts and statements (especially for non-english watchers reading the subtitles is hard). The movie has four chapters: »Human Nature«, »Social Pathology«, »Project Earth«, »Rise«. In all parts the film is made very US centered. I want to focus on certain chosen aspects. I recommend reviews of Franz Nahrada, Andreas Exner und Tomasz Konicz (sorry: all in german), which point to important critical points in a striking way, but also name the positve aspects. Critique of science and technical fetishism, patriarchal view (pay attention to clichéd background images of »family« etc.), shortened notion of money (money=debt) etc.; praise for questioning the system and radically breaking with exchange, money, market, state and politics. The movie easily and clearly distance from the »management left«, which is biased in the swamp of the old, although they basically strive for the same.
In chapter »Human Nature« a lot of time is used to argue against genetic determinism, against »being inhered« of nearly everything: crime, alcoholism, laziness, overweight, poverty etc. Regarding this question the stupidity seems to be boundless in the USA. This does not mean, that such debates do not occur in Europe, but they are not so primitive and need more effort to justify a genetic determinsm. The movie brilliantly decodes the economic interests behind such arguments: prison as profit system which »lives« from jailing more and more people; health care as system which only profits from steadily suffering and sick people, a system with no interest in real »healing« etc.
However, it is shortsighted to change genetic determinism with a kind of an environmental determinism: It ought to be the environment which makes all that which is imputed to the genes. Allegedly the sciences have recognized this clearly, but due to ideological reasons it is not conceded. However, also the environmental determinism is an ideology, is a reduction, and blinds out, that humans are producing the conditions themselves under which they live and suffer. Simply to walk on the »other side« of the dualistic determinist view disimproves the situation.
Indeed, it is the socio-economic system which has to be changed (where humans in a new »environment« should change in a better direction, that’s the hope). However: Who should do this if all are »victims of the culture«? There is an unlogical answer: the scientists. Why should they be excluded from the environmental determination? What enables them to gain insights which are denied for others? The background of this position (which is heavily critized in the above mentioned articles) is the idea of a »neutrality of sciences« and a notion of »the scientific method«, which is dead dangerous. If someone owns »the method« then s/he — completely unscientific — takes off from others, justifies a higher status, legitimates authority and, finally, elitism. Actually, this has not be necessary, but in the movie it is and therefore has to be criticized (surely in more detail than I do here).
On the other hand, the alternative to determinism can not be scientific relativism, where in some way all are right and not right at the same time — depending on what one wants to see as »science«. But this too would only be a dualistic repulsion, which is right in criticizing »the scientific method«, but can not serve as an own fundament of relativism. Dogmatism and relativism are only two sides of the same coin, of the same reduction. Contrary to this, the notion of truth has to be defended which, however, requires for each scientific object an own adequate approach. Method and object are not separated from each other as »scientific methodists« claim, and the method is not »subjectively relative« as »postmodern relativists« assert, but the method depends on its object, is related to this object and is only valid in respect to this object.
Chapter »Social Pathology« shows the intellectual roots of modern market paradigm with John Locke and Adam Smith. In detail this is interesting (i.e. regarding Locke, that private property should leave »enough for all«). However, the history of capitalist market economy is not only a history of ideas, but a real history of the qualitative transition of an agrarian-mechanical to an industrial way of production — which is not addressed in the film. Then at some point big industry and monetary system »are there«, and then systematically produced imbalances, waste of resources und inefficiencies are criticized.
The way of unmasking capitalism aa an inefficient system of production of vital goods is excellent, although the systems ideological self-attribution always claims the contrary. The monetary system is described as systematically producing over-indebtedness and inflation inevitably heading for a collaps, because the state cannot create money from nothing to compensate exponential growing debts. The backlink to real economy as well as money being value and (fictious) capital is, however, too narrowly considered. Overall, notion and concept of »economy« are maintained, but the »scarcity-based market economy« is criticized as »anti-economic«. »Scarcity« is debunked as social form of commodity production, which has nothing (or only a little) to do with the »nature« of limited goods. »Scarcity« is made, it is not »there«.
In Chapter »Project Earth« the Zeitgeist alternative of a Resource-Based Economy (RBE) as a »true economy« is presented. The starting point is as simple as true: Humans need things for their living which they produce by using resources. The consumption of resources when producing goods has to be adjusted to the regeneration ability and limited availability of resources to allow for a good living for all humans on earth — today and for future generations. In order to achieve that, the resource stock of whole earth has to be mapped in order to be able to make scientifically reasonable — and not politically driven — decisions about the structure of production. It is annoying that exactly at this point the german subtitles falsely speak about »commodities« (instead of goods), but this does not touch english listeners.
As an example a city of the Venus Project is presented, which has been designed following engineer-optimized concepts. Well, I don’t want to live in such a city. At this point the alleged »neutrality of sciences« break through, which find itself decoupled from humans needs although the film continiously emphasizes that all is about satisfying human needs. Do we see here creeping in the domination of the experts view over the people? This would be a dystopian vision, which the Zeitgeist project does not require at all. But actually these circular optimized Venus cities are not at issue, because a societal change towards a RBE would be a gigantic transformation project of existing grown structures into reasonable resource-saving new structures, which start from the needs of the people. The valid idea that infrastructures have to be most effective as possible (therefore the circular form of Venus cities) applied to existing real cities would result in enormous savings without bringing them into such a circular form. From the recources viewpoint a complete rebuilding of everything would be stupid.
Human needs as the driver of a societal transformation are clearly underestimated. Here, we don’t see much trust in the people, which isn’t surprizing if one sees them simply as »victims of culture«. The insight, that separated satisfaction of needs through »consumption« leads to highly contradictory and self-damaging behavior, is partly realized but not used here. If we think reversely by having a societal form allowing for integration of diverse human needs in a process of communicative mediation previous to production, then balanced and substainable inclusion of all needs would be possible. Once the people have a real bearing on their conditions, they will use them. In fact, a »buying decision« is not influence, instead real influence has to bear on production. Basically this is possible in a RBE, because most separating elements are abandoned: money, market, state, politics, domination.
Finally, the last chapter »Rise« is about a possible replacement of current »socio-economic system« (it is rarely spoken about capitalism). Here, »Moving Forward« toils as all others do who want a need-oriented society. This can not be any different. Again, we drastically understand as much the global system called »market economy« has failed: endless resource exploitation, deforestation, hunger (ebery day 18000 children starve), people displacement, climate catastrophe — nothing we not already know in some way. But who can stand this every day without suppressing it or pushing the »guilt« to the victims?
Also this is nothing, which not other active people would bewail, but Zeitgeist draws the only valid and logical consequence: If the socio-economic system did produce all that, then a solution can never be found inside this system. It is not enough to elongate or adjust some levers. Instead, a new way to produce the livelihood has to be brought into the world. This new way of production cannot base on the mechanisms of the old — money, market, state, commodities, exchange. Probably there is some more, including the Zeitgeist-own religious faith in the sciences. However, central points which normally are avoided by »left« approaches are on the table.
The final image of the movie where the ruling class drop their power and the ruled people drop their money is not more than this: an image using the medium of a film. It is art, because other then artistically one can not show this scenario of an end of a society. Every more concrete imagination would be unbelievable. We will see, whether Zeitgeist kann become a global movement. It is not really clear why they rarely exist in Germany. Maybe, because the illusionists who believe, that immanent reforms can save anything are dominant. Despite using unfit means they, however, express the same wish which Zeitgeist represents: May the society become human.
What does this has to do with commons?
The simple answer is: Commons are a RBE on a small scale. Simply said, as RBE looks »from above« the commons look »from below«. The RBE is weak answering the question of how people will create truly reasonable and human circumstances — the commons show this in numerous examples on the small or medium scale. The commons are weak answering the question of how the commons principles can be extended on the societal level — RBE is presenting an approach for whole society.
However, and I am quite sure about that, it would come to a serious »clash of cultures«, when anti-monetarist and technique-believing Zeitgeist people bump on monetary ignorant and technically sceptical commoners — very roughly said. This sometimes happens yet within the commons, .i.e. if »digital« meet »natural« commoners.
But why shouldn’t this become exciting provided that one is willing to learn from each other?
Vom Ende des Geldes
[There is also an english version of this article]
Franz Hörmann, Professor an der Wirtschaftsuni Wien, hat mit seinen Thesen vom Zusammenbruch des Währungssystems schon einigen Staub aufgewirbelt. Dieses Jahr soll’s passieren. Und dann? WienTV hat ein Interview mit Hörmann gemacht (im Anschluss an eine Veranstaltung zum Zeitgeist-Film Moving Forward):
Was ist davon zu halten?
Mal abgesehen von der konkretistischen Datierung des Crashs (da haben sich schon andere Kollaps-Theoretiker getäuscht), sehe ich eine Reihe von problematischen Punkten in Hörmanns Thesen — hier mal nur die, die mir spontan anhand des Interviews aufgefallen sind (Disclaimer: ich habe Hörmanns Buch nicht gelesen).
1. Hörmann behandelt Geld so, als ob es tatsächlich nichts mehr mit realer Wirtschaft zu tun habe. Geldschöpfung sei ein Willkürakt privater Banken. Die Probleme entstünden dann deswegen, weil Geld als Substanz angesehen (ein Topf voller Goldstücke) und mit Zinsen belegt werde. Eigentlich sei Geld jedoch eine reine Zähleinheit, bloß Information, es bilde keine Substanz ab, sondern nur Verhältnisse.
Es ist richtig, dass Geld nur Verhältnisse abbildet, aber diese Verhältisse sind Tauschverhältnisse von Waren, hinter den ihr Herstellaufwand steht. Dafür gibt es in der traditionellen politischen Ökonomie auch einen Begriff: Wert. Während der Preis nur eine Zahl sein mag, ist der Wert Ausdruck eines Verhältnisses. Um dies zu verdeutlichen nannte Marx das durch den Wert ausgedrückte gesellschaftliche Verhältnis im Anschluss an die dialektische Philosophie Hegels »Wertsubstanz«. Versteht man Substanz hier umgangssprachlich als »Stoff« und nicht als »Verhältnis«, dann liegt man falsch.
Realgeschichtlich war es tatsächlich eine spezielle Ware, die zur Geldware wurde. Daher liegt es nahe, die Geldware immer als »Sache« zu denken. Tatsächlich drückte auch die historische Geldware nur Verhältnisse zwischen Tauschenden aus. In der Folge wurde dann auch die Stofflichkeit des Geldes aufgegeben, schließlich sogar die stoffliche Deckung mittels Gold im Banksafe, so dass Geld heute nur als »Nummer« erscheint und nichts mehr mit den realen Tauschverhältnissen zu tun hat. Das ist jedoch nicht so. Zwar hat sich die Finanzsphäre relativ von der Realwirtschaft entkoppelt und generiert immer wieder neue »Finanzprodukte aus dem Nichts«, doch bleiben diese stets — wenn auch räumlich und zeitlich vermittelt — auf die Realwirtschaft bezogen. Das partielle wieder-in-Deckung-bringen von Finanzsphäre und Realsphäre ist dann eine Krise. Diese wird mit Notwendigkeit produziert, und mit Notwendigkeit auf immer höherem Niveau.
Der eingebaute Aufschaukeleffekt (aus Geld muss stets mehr Geld werden) hat tatsächlich Total-Crash-Potenzial — da gehe ich mit Hörmann wieder mit. Das liegt aber nicht an den Zinsen, sondern umgekehrt sind Zinsen nur Ausdruck des eingebauten Wachstumszwangs kapitalistischer Logik. Zinsen sind sozusagen die Scheibe, die sich die Finanzsphäre vom Realwachstum abschneiden will — und weil die Realwirtschaft nicht schnell genug »liefern« kann, simuliert sie das schon mal vorab in der relativ entkoppelten Finanzsphäre selbst. Relativ, denn irgendwann kommt der Zwangsabgleich, und dann brechen die Kartenhäuser und Pyramidensysteme zusammen.
2. Hörmann will das, was er meint, dass ohnehin der Fall sei — Geld nur als Zähleinheit — nach einem Crash als neues Geld wieder einführen (durch das Sozialministerium), diesmal mit Grundeinkommen für alle. Dann werde Kooperation statt Konkurrenz und Gerechtigkeit statt Ungerechtigkeit herrschen.
Warum sollte sich dieses »neue« Geld anders »verhalten« als das alte? Alle Verhältnisse, in denen das Geld seine Rolle spielt, sind noch die alten: getrennte Privatproduktion, Tausch, Markt, also Wertverhältnisse. Damit gibt es weiter Konkurrenz und Profitmaximierung. Und natürlich auch weiterhin Kooperation, denn kooperiert wird auch jetzt schon. Auch jetzt schon werden Autos in Legobauweise hergestellt (war ein Beispiel von Hörmann). Gerechtigkeit verstanden als gerechten Tausch (=Äquivalententausch) gibt es ebenfalls schon. Einzig das Grundeinkommen wäre neu, es würde tatsächlich vielen Menschen Erleichterung verschaffen.
3. Bezahlt würden nicht mehr »tote Gegenstände«, sondern nur noch menschliche Leistungen und Fähigkeiten. Für Rohstoffe gäbe es eine eigene Zirkulation. Unbeliebte Tätigkeiten würden mit extra Prämien belohnt, während beliebte Tätigkeiten nicht so viel einbrächten. Da Geld nur eine Zahl wäre, könnte man auf diese Weise menschliches Verhalten steuern.
Sollen »tote Gegenstände« per Gesetz als »wertlos« erklärt werden? Hier zeigt sich wieder der Irrtum, dass Geld eine quasi funktionslose, willkürliche Angelegenheit sei, die beliebig umdefiniert werden könne. Dem ist nicht so. Existieren die basalen Prozesse der Warenproduktion- und distribution weiter, so wird das Geld darin auch weiter seine Funktion erfüllen. Die »Werthaltigkeit« von Produkten ist nicht etwas, das per Verabredung eingerichtet wurde und entsprechend wieder abzuschaffen wäre, sondern mit der Notwendigkeit zum Tausch (solange privat produziert wird, besteht sie) gibt es mit Notwendigkeit Geld, das den Tausch vermittelt. Das ist keine Verabredung, sondern setzt sich hinter unserem Rücken durch. Das wusste schon Adam Smith.
Lustigerweise erinnert mich die Willkürbewertung (Unbeliebtes hoch, Beliebtes niedrig) an Christian Siefkes’ altes (inzwischen verworfenes) Versteigerungsmodell der Peer-Ökonomie. Aber das nur am Rande, sonst haben die Überlegungen nicht viel mit einander zu tun.
So. Es gäbe es noch mehr, das lasse ich jetzt (Stichwort: Bankmitarbeiter als psychologische Coaches — welche Horrorvorstellung!).
Warum müssen diejenigen, die Geld im Prinzip als Fetisch erkannt haben — und das schaffen ja wrklich nicht viele –, dann letzten Ende doch am Geld festhalten? Es scheint ein zu großer Gedankensprung zu sein, sich Verhältnisse vorstellen, in denen wir nicht durch eine sachliche Macht — den Zwang »Geld zu machen« — getriezt werden, sondern unser Leben tatsächlich in die eigenen Hände nehmen.
Complementary Currencies Flop
… says Matthew Slater, evangelist of complementary currencies, but still sticking to old illusions:
It is frustrating for me, seeing clearly how almost all the world’s problems boil down to the design and the pervasiveness money, and seeing this point so often missed and overlooked by economists politicians and commentators, none of whom are offering solutions. The problem of money is still not being communicated. Despite proven successes, complementary currencies have a patchy history, and governments regard them with suspicion everywhere except South America. Through Community Forge I’m able to reach and help some of the grass roots organisations that do understand, but it seems so little when whole countries are sinking underwater. Many organisations are coming to us for help, but few people are coming to offer help. And when they do, we don’t even have time to manage them. The movement is growing, but not as fast as the economy is diving, and not as fast, I fear, as the money addicts are finding new ways to part us from it.
Nope, alternative money will not help us, when hard money crashes. Not missing pervasiveness of money is the problem, but pervasive money — at least in our thinking — ruling our activities. Demonetize it!
Das gute Leben produzieren
[aus: Streifzüge Nr. 51]
Wenn wir über das gute Leben nachdenken, stellen wir uns ein Leben in Fülle vor – wo niemand Not leiden muss, wo es genug für alle gibt und jede/r seine oder ihre Bedürfnisse befriedigen kann. Aber geht das überhaupt? Scheitert die Möglichkeit eines Lebens in Fülle nicht zwangsläufig an der Endlichkeit der Erde? Und wo soll die Fülle herkommen? Kommt nicht vor den Freuden des Konsums die Mühsal des Produzierens, vor dem angenehmen „Reich der Freiheit“ das weniger erfreuliche „Reich der Notwendigkeit“? Um diese zwei Herausforderungen für die Vision eines guten Lebens für alle soll es im Folgenden gehen.
Der ökologische Fußabdruck
Der ökologische Fußabdruck ist die Fläche auf der Erde, die nötig ist, um den Lebensstil einer Gruppe von Menschen dauerhaft zu ermöglichen. Er umfasst die Fläche, die benötigt wird, um die verwendeten Ressourcen anzupflanzen bzw. abzubauen und um den Müll, der während Herstellung, Nutzung und Entsorgung der genutzten Produkte anfällt, aufzunehmen und zu absorbieren. Die Maßeinheit für den ökologischen Fußabdruck ist der „globale Hektar“ – ein Hektar (hundertstel Quadratkilometer) Land von durchschnittlicher Fruchtbarkeit.
Hier ergibt sich ein Problem, denn der ökologische Fußabdruck der Menschheit beträgt derzeit achtzehn Milliarden globale Hektar, die insgesamt verfügbare Biokapazität der Erde umfasst aber nur etwa zwölf Milliarden globale Hektar. Das Missverhältnis ist offensichtlich: So wie wir heute leben, bräuchten wir eigentlich anderthalb Erden. Wir verbrauchen die Ressourcen der Erde schneller, als sie sie erneuern kann, und leben somit auf Kosten unserer Kinder, denen die übernutzten Ressourcen später fehlen werden.
Das „wir“ ist dabei allerdings sehr ungleich verteilt, denn in vielen Ländern ist der durchschnittliche Fußabdruck pro Person sehr gering. In Bangladesch und Afghanistan beträgt er 0,6 globale Hektar pro Person, in Indien und dem Jemen 0,9 Hektar, im Irak und auf den Philippinen 1,3 Hektar. All diese Länder liegen unter dem Durchschnittswert, der nachhaltig möglich wäre, wenn man die zwölf Milliarden Hektar Biokapazität auf die gut sechseinhalb Milliarden heute lebenden Menschen aufteilt: 1,8 Hektar pro Person.
Der tatsächliche weltweite Durchschnitt liegt mit 2,7 Hektar 50% darüber. Deutschland und Österreich verbrauchen knapp das Doppelte dieses Werts, nämlich 5,1 bzw. 5,3 Hektar pro Person. In den anderen europäischen Ländern sieht es ähnlich aus. An der Spitze des Verbrauchs liegen die USA und einige arabische Länder mit 8,0 oder mehr Hektar (vgl. Wikipedia 2010). Wir in den hochindustrialisierten Ländern leben also nicht nur auf Kosten unserer Kinder, sondern auch auf Kosten der Menschen anderswo in der Welt. Denn es ist völlig klar, dass wir nur deswegen so leben können, weil die Leute anderswo sehr viel weniger Ressourcen verbrauchen.
Zwei Konzepte von Fülle
Wenn man über materielle Fülle für alle nachdenkt, ist klar, dass diese Fülle – unabhängig von der Gesellschaftsform, in der sie produziert wird – im Rahmen der verfügbaren Biokapazität bleiben muss. Die Grenze von derzeit 1,8 Hektar pro Person muss eingehalten werden, sonst geht die Fülle für einige notwendigerweise auf Kosten anderer oder auf Kosten unserer Kinder. Man mag Fülle mit der Möglichkeit „grenzenloser Verschwendung“ assoziieren – wo man sich z.B. fünf Autos in die Garage stellen oder sich nach Belieben Dinge aneignen kann, um sie, wenn einer/einem der Sinn danach steht, nach kurzer Verwendung wieder wegzuschmeißen. Eins ist völlig klar: Fülle als grenzenlose Verschwendung ist in unserer begrenzten Welt nicht möglich – jedenfalls nicht für alle und nicht für lange Zeit.
Aber man kann sich unter „Fülle“ auch etwas anderes vorstellen, nämlich: „genau was ich brauche, wenn ich es brauche“. Mit Dingen, die man schnell wegwirft, kann man sich nicht mehr Bedürfnisse befriedigen als mit Dingen, die man länger behält, und mit fünf Autos kommt man nicht unbedingt schneller und bequemer zum Ziel als mit einem – oder mit komfortablen öffentlichen Verkehrsmitteln, sofern sie existieren. Dieses zweite Konzept von Fülle orientiert sich nicht an der Anhäufung von Dingen, sondern an der Befriedigung von Bedürfnissen.
Kann man auf dieser endlichen Erde so produzieren, dass für alle genug da ist, dass alle nutzen können, was sie brauchen, wenn sie es brauchen? Für eine Antwort muss man auf die Form der Gesellschaft gucken, in der produziert wird.
Für unsere heutige Gesellschaft, den Kapitalismus, ist die Frage zu verneinen. Zwar bringt sie offensichtlich Fülle für einige hervor, aber diese geht auf Kosten anderer – insbesondere der Menschen in der Dritten Welt, in den armen Ländern, die von der kapitalistisch produzierten Fülle großteils ausgeschlossen sind. Fülle für alle ist unter kapitalistischen Verhältnissen grundsätzlich nicht möglich. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen geht es im Kapitalismus immer um Kapitalverwertung, also darum, aus Geld mehr Geld zu machen. Das geht aber nur, wenn ich produziere, also Ressourcen einsetze. Wenn die Geldvermehrung funktioniert, das vorhandene Kapital gewachsen ist, muss es neu angelegt werden und noch weiter wachsen. Dieser permanente Wachstumszwang muss dazu führen, dass die Ausnutzung der Biokapazität zwangsläufig über die dauerhaft möglichen Grenzen hinaus getrieben wird. Dass wir heute mehr Biokapazität vernutzen, als nachhaltig verfügbar ist, ist also systembedingt. Unter kapitalistischen Bedingungen ist nichts anderes möglich, denn ohne Wachstum kommt es zur Krise: die Verwertung mancher Kapitalien scheitert, Firmen gehen Pleite, Menschen werden arbeitslos und damit von der kapitalistisch produzierten Fülle weitgehend ausgeschlossen. Es gibt somit nur zwei schlechte Alternativen: Krise ist schlecht für die Menschen, aber dauerhaftes Wachstum geht notwendigerweise auf Kosten der Natur.
Zweitens ist Fülle für alle auch deswegen ausgeschlossen, weil kapitalistisch produzierte Güter verkauft werden müssen – andernfalls kann man damit kein Geld verdienen. Verkaufen kann man Dinge aber nur, wenn sie knapp sind, es nicht genug davon gibt. Andernfalls tendiert der Preis gegen null. Dann gehen Hersteller Pleite, die Verwertung scheitert, und der entsprechende Bereich wird für die kapitalistische Wertverwertung uninteressant, sofern nicht durch „Marktbereinigung“ wieder Knappheit hergestellt werden kann. Vor diesem Problem steht heute die Musikindustrie, da man Musik Dank des Internets so leicht mit anderen teilen kann, dass sie im Überfluss vorhanden ist.
Zum dritten besteht ein Konflikt zwischen Fülle für alle und einem weiteren Grundprinzip des Kapitalismus: der Konkurrenz. Konkurrenz bedeutet, dass die Gewinne der einen die Verluste der anderen sind. Ganz gleich ob Firmen um Marktanteile konkurrieren oder Menschen um Arbeitsplätze: Durchsetzen können sich nur einige, für die anderen bleibt die Pleite oder die Arbeitslosigkeit. Fülle gibt es vielleicht für die, die gewinnen, aber den Verlierer/innen im Konkurrenzkampf bleiben nur bescheidene staatliche Almosen.
Gemeinsam produzieren statt gegeneinander arbeiten
Es braucht also eine andere Produktionsweise, und das bringt uns zu der zweiten zu Beginn aufgeworfenen Frage, ob den Freuden des Konsums nicht notwendigerweise die Plage des Produzierens „im Schweiße deines Angesichts“ vorangehen muss. Im Kapitalismus wird die Arbeit als Mittel zum Zweck betrachtet – Firmen beschäftigen Arbeiter/innen, um verkaufbare Waren zu produzieren, und die Menschen arbeiten, um Geld zu verdienen, das sie zum Leben brauchen. Wenn Politiker/innen sagen, dass die „Anreize zum Arbeiten erhöht werden müssen“, meinen sie damit Sanktionen gegen Menschen, die (vermeintlich oder tatsächlich) nicht arbeiten wollen. Arbeiten scheint etwas zu sein, was man nur gezwungenermaßen macht, sodass das „gute Leben“ immer dann pausiert, wenn man den Arbeitsplatz betritt.
Aber muss das so sein? Schaut man sich um, beispielsweise im Internet, stellt man fest, dass schon heute vieles auf eine Weise produziert wird, die der gängigen Vorstellung von Arbeit als etwas, das man nur gegen [Schmerzens-]Geld erledigt, widerspricht. Zahllose Menschen schreiben freiwillig und ohne Bezahlung an der freien Enzyklopädie Wikipedia mit; sie stellen Freie Texte und Freie Musik ins Internet, die jede/r nicht nur lesen bzw. anhören, sondern auch weitergeben und verändern darf; sie entwickeln Freie Software wie das Betriebssystem GNU/Linux, den Webserver Apache und den Webbrowser Firefox; sie bauen Freie Funknetze auf, die allen in der Umgebung kostenlosen Internetzugang ermöglichen; sie entwerfen Möbel, Kleidungsstücke, Maschinen und viele andere Dinge und stellen die Baupläne zur freien Verwendung und Weiterentwicklung ins Internet.
Diese commonsbasierte Peer-Produktion ist dabei längst keine Randerscheinung mehr, sondern ein unabdingbarer Bestandteil der modernen Welt (vgl. die Streifzüge-Kolumne „Immaterial World“ von Stefan Meretz sowie Siefkes 2010). Das Internet würde ohne Freie Software nicht funktionieren, und die Wikipedia hat sich für viele Menschen zur Informationsquelle Nr. 1 entwickelt.
Peer-Produktion basiert auf dem Bedürfnisprinzip: Im Gegensatz zur herkömmlichen kapitalistischen Produktion geht es nicht um den abstrakten Zweck der Geldvermehrung, sondern die konkreten Bedürfnisse, Wünsche und Ziele der Beteiligten bestimmen, was passiert. Dadurch ändert sich auch der Charakter des Tuns: Viele der Beteiligten arbeiten an solchen Projekten nicht mit, weil sie damit Geld verdienen (obwohl es das auch gibt), sondern weil ihnen gefällt, was sie da tun, aus Interesse an den Dingen, die da entstehen, weil man etwas dabei lernt oder weil man den anderen etwas zurückgeben möchte. Die Wikipedia z.B. funktioniert nur deshalb, weil hier die anstrengende und monotone Arbeit des Enzyklopädie-Schreibens durch etwas ersetzt ist, was viele Menschen gerne und freiwillig machen.
„Commonsbasiert“ ist die Peer-Produktion, weil sie auf Gemeingütern (engl. Commons) aufbaut und ihrerseits neue Gemeingüter herstellt oder die vorhandenen verbessert und betreut. Gemeingüter sind Güter, die von einer Gemeinschaft entwickelt und gepflegt und den Nutzer/innen zur Verfügung gestellt werden. Die Gemeinschaft, die sich um ein Gemeingut kümmert, legt fest, wer es nutzen kann – mindestens die Mitglieder der Community, oft aber auch viele andere, im Falle von Freier Software und anderen Formen Freien Wissens sogar die ganze Welt. Das wird durch Freie Lizenzen (wie die GNU GPL und die Creative-Commons-Lizenzen) formell festgeschrieben.
Da die Mitarbeit bei Peer-Projekten freiwillig ist, muss niemand vorbestimmte Aufgaben übernehmen. Die Aufgabenverteilung erfolgt gemäß dem Stigmergie-Prinzip (vgl. Heylighen 2007). Die Beteiligten hinterlassen Hinweise auf begonnene oder gewünschte Arbeiten, die andere dazu anregen, sich darum zu kümmern. Zu solchen Hinweisen gehören etwa To-Do-Listen und Bug-Reports in Softwareprojekten und „rote Links“ (auf noch nicht existierende Artikel) in der Wikipedia. Viele der Neueinsteiger/innen orientieren sich an den Hinweisen, ebenso jene, die eine bestimmte Arbeit abgeschlossen haben und neue Aufgaben suchen. Je mehr Beteiligten eine Sache am Herzen liegt, desto sichtbarer werden die Hinweise und desto größer die Chance ihrer Bearbeitung.
Mit Peer-Produktion zum guten Leben?
Peer-Produktion kommt der Idee des guten Lebens zweifellos näher als die kapitalistische Produktion – man beteiligt sich freiwillig an Projekten, die einer/einem wichtig sind, und arbeitet dabei mit anderen gleichberechtigt (als „Peers“) zusammen, statt sich einem Chef oder einer Obrigkeit unterordnen zu müssen. Aber kann die Peer-Produktion, was der Kapitalismus nicht kann: Fülle in dem oben genannten zweiten Sinne produzieren, also „was man braucht, wenn man es braucht“? Und zwar nicht nur in einigen Bereichen (z.B. Software) und nicht nur für manche Menschen, sondern in allen Bereichen und für alle?
Um dies möglich zu machen, muss die Peer-Produktion den Sprung von der immateriellen in die materielle Welt schaffen, sodass nicht nur Informationsgüter, sondern auch materielle Güter und Dienstleistungen peer-produziert werden. Aber geht das überhaupt – funktioniert Peer-Produktion nicht nur deshalb, weil Informationen so einfach kopiert und bearbeitet werden können?
Auch wenn nicht wenige Autor/innen glauben, dass die leichte Kopierbarkeit den Informationen inhärent ist, handelt es sich tatsächlich eher um eine Frage der richtigen Infrastruktur. Noch vor 30 Jahren war etwa die verlustfreie Vervielfältigung von Musik Konzernen mit teuren Spezialmaschinen vorbehalten, wie Glyn Moody (2010) betont. Erst die Verbreitung von Internet-Breitbandanschlüssen und hinreichend großen Datenträgern hat sie alltäglich gemacht.
Ähnliche Entwicklungen sind für die Herstellung materieller Dinge nicht nur denkbar, sondern in bestimmten Bereichen schon im Gange. Die Vervielfältigung materieller Dinge ist unter drei Voraussetzungen möglich: Man muss über die gesamten Baupläne sowie über die benötigten Produktionsmittel und Ressourcen verfügen. Im folgenden Abschnitt soll kurz skizziert werden, wie eine verallgemeinerte Peer-Produktion diese Voraussetzungen erfüllen kann.
Bausteine einer verallgemeinerten Peer-Produktion
Die Betrachtung der heutigen Formen der Peer-Produktion zeigt, dass die verwendeten Ressourcen und Produktionsmittel im Allgemeinen Gemeingüter oder verteilter Besitz sind. Bei digitaler Peer-Produktion sind Wissen und Informationen die wichtigsten Ressourcen. Sie gelten dabei als Gemeingüter, die von allen genutzt und weiterentwickelt werden können. Exemplarisch für eine bei Peer-Produzierenden weitverbreitete Ansicht formuliert die Wikimedia Foundation, die hinter der Wikipedia steht, sogar den Anspruch, dass alles öffentlich relevante Wissen Gemeingut sein sollte:
Stellen Sie sich eine Welt vor, in der jeder Mensch freien Zugang zur Gesamtheit allen Wissens hat. Das ist unser Ziel. (Wikimedia Foundation 2010, eigene Übersetzung)
Eine Form Freien Wissens ist Freies Design, auch Open Hardware genannt. Open-Hardware-Projekte entwerfen materielle Dinge und teilen ihre Baupläne und Konstruktionsbeschreibungen mit der ganzen Welt. Dieser Bereich der Peer-Produktion ist noch relativ jung, aber in den letzten Jahren sind zahlreiche neue Projekte entstanden. Das US-amerikanische Magazin Make hat Ende 2009 einen großen Report zum Thema veröffentlicht (Make 2009), der weit über hundert Projekte enthielt – seitdem dürften es noch deutlich mehr geworden sein. Dieses Freie Produktionswissen darüber, wie Dinge hergestellt werden (aber auch, wie man sie benutzt, wartet, repariert und schließlich fachgerecht recycelt), ist der erste Baustein der materiellen Peer-Produktion.
Die wesentlichen Ressourcen – bei digitaler Peer-Produktion das Wissen – werden in der Logik der Peer-Produktion also als Gemeingüter behandelt. Für die materielle Peer-Produktion, die nicht nur Wissen, sondern auch natürliche Ressourcen benötigt, bedeutet dies, dass gemäß der Logik der Peer-Produktion die Naturressourcen ebenfalls als Gemeingüter zu betrachten sind. Die entsprechende Schlussfolgerung hat schon Karl Marx gezogen:
Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias [gute Familienväter] den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen. (Marx 1894)
Dass natürliche Ressourcen gemäß dieser Logik zum Gemeingut werden, bedeutet, dass niemand Exklusivrechte auf sie erheben, sie verwerten oder verkaufen kann. Sie müssen in ihrer Substanz erhalten bleiben, dürfen also genutzt, aber nicht aufgebraucht werden. Jede/r hat in diesem Rahmen das Recht auf anteilige Nutzung, wobei der ökologische Fußabdruck oder verwandte Messgrößen Richtwerte vorgeben können. Bei der heutigen Bevölkerungsgröße könnten die von einer Person genutzten Güter also natürliche Ressourcen im Umfang von maximal 1,8 globalen Hektar erfordern. Nur so kann mit der ersten Herausforderung, der Begrenztheit der irdischen Ressourcen, auf eine Weise umgegangen werden, bei der niemand zu kurz kommt.
Die Bewahrung und Nutzung der natürlichen Ressourcen als Gemeingüter ist der zweite Baustein der materiellen Peer-Produktion. Die Durchsetzung dieser Logik ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für die Verallgemeinerung der Peer-Produktion, da sie mit der heutigen Auffassung praktisch aller Dinge, einschließlich großer Teile der Natur, als Privateigentum radikal bricht.
Jede Produktion ist auf Produktionsmittel angewiesen – zum Beispiel auf die Maschinen, mit denen etwas produziert wird. Im Bereich der digitalen Peer-Produktion gehören die Produktionsmittel meist vielen verschiedenen Leuten. Zum Schreiben von Freier Software verwende ich meinem eigenen Computer, der offiziell mein Eigentum ist. Ich dürfte ihn verkaufen oder auch vermieten, aber das tue ich nicht, sondern ich benutze ihn. Dies wird als Besitz bezeichnet: Besitz ist, was man benutzt. Die Wohnung, die ich gemietet habe, ist mein Besitz, aber das Eigentum meines Vermieters.
Bei digitaler Peer-Produktion fallen Besitz und Eigentum bei den materiellen Produktionsmitteln meist zusammen, aber worauf es ankommt, ist der Besitz. Die Produktionsmittel werden benutzt, nicht verwertet. Dabei ist dieser Besitz über viele Menschen verteilt. Es gibt keine Einzelperson oder kleine Gruppe von Personen, die alle Rechner kontrolliert, die die am Linux-Projekt Beteiligten benutzen. Durch die Verteilung des Besitzes werden einseitige Abhängigkeitsverhältnisse verhindert. Niemand kann die anderen blockieren, indem er die Nutzung der Produktionsmittel verweigert oder unter Bedingungen stellt.
Die Entwicklung im Bereich materieller Peer-Produktion geht in eine ähnliche Richtung: Dezentrale produktive Infrastrukturen entstehen, die sich die Beteiligten zum Zweck ihrer Bedürfnisbefriedigung organisieren. Es geht darum, zu produzieren, was man haben möchte, oder zu tun, was man gerne tut, nicht ums Geldverdienen. Dabei sind die produktiven Infrastrukturen so verteilt, dass niemand den Zugang zu diesen Produktionsmitteln kontrollieren kann.
Ein Beispiel sind Mesh-Netzwerke. Das klassische Modell eines Netzzugangs ist hierarchisch: Ein Provider bietet Tausenden oder Hunderttausenden von Menschen Zugang zum Internet. Der Provider kann jeder/m Einzelnen gezielt den Zugang nehmen; er kann Zugänge zensieren und überwachen, was die Nutzer/innen machen; und wenn ihm selbst der Zugang abgeschnitten wird, sind alle seine Kund/innen offline. Dagegen sind Mesh-Netzwerke dezentrale Netzwerke, in denen alle beteiligten Computer gleich sind: Jeder kann mit allen anderen direkt per Funk kommunizieren, sofern sie in seiner Reichweite sind; wenn nicht, suchen sich die betroffenen Rechner einen möglichst schnellen Weg über andere Computer in ihrer Nähe. Es gibt keine zentralen Server, die abgeschaltet werden könnten, und wenn einzelne Rechner ausfallen, sucht sich das Netzwerk andere Wege um die fehlenden Rechner herum. Es gibt also keine zentrale Instanz, die das Netzwerk oder Teile davon kontrollieren könnte.
Die Einwohner/innen der südafrikanischen Stadt Scarborough organisieren sich mittels eines solchen Mesh-Netzwerks Internet und Telefonie. Die nötige Hardware ist über viele Leute verteilt – wer beitragen möchte, kauft sich einen WLAN-Router, eine Antenne oder andere nötige Hardware. Es gibt niemand, dem das ganze Netz oder ein größerer Teil davon gehört; niemand, der es abschalten oder zensieren könnte. Die benötigte Software und ein Teil der nötigen Hardware wird als Freie Software und Open Hardware entwickelt, kann also selber angepasst und ggf. hergestellt werden (vgl. Rowe 2010).
Was heute in einigen Städten schon für Internet und Telefon funktioniert, ist auch für die dezentrale Versorgung mit (Solar- und Wind-)Energie oder Wasser denkbar. Selbstorganisierte Projekte zur Wasserversorgung existieren beispielsweise in Südamerika (vgl. De Angelis 2010).
Ein weiteres Beispiel sind die im Bereich der digitalen Peer-Produktion weitverbreiteten Hackerspaces (siehe hackerspaces.org) – selbstorganisierte Räume (wie sie auch in der linken Szene existieren), wo sich Menschen treffen, um beispielsweise Freie Software zu schreiben oder zur Wikipedia und anderen Freien Projekten beizutragen. Hackerspaces sind immer auch Lernräume, wo man Workshops veranstalten oder sein Wissen informell teilen und an andere weitergeben kann; zudem dienen sie der Entspannung und Erholung. Finanziert werden sie üblicherweise durch freiwillige Beiträge der Benutzer/innen – laufende Kosten wie die Miete werden über einen Verein gedeckt, an den jede/r ein paar Euro pro Monat überweist. Die Nutzung des Raums ist dabei aber üblicherweise nicht an eine Vereinsmitgliedschaft gebunden, sondern steht allen frei.
Im Bereich der materiellen Produktion wurden in Dutzenden von Städten sogenannte Fab Labs (fab.cba.mit.edu) eingerichtet – im deutschsprachigen Raum gibt es schon sechs davon, nämlich in Aachen, Berlin, Köln, München, Wien und Luzern. Von der Idee her sind Fab Labs ähnlich wie Hackerspaces selbstorganisierte Räume, wobei sie heute noch teuer sind und meist von Universitäten oder anderen größeren Organisationen gesponsert werden müssen. In solchen Labs gibt es eine ganze Reihe von Produktionsmaschinen, die von den Menschen in der Umgebung benutzt werden können. Fab Labs verfügen u.a. über CNC-Maschinen, die computergesteuert Materialblöcke zurechtschneiden oder -fräsen können, sowie über Fabber (auch 3D-Drucker genannt), die Gegenstände umgekehrt aus vielen Schichten aufbauen, wobei die einzelnen Schichten quasi „ausgedruckt“ werden und daraus Schicht für Schicht ein dreidimensionaler Gegenstand entsteht.
Fast alle heutigen Produktionstechniken werden tendenziell kleiner und eher verfügbar für begrenzte Gruppen (beispielsweise für Leute, die Hackerspaces betreiben), ohne dass diese dafür viel Geld ausgeben müssten. Heute sind die Fab Labs noch teuer, weil sie auf proprietäre Maschinen setzen, die auf dem Markt eingekauft werden müssen und entsprechend viel kosten. Dies ändert sich aber allmählich, da in den letzten Jahren diverse Peer-Projekte entstanden sind, die CNC-Maschinen, 3D-Drucker und andere Produktionsmittel entwerfen und ihre Ergebnisse als Open Hardware veröffentlichen. Solche Freien Produktionsmittel – kleine CNC-Maschinen wie Contraptor (www.contraptor.org) und Valkyrie (letsmakerobots.com/node/9006), kleine Fabber wie RepRap (reprap.org) und Fab@Home (fabathome.org) – sind noch nicht konkurrenzfähig mit der kapitalistischen Massenproduktion, aber in bestimmten Bereichen auch nicht mehr so weit davon entfernt.
Sobald die Maschinen selber das Ergebnis von Peer-Produktion sind und im Rahmen solcher produktiver Zentren selbst wiederum hergestellt, also vervielfältigt werden können, wird es spannend. Denn so wird eine partielle Abkoppelung vom Markt möglich, wo man die Dinge nicht mehr kaufen muss, sondern sie in Peer-Produktion gemeinsam herstellen kann. Die selbstorganisierte Bereitstellung und Verwendung von Produktionsmitteln ist der dritte Baustein der materiellen Peer-Produktion.
All das würde nie zustande kommen ohne die Menschen, die in freiwilliger Selbstauswahl nützliche Dinge entwerfen und ihr Wissen teilen, natürliche Ressourcen zugänglich machen und erhalten sowie selbstorganisierte Produktionsinfrastrukturen einrichten und betreiben. Die freiwilligen Beiträge der Beteiligten, die – jede/r auf die Art und Weise, die ihren oder seinen Bedürfnissen und Interessen entspricht – dazu beitragen, dass Peer-Projekte (sei es für Software oder materielle Produktion) erfolgreich sind, sind der vierte und zweifellos wichtigste Baustein.
Fairness-Fragen
Kann eine Gesellschaft auf der Basis von Peer-Produktion und Selbstorganisation tatsächlich aus eigener Kraft funktionieren? Oder ist sie in bestimmten Bereichen der gesellschaftlichen Organisation auf herkömmliche Elemente der Vergesellschaftung – wie Staat, Polizei, Markt – angewiesen? Der Ruf nach einer zentralen Regulierungsinstanz kommt besonders schnell bei Fragestellungen auf, die sich unter dem Begriff der Fairness (oder Gerechtigkeit) fassen lassen.
Dies betrifft zum einen den Zugang zu Ressourcen. Gemäß der Logik der Peer-Produktion können Ressourcen genutzt werden, sofern sie in ihrer Substanz für die Nachwelt erhalten bleiben und sofern für die anderen jeweils ähnlich viel da ist wie für eine/n selbst. Doch was geschieht, wenn sich einige über diese Begrenzungen hinwegsetzen und langfristig so viel verbrauchen, dass sie die durchschnittlich pro Person verfügbare Biokapazität deutlich überschreiten und so auf Kosten anderer leben?
Die Verhinderung und Sanktionierung solchen Fehlverhaltens scheint zunächst eine zentrale, staatliche Instanz zu erfordern, doch die Praktiken heutiger Peer-Projekte zeigen, dass es auch anders geht. Die Beteiligten reagieren auf Fehlverhalten mit „flaming and shunning“, was man auf Deutsch mit „Schimpfen und Schneiden“ wiedergeben könnte (vgl. Lehmann 2004). Man beschimpft die Übeltäter/in zunächst, es kommt zu „Flames“, lautstark und öffentlich (z.B. auf Mailinglisten) geäußerter Kritik. Werden diese Warnungen ignoriert, kann der/die Betroffene „geschnitten“ werden, d.h. man verweigert die weitere Zusammenarbeit mit ihr oder ihm. Das kann bis zum Boykott, bis zum zeitweiligen oder dauerhaften Ausschluss aus dem Projekt führen.
Nun sind aber in jeder Gesellschaft die Menschen auf andere angewiesen – ohne die Zusammenarbeit mit anderen ist das Überleben schwierig und ein gutes Leben definitiv unmöglich. Wenn der allgemeine Konsens dahin geht, bestimmte Verhaltensweisen nicht zu akzeptieren und mit Kooperationsverweigerung zu sanktionieren, werden sich solche Verhaltensweisen daher kaum aufrecht halten lassen.
Ein anderer möglicherweise problematischer Bereich betrifft die Verteilung von Aufgaben. Normalerweise funktioniert Peer-Produktion auf der Basis von Selbstauswahl und Stigmergie. Jede/r sucht sich Aufgaben aus, die ihr oder ihm gefallen oder wichtig sind, und orientiert sich dabei an den Hinweisen, die andere hinterlassen. Doch wie geht man damit um, wenn das bei bestimmten Aufgaben nicht funktioniert, wenn sich dafür keine Freiwilligen finden?
Eine erste Frage ist, ob solche Aufgaben tatsächlich notwendig sind. Wenn sie niemandem so wichtig sind, dass sie oder er zu ihrer Erledigung bereit wäre, dann kann man darauf vielleicht einfach verzichten? Wenn das nicht der Fall ist, bleibt als weitere Möglichkeit zum Umgang mit solchen unbeliebten Aufgaben die Automatisierung. Automatisierung hat seit Beginn der „industriellen Revolution“ ja schon enorme Wirkungen entfaltet; immer größere Teile der Produktion werden ganz oder teilweise automatisiert. Besonders gut geeignet für die Automatisierung sind dabei Aufgaben, die eintönig und repetitiv und deshalb wenig beliebt sind. Kreative Aufgaben, die menschliche Intelligenz und Intuition erfordern, bleiben übrig, sind erfahrungsgemäß aber auch weniger problematisch, da sie spannend und reizvoll sind.
Allerdings stellt im Kapitalismus der Lohn eine Grenze der Automatisierung dar – je schlechter bezahlt ein Job ist, desto schwieriger wird es, ihn ohne Mehrkosten zu automatisieren. Viele undankbare Tätigkeiten wie z.B. das Putzen werden aber so schlecht bezahlt, dass unter kapitalistischen Umständen ihre Automatisierung wenig sinnvoll ist. Wenn es dagegen bei Peer-Produktion Aufgaben gibt, an deren Erledigung alle oder viele interessiert sind, die aber niemand selber erledigen will, dann ist der Anreiz, sie ganz oder teilweise zu automatisieren, sehr hoch. Und da die Automatisierung von Tätigkeiten selbst eine spannende und herausfordernde Beschäftigung ist, sind die Chancen, dafür Freiwillige zu finden, sehr viel besser.
In vielen Fällen lassen sich Tätigkeiten auch so umorganisieren und umgestalten, dass sie interessanter und angenehmer werden. Im Kapitalismus finden die undankbaren Arbeiten meist unter sehr schlechten Bedingungen statt (z.B. Büros putzen um 4 Uhr morgens), aber diese Rahmenbedingungen sind der Aufgabe nicht inhärent. Bei Peer-Produktion entscheiden die Freiwilligen, unter welchen Umständen sie eine Aufgaben übernehmen und wie sie sie ausgestalten. Sie können also sagen: „Wir machen das tagsüber, und wenn das den anderen nicht passt, sollen sie’s selber machen.“
Falls aber weder Automatisierung noch Umorganisation greifen, können die Betroffenen Faustregeln zur fairen Aufteilung dieser Aufgaben entwickeln. Alle, die an der Erledigung Interesse haben, übernehmen hin und wieder im Wechsel eine der Aufgaben. Auf diese Weise hat niemand allzu viel damit zu tun.
Peer-Produktion ist kein Allheilmittel zur Lösung aller gesellschaftlichen Probleme, aber sie eröffnet vielfältige Möglichkeiten, sich mit anderen zusammenzutun und sich gemeinsam der Dinge anzunehmen, die einer/einem wichtig sind. Unter kapitalistischen Umständen ist kein gutes Leben für alle möglich. Die Voraussetzungen der verallgemeinerten Peer-Produktion sind sehr viel besser, weil sie auf dem Bedürfnisprinzip basiert: Menschen tun sich zusammen und produzieren etwas, weil es ihren produktiven oder konsumtiven Bedürfnissen entspricht. Anders als im Kapitalismus, wo sich im Konkurrenzkampf jede/r strukturell gegen die anderen durchsetzen muss, muss bei gemeinsamer Produktion Bedürfnisbefriedigung aber weder auf Kosten anderer noch auf Kosten der Natur gehen. Im Gegenteil: Peer-Produktion funktioniert deshalb so gut, weil sich die Menschen gegenseitig bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse unterstützen, was für alle Beteiligten von Vorteil ist.
Literatur
- De Angelis, Massimo (2010): Water Umaraqa. URL: www.commoner.org.uk/blog/?p=241 (5.1.2011).
- Heylighen, Francis (2007): Warum ist Open-Access-Entwicklung so erfolgreich? In: Bernd Lutterbeck, Matthias Bärwolff, Robert A. Gehring (Hg.), Open Source Jahrbuch 2007. Lehmanns Media, Berlin. URL: www.opensourcejahrbuch.de/portal/articles/pdfs/osjb2007-02-04-heylighen.pdf (20.1.2011).
- Lehmann, Frauke (2004): FLOSS Developers as a Social Formation. First Monday, 9(11). URL: firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/1186/1106 (25.1.2011).
- Make (2009): Open Source Hardware 2009. URL: blog.makezine.com/archive/2009/12/open_source_hardware_2009_-_the_def.html (5.1.2011).
- Marx, Karl (1894): Das Kapital. Dritter Band. MEW 25. Dietz, Berlin 1983.
- Moody, Glyn (2010): Ethics of Intellectual Monopolies. Keynote auf der FSCONS 2010.
- Rowe, David (2010): Baboons, Mesh Networks, and Community. URL: www.rowetel.com/blog/?p=124 (5.1.2011).
- Siefkes, Christian (2010): Peer Produktion: Wie im Internet eine neue Produktionsweise entsteht. Widerspruch – Münchner Zeitschrift für Philosophie, Heft 52. URL: www.keimform.de/2011/peer-produktion/ (19.1.2011).
- Wikimedia Foundation (2010): Homepage. URL: wikimediafoundation.org/wiki/Home (5.1.2011).
- Wikipedia (2010): List of countries by ecological footprint. URL: en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_ecological_footprint (11.1.2011).
Gutes Leben mit Ecommony
[aus: Streifzüge Nr. 51]
Von Friederike Habermann
Es sind Hunderte. Hunderte Taxis in der Schlange am Berliner Flughafen Tegel. Und Hunderte Menschen, die ihr Leben darin vergeuden, denn es wird ewig dauern, bis die letzten einen Fahrgast ergattert haben, um nach einigen Kilometern sich hier oder woanders wieder anzustellen. Ist das die Effizienz, ist das die Selbstverwirklichung im Kapitalismus?
Wer gerade nicht von Tegel fliegt, kann durch die Straßen bei sich um die Ecke bummeln und auf die sich stets wiederholenden Friseursalons, Apotheken, Drogerien oder Supermärkte achten – mit sich stets ausweitenden Öffnungszeiten selbstverständlich. Wenn im Kapitalismus Zeit als Geld gilt: Warum wird dann die Lebenszeit so vieler der hier Angestellten oder Kleinselbständigen aus dem Fenster geworfen?
Soweit meine Gedanken, wie sie mir in den Kopf kamen im Flugzeug. Nun aber befinde ich mich, zufällig sozusagen, gerade in Kuba und damit außerhalb der kapitalistischen Zone. Und es lässt sich nicht leugnen: Es ist hier sicherlich nicht besser bestellt, nicht mit Effizienz im Allgemeinen, aber auch nicht hinsichtlich der Verschwendung von Lebenszeit beim sogenannten Arbeiten, oder mit anderen Worten, beim Sich-die Beine-in-den-Bauch-Stehen in Museen, Cafés, öffentlichen Aufzügen oder den Abgabestellen von Brot, Reis, Kaffee etc. gegen Lebensmittelkarten.
Der kubanische Staat zieht derzeit Konsequenzen: Er entlässt eine halbe Million öffentlich Angestellter, um, wie es im Neoliberalismus heißen würde, sich zu verschlanken. Dafür werden seit kurzem private Geschäfte erlaubt, vor allem die Anstellung von Beschäftigten dafür ist ein Novum im hiesigen Sozialismus. Und es drängt sich die Frage auf, wie viel von diesem übrigbleiben wird. Und von dem entspannten, freundlichen Umgang der Menschen hier, die ohne Konkurrenz miteinander leben.
Allerdings nicht besonders selbstbestimmt. Wie sähe das Nationalmuseum aus, wenn die Frau im Lift und all jene Männer und Frauen, welche die Kunstwerke bewachen, Teil einer Kooperative (und damit eines basisdemokratischen Prozesses) wären, in der sie sich gegenseitig das Mitnehmen von Büchern erlauben oder ihre Arbeit für überflüssig erklären oder durch Technik ersetzen würden?
Doch ist auch die Bildung von Kooperativen langfristig keine Lösung: Immer noch Teil eines konkurrenten, kapitalistischen Weltsystems, können sich die Menschen dessen Strukturen nicht entziehen. Franz Oppenheimer formulierte schon 1896 als Ergebnis einer Studie: „Nur äußerst selten gelangt eine Produktionsgenossenschaft zur Blüte. Wo sie aber zur Blüte gelangt, hört sie auf, eine Produktionsgenossenschaft zu sein.“ (1896: 45)
Was aber kann es geben statt einem mehr oder weniger neoliberalen bzw. sozial abgefederten, gar von Kooperativen durchsetzten Kapitalismus auf der einen Seite und dem sogenannten Realsozialismus auf der anderen? Dass es keine Alternative gäbe, die ein gutes Leben garantiere, hat nicht nur die neoliberale Ikone Margaret Thatcher behauptet, sondern dieser Glaube sitzt tief verankert im allgemeinen Alltagsverstand.
Alternativen leben
Mögliche Koordinaten eines anderen Wirtschaftens können nicht ausgereift sein, denn eine andere Welt kann nicht am Schreibtisch erfunden werden. Der Weg muss erst erschaffen werden, indem wir „fragend voranschreiten“, wie es die indigene Bewegung der Zapatistas in Mexiko betont: Wir sind durch Jahrhunderte des Kapitalismus (Sexismus, Rassismus und anderen unschönen „ismussen“) geformt und brauchen neue Erfahrungen für neue Erkenntnisse. Darum liegt die Utopie immer am Horizont, wie Eduardo Galeano es ausdrückt: Gehen wir vorwärts, so geht auch sie vor uns her und zeigt uns, was wir vorher uns gar nicht vorstellen konnten. Neue Denk- und Handlungshorizonte entstehen nur im Zusammenspiel von verändertem materiell-ökonomischem Alltag und sich verändernden Identitäten, denn eine Veränderung von Strukturen und von Menschen bedingen und ermöglichen sich erst gegenseitig. Die Welt formt uns, und wir formen die Welt.
Statt einem Dogma werden gelebte Erfahrungen wichtig. Auch jene, die heute von vielen als problematisch angesehen werden – denn nur so werden Sackgassen erkennbar. So z.B. die Landkommunen der 1970er Jahre, deren Versuch, in Abgrenzung zur Gesellschaft das „Richtige im Falschen“ zu leben, sich gerade aus feministischer Sicht (auch in meiner eigenen Erfahrung) manchmal als Problem erwies, wenn sie sich auch von den gleichzeitigen Errungenschaften der Frauenbewegung isolierten. Oder in den 1980er Jahren die Gründung von kollektiven Betrieben, welche damit vielfach das „Oppenheimer Gesetz“ wiederholten.
In den 1990er Jahren boomten die Tauschringe. Sie beruhen darauf, dass Arbeit getauscht wird, und dies in eigens erfundenen Währungen – seien es Kreuzer, Taler oder Äppel. Auf diese Weise kann es keine Akkumulation von Kapital und keine Zinsen geben, doch persönliche Eigenschaften sind immer noch nur das wert, was aus ihnen an Wert herausgeschlagen werden kann. Wer gerne Holz hackt, aber hierin unterdurchschnittlich produktiv ist, wird dafür nicht „eingestellt“. Eine weitere Erfahrung ist, dass Tauschringe zur Monetarisierung nachbarschaftlicher Austauschbeziehungen führen können: der Setzling, der sonst ohne Überlegen weitergereicht, die CD, die ausgeliehen wurde, oder zu gestatten, den Computer zu nutzen – all dies kann plötzlich in der lokalen Tauschwährung Geld kosten. Der Nachbarin wird nicht geholfen (denn Verkaufsangebote sind keine Hilfe): obwohl der Setzling sonst auf den Kompost käme oder CD und Computer nicht verschwinden, wenn sie zwischendurch genutzt werden. Ressourcen bleiben also brach liegen.
Ecommony
Dies ist einer der zentralen Ansatzpunkte neuer Projekte: Ressourcen so offen wie möglich allen zur Verfügung zu stellen – eine Art „open source“-Einstellung, ein „Alles für Alle“.
Solidarisches Wirtschaften bedeutet nicht, komplett „auszusteigen“. Menschen, die ihr eigenes alltägliches Leben als potentiell revolutionär begreifen, loten den eigenen Alltag nach Möglichkeiten von „dissidenten Praktiken“ (Carola Möller) aus. In diesem Sinne ergaben sich in meinem Buch „Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften“ (2009) über Ansätze alternativen Wirtschaftens im deutschsprachigen Gebiet sämtliche Bereiche der Ökonomie: Nahrungsmittel, Gebrauchsgegenstände, Dienstleistungen, Wohnen, Bildung, Gesundheit, Mobilität etc. Über das Buch hinaus lassen sich bei den jüngeren Ansätzen ganz ähnliche Charakteristika feststellen, z.B. bei der „commons-based peer production“, wie sie von Yochai Benkler für die Entstehung freier Software definiert wurde. Da diese Ansätze aber alle Lebensbereiche zu umfassen imstande sind, möchte ich von „Ecommony“ sprechen. Deren Prinzipien stellen kein geschlossenes Modell oder einen Plan dar, dem es nachzufolgen gilt, doch stellen sie derzeit offensichtlich Koordinaten für eine politische Praxis dar. Sie lauten:
* Besitz statt Eigentum
Wichtigstes Prinzip bei den Commons ist, Besitz und Eigentum zu unterscheiden. Etwas wird besessen, solange es aktiv benutzt wird. Eigentum aber kann verkauft werden. Die Unterscheidung findet sich auch im Bürgerlichen Gesetzbuch: Der Vermieterin gehört (eigentlich „eignet“) die Wohnung, der Mieter besitzt sie. „Kann einem Mensch seine eigene Mutter gehören?“ fragten in einer Erklärung zu einem Abkommen der WTO indigene Gemeinschaften mit Bezug zur „Pachamama“, der „Mutter Erde“, rhetorisch. Ein Offener Platz, wie in den „Halbinseln“ der Kiefernhain, der ohne Zugangsbeschränkungen für jede und jeden offen ist, versucht umzusetzen, dass nicht das Eigentums-, sondern lediglich das Besitzverhältnis zählt.
Jenseits des Wohnens findet sich dies auch im gesellschaftlichen Alltag. Parks oder Marktplätze entsprechen dem Commonsgedanken – noch meistens, doch immer häufiger muss für den Eintritt in einen Park bezahlt werden. Mit Commons gesehen bricht es einer das Herz, wenn am Eingang ein altes Pärchen die Wächter bittet, einige Schritte hineingehen zu dürfen, um wenigstens Fotos zu machen.
Reine öffentliche, also nicht-rivale Güter, wie die hierfür vielzitierten Deiche und Leuchttürme, aber auch Radio- und Fernsehsender oder natürlich Software sind eigentlich Commons par excellence. Aber auch die sogenannten unreinen öffentlichen Güter, bei denen zwar niemand ausgeschlossen ist, jedoch eine „Rivalität im Konsum“ besteht sind hierfür geeignet: Straßen und Wege, Wasserver- und Entsorgung oder allgemein jede Art öffentlicher Verkehrsmittel und Infrastruktur. Während all diese Güter im gegenwärtigen System teilweise unentgeltlich, teilweise nur gegen Gebühren erhältlich sind, wären sie als Commons grundsätzlich für alle nutzbar.
„Besitz statt Eigentum“ kann sich aber auch auf Gegenstände beziehen, beispielsweise Bücher. Wer hat sich nicht schon einmal ein Buch von einer Freundin geliehen oder umgekehrt eines an einen Freund verborgt? (Und warum ist dies, im Gegensatz zur weitergegebenen Software, eigentlich nicht verboten?) In den meisten Projekten, sogar schon in einigen Wohngemeinschaften, finden sich kleine Bibliotheken. Doch nicht nur dort: Öffentliche Bücherschränke, mal aus Holz, mal in Form zweckentfremdeter Telefonzellen oder Verteilerkästen, aus denen genommen und in die auch Bücher gestellt werden können, existieren inzwischen in vielen deutschen und österreichischen Städten.
Das Gleiche gilt für Werkzeuge, wenn diese natürlich auch eher in einem überschaubareren Rahmen genutzt werden, da sie anders als ein Buch nicht irgendwann für die jeweilige Nutzerin „ausgebraucht“ sind. In sicher den allermeisten Projekten werden Werkzeuge gemeinschaftlich genutzt. Darüber hinaus finden sich auch Offene, also für alle nutzbare, Werkstätten, sei es zur Holz- oder Metallbearbeitung, zum Fahrrad-Bauen und -Reparieren oder zum Nähen.
Auch Nutzungsgemeinschaften tauschen in diesem Sinne unentgeltlich und ohne direkte Tauschlogik aus. „NutziGems“ basieren auf dem Prinzip, dass nicht alle alles besitzen müssen, nur um es ab und zu gebrauchen zu können. Dies können Gegenstände sein oder auch Fertigkeiten und Wissen – kurz: Ressourcen.
Aber auch die über vierzig Umsonstläden in Deutschland und Österreich können, obwohl auch manchmal Schenkläden genannt, gerade nicht als Orte des Schenkens verstanden werden, wo Dinge von Privateigentum in Privateigentum übergehen, sondern als Orte, wohin Dinge gebracht werden, die aus dem eigenen Besitz gefallen sind, da sie nicht mehr benutzt werden. Auf diesem Gedanken aufbauend bestehen auch Überlegungen innerhalb des Arbeitskreises Lokale Ökonomie, der hinter dem Hamburger Umsonstladen steht, Regale als „freie Hardware“ zu bauen, die als Dauerleihgaben vergeben werden.
Aber nicht erst für die fertigen Produkte, sondern auch für Produktionsmittel soll das Prinzip „Besitz statt Eigentum“ gelten. Alles andere macht in einem System ohne Geld auch gar keinen Sinn.
Kann sich der Commons-Gedanke aber auch auf das rivalste Gut überhaupt beziehen, das Essen? Ja, wenn das Prinzip weitergedacht wird: Wenn Essen allen zur Verfügung gestellt wird, bis alle satt sind, ohne dass jemand für sich private Vorräte anhäuft, kann immer noch vom Commonsprinzip gesprochen werden.
Das hat natürlich Grenzen, trotz der Tatsachen, dass zum einen heute mehr als das Doppelte der Weltbevölkerung ernährt werden könnte und dass zum anderen das Phänomen Hunger als konstante Erscheinung wesentlich mit der Existenz des Kapitalismus verbunden ist. Und damit sind wir beim nächsten Prinzip.
* Teile, was du kannst
Gerade machst Du Dich mit Deinem/r Partner_in zu einem romantischen Restaurantbesuch fertig, da klopft es an der Wohnungstür: „Ich ziehe hier ein“, verkündet der unangemeldete Besucher, „mir gefällt die Lage so gut. Ach, und den geilen Pullover, den du anhast, hätte morgen gerne ich. Wasch ihn später doch bitte kurz durch und leg ihn mir hin. Und wer ist das da?“
Keine Angst – dies ist keine Commons-Vision. Denn Pullover und Wohnung sind in Deinem Besitz, und bleiben Dir unbenommen, solange Du sie in Gebrauch hast – und daran ändert sich auch nichts, wenn die Wohnung verlassen wird oder der Pullover die meiste Zeit im Schrank liegt. Ob der/die Partner_in ebenfalls bei dir bleibt, kann aber natürlich nur diese/r selbst entscheiden.
Wenn ich aber bei einer Diskussion über Anders Wirtschaften höre, es sei ja sowieso nicht möglich, dass die meisten Wünsche der Menschen erfüllt würden, denn es gäbe nun mal nur sehr begrenzt Häuser direkt am See, dann frage ich mich schon, was gemeint ist: Wollen wirklich alle Menschen irgendwo am See wohnen, oder geht es vorwiegend um das Feriendomizil? Wahrscheinlich doch eher letzteres. (Mal abgesehen davon, dass einige sowieso lieber in die Berge, die nächsten ins Warme und wieder die nächsten das Nächste wollen.) In diesem Fall aber wird das Haus vermutlich maximal jeweils einige Wochen im Jahr benötigt – und es ließe sich wunderbar leicht nach dem Commons-Prinzip aufteilen. Aber wie jede andere persönliche Entscheidung wird auch diese kulturell geprägt und damit wird verschieden sein, was als akzeptabel gilt, und dies wird wiederum stark von den vorhandenen Ressourcen abhängen – gibt es genug Platz für alle, sodass alle ein Haus haben können oder nur eine Wohnung oder vielleicht nur ein Zimmer?
In der freien Softwareproduktion findet sich das Prinzip Share what you can als „Teile, was Du hast und nicht brauchst“ aufgeteilt in vier Formen:
- parallele Nutzung (zum Beispiel eines Internetzuganges);
- serielle Nutzung, also nacheinander (in diesem Sprachgebrauch wären die Regale des AK Lök „Perma-Floater“);
- gemeinschaftlich organisierte Sammlungen (z.B. Wikipedia oder Bücher);
- Orte der offenen Produktion (entweder im Netz, wie gemeinschaftliches Designen oder in offenen Produktionsstätten, egal ob mit Fabbern ausgerüstet oder mit Hobelbank).
„Teile, was Du kannst“, hat aber neben dieser noch zwei weitere Bedeutungen: „Teile, was Du weißt“ sowie „Teile, was Du tust oder tun möchtest“. Neben Dingen sind also auch Fähigkeiten und Tätigkeiten gemeint. Das Teilen von Fähigkeiten („skill-sharing“) beziehungsweise von Wissen hat ja die schöne Eigenschaft, sich dadurch zu vermehren. Und wer sich durch Bildung nicht im Konkurrenzkampf behaupten muss, kann genießen, mit anderen zusammen, welche dieselben Fähigkeiten besitzen, die eigenen noch besser nutzen zu können. Das Teilen von Tätigkeiten aber geht wiederum über in das nächste Prinzip.
* Beitragen statt Tauschen
Statt die eigenen Fähigkeiten in Quantitäten ummünzen zu müssen, wie dies in einem Tauschring immer noch der Fall ist, wird aus einem Bedürfnis heraus aktiv gehandelt. Natürlich fallen auch Sorgetätigkeiten hierunter, denn die Unterscheidung zwischen produktiven und reproduktiven Tätigkeiten (ebenso wie die Abgrenzung zu Dienstleistungen) wird obsolet. Und damit einer alten feministischen Forderung gerecht.
Im Kapitalismus werden solche Tätigkeiten als „Arbeit“ vollbracht. Überwindung der Entfremdung und damit von „Arbeit“ kann nur erreicht werden „durch die Organisation des sinnvollen Einsatzes von gemeinsamen Möglichkeiten, die durch keine ,unsichtbare Hand‘ automatisch gesteuert werden, sondern durch bewusstes gesellschaftliches Handeln“ (krisis 1999).
Bevor weiter auf die gesellschaftliche Organisation mit Hilfe dieses Prinzips eingegangen wird, schnell noch die letzten, in die wiederum nahtlos übergegangen wird.
* Freiwilligkeit / Freie Kooperation / Offenheit
Freiwilligkeit ist das, was das Beitragen vom Tauschen unterscheidet. Freie Kooperation beinhaltet „forks“ – die Trennung der Projekte mit möglichst geringen „Kosten“ für beide Seiten, statt des Zwanges, sich auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zusammenstreiten zu müssen. Und es bedeutet wiederum die Offenheit, bei der gilt: Alles für alle.
Ecommony und Peerökonomie
„Beitragen statt Tauschen“: So heißt auch das Buch von Christian Siefkes über seinen Ansatz der „Peerökonomie“, womit er die Prinzipien der freien Softwareproduktion auf die materielle Produktion einer Gesellschaft überträgt. Konkret stellt er Möglichkeiten dar, wie durch die Anmeldung von Bedarf Bedürfnisse erkannt und durch das Ableisten „gewichteter Arbeitsstunden“ erfüllt werden. Durch ein Aufgabenversteigerungssystem wird die Popularität einer Aufgabe gewichtet: Wenn sich mehr Freiwillige melden als nötig, wird das Arbeitsgewicht gesenkt, wenn es nicht genug Freiwillige gibt, wird es erhöht. Zwar entspricht dies letztlich wieder einer Tauschlogik, doch kann darin eine Möglichkeit für Skeptiker_innen gesehen werden, die oben genannten Prinzipien zu bejahen, ohne in Angst davor, dass es keine Verpflichtung zur Arbeit mehr gäbe, sie gleich ganz zu negieren. Peerökonomie wäre in diesem Sinne quasi der Sozialismus vor der kommunistischen Ecommony.
Für Skeptiker_innen sei hier also nicht verraten, dass auch Siefkes die damit verbundene Tauschlogik inzwischen für unnötig hält (vgl. Siefkes 2010). „Wie aber kann eine komplexe Gesellschaft entlang des Prinzips des bedingungslosen Gebens funktionieren?“, fragt Veronika Bennholdt-Thomsen und antwortet selbst: „Sicher ist, dass Gesellschaft jahrtausendelang nach diesem Prinzip funktioniert hat.“ (2010: 50) Bereits in der Struktur des Tausches stecke im Keim die Angst vor der Knappheit, die schließlich zum Ausgangspunkt der modernen Ökonomie geworden ist. Der Tausch werde stets von der Beunruhigung begleitet: „Bekomme ich auch genug zurück?“. Gesellschaften hingegen, deren materielle Kommunikation dem Prinzip des Gebens folge, gingen von der Fülle aus. Die Gaben stünden allen gleichermaßen zur Verfügung. Die Gesellschaftsmitglieder machten davon gemäß den vielfältigen unterschiedlichen Bedürfnissen Gebrauch. Es brauche kein abstraktes, gemeines Maß; die Gleichheit müsse nicht erst (wieder) hergestellt werden.
Ohne in einem Widerspruch zu stehen, ist Ecommony nicht mit Christian Siefkes Entwurf der Peerökonomie gleichzusetzen. Während sich seine Beschreibungen auf das Durchspielen bestimmter Aushandlungsprozesse in einer utopischen Gesellschaft konzentriert, geht es bei der Ecommony darum, sich ihre Prinzipien bewusst zu machen und sie im Hier und Jetzt mitzudenken. Die Welt durch diese Prinzipien der Ecommony zu sehen, eröffnet neue Verhaltensweisen, im Alltag ebenso wie in der politischen Gestaltung gesamtgesellschaftlicher Ressourcenverteilung und Produktionsweise. Und es entlarvt so manches uns Alltägliche als absurdes, unnötiges Leiden – sei es im Kapitalismus oder in den existierenden Formen von Sozialismus.
Literatur
Bennholt-Thomsen, Veronika (2010): Geld oder Leben: Was uns wirklich reich macht.
Habermann, Friederike (2009): Halbinseln gegen den Strom. Anders leben und wirtschaften im Alltag.
Gruppe krisis (1999): Manifest gegen die Arbeit, http://www.krisis.org/1999/manifest-gegen-die-arbeit (20.12.2010).
Oppenheimer, Franz (1896): Die Siedlungsgenossenschaft. Versuch einer positiven Überwindung des Kapitalismus durch Lösung des Genossenschaftsproblems und der Agrarfrage.
Siefkes, Christian (2008): Beitragen statt tauschen: Materielle Produktion nach dem Modell Freier Software sowie (2010): http://www.keimform.de/2010/selbstorganisierte-fuelle.
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Interview zur »Zeitgeist«-Bewegung
Nikola Winter, Pflanzengenetikerin, lebt in Wien und ist zur Zeit ein aktives Mitglied in der »Zeitgeist«-Bewegung. Das folgende Interview wurde per E-Mail geführt.
Was ist »Zeitgeist«?
Wikipedia weiß: »Zeitgeist ist das generelle kulturelle, intellektuelle, ethische, spirituelle und weltanschauliche Klima innerhalb einer Gesellschaft. Zeitgeist beschreibt die Atmosphäre, die Moral, die soziokulturelle Ausrichtung und die Stimmung einer Epoche.«
Der Zeitgeist ist etwas alle Facetten des menschlichen Handeln Prägendes und bleibt zugleich selbst schwer zu fassen und flüchtig. Der Begriff verweist auf die Dynamik und Wandelbarkeit des kollektiven Bewusstseins einer Gesellschaft.
Wie bist du zur »Zeitgeist«-Bewegung gekommen?
Begonnen hat es im Herbst 2009 im Flugzeug. Mein Sitznachbar hat mir eher nebenbei den Film »Zeitgeist« empfohlen. Wochen später erinnerte ich mich daran, und Youtube stellte mich vor die Auswahl mir »Zeitgeist: The Movie« oder »Zeitgeist: Addendum« anzusehen. »Addendum« machte mich neugierig: Ich wollte wissen, warum ein ganzer zweistündiger Film als Nachsatz – als Addendum – nötig sein sollte. Hätte ich zuerst »Zeitgeist: The Movie« gesehen, wäre ich jetzt vielleicht nicht bei der Bewegung, weil mich Verschwörungstheorien oder das Debunking von Religion nicht interessieren. Der Film »Zeitgeist: Addendum« erschütterte mich, erst der Teil über das Geld, und dann bewegte mich vor allem die Vision der Ressourcenbasierten Wirtschaft.
Dass das ganze Geldsystem mittlerweile zum Pyramidenspiel verkommen ist, war nur die Bestätigung eines lang gehegten Verdachts. Den hatte ich aber bisher unterdrückt, weil ich davon ausgegangen war, dass man Wirtschaft studieren müsste, um zu verstehen, wie diese Sache mit dem Geld doch ihre Ordnung und Richtigkeit haben kann.
Noch viel wichtiger: Ich war schon lange auf der Suche nach einer Möglichkeit, mein Leben so zu gestalten, dass ich nicht arbeite, um Geld zu verdienen, sondern arbeite, weil ich Sinn sehe in dem was ich tue. Ich wollte nie meine Lebenszeit verkaufen müssen – jede Lohnarbeitsstunde (auch wenn ich in dieser Zeit etwas tue, das ich eigentlich gern mache) hat eine ganz andere Qualität als Zeit, die ich einer Tätigkeit widme, die ich aus freiem Willen und ohne jedes Gegenrechnen und Mitzählen verrichte.
Dafür ist in unserem System kein Platz, wir definieren uns gesellschaftlich durch unseren Job (wer hat heute noch einen »Beruf«?). Ohne den sind wir wertlos und ungewollt, weil wir als Arbeitslose im Sozialstaat den Mit-Bürgern »auf der Tasche liegen«. Überall herrscht Angst, dass man zu kurz kommt, dass man übervorteilt wird, oder dass man seinen Platz in der Gesellschaft verliert, wenn man nicht weiterkämpft. Es herrscht Feindseligkeit und Missgunst jedem gegenüber, der mehr bekommt als man selbst. Wie kommt es, dass gerade wir in einer so reichen Gesellschaft so sehr von diesem Mangeldenken beherrscht werden?
Die scheinbare existentielle Bedrohung lauert überall und allzeit: Der Arbeitsplatzverlust droht ständig durch befristete Anstellungen, Rationalisierungsmaßnahmen wie Personalkürzung, Auslagerung von Produktion oder Automatisierung. Uns gehen die Arbeitsplätze aus – und statt dass wir unsere Befreiung feiern, fürchten wir um den Verlust der Legitimation unserer Existenz in dieser Gesellschaft.
Ich hatte mich bisher bei keiner zivilgesellschaftlichen aktivistischen Organisation engagiert, weil ich den Eindruck hatte, dass diese auch nur Teil des Systems sind. So revolutionär ihr Anspruch anfangs sein mag – das System stellt auch für sie eine Nische bereit, in der sie zwar sicher einiges Gutes tun können (z.B. Aufklärungsarbeit), aber trotzdem werden sie nie für das System an sich gefährlich. Ihre Struktur entspricht der aller anderen Organisationen innerhalb des Systems, deswegen unterliegen sie denselben Zwängen: Auch sie verfangen sich in der Geldlogik (Spenden sammeln), im Wachstumszwang (Mitglieder werben), in der internen Organisation (Hierarchie oder große Schwerfälligkeit bei Entscheidungsfindung wenn bewusst Hierarchie vermieden wird), dem Formzwang (definierter Rechtsstatus), dem Leistungszwang, dem Konkurrenzzwang, dem Vermarktungszwang (PR) usw. Ihre Handlungen beschränken sich meist auf Aufklärung und Agitation – was ändert das schon? Proteste, Demonstrationen, Petitionen, Aktionen werden – wenn überhaupt – von der Medienmaschinerie verwertet und verkommen in der Flut an täglichen Informationen in der Alle überfordernden Unterhaltungswelt zur Randnotiz.
Politisches Engagement ist für mich auch nicht in Frage gekommen, weil ich sehe, wie Wirtschaft und Politik miteinander verwoben sind, und dass innerhalb dieses Rahmens keine Perspektive gegeben ist, um eine radikale Änderung der Gesellschaft zu bewirken.
»Zeitgeist: Addendum« zu sehen war der Moment, in dem ich entschied, dass ich alles hinterfragen und auf meinen Verstand vertrauen darf, und dass ich etwas tun muss, wenn stimmt, was in diesem Film gesagt wurde. Und die Zeitgeist Bewegung hat mich durch ihre offene Organisation neugierig gemacht: Ich habe begonnen mich umzusehen, wie ich meine Handlungsmöglichkeiten von dieser Bewegung ausgehend frei erweitern kann.
Der neue Film »Zeitgeist: Moving Forward« startete zeitgleich in 60 Ländern. Du hast die Premiere für Österreich mitorganisiert. Wie schätzt du die Reaktion ein – bei eurer Premiere und weltweit?
Die gleichzeitige Veröffentlichung in 60 Ländern und 30 Sprachen mit Filmvorführungen in 295 Städten und weltweit mehr als 50000 Premiere-Zuschauern ohne die Hilfe einer Vertriebsfirma – alle Übersetzungen z.B. haben wir innerhalb von 3 Wochen über Weihnachten nur mit der freiwilligen Beteiligung von Mitgliedern der Bewegung bewältigt – ist einzigartig. In vielen Städten, auch in Wien, waren die dezentral und je von der lokalen Gruppe bzw. von Individuen organisierten Veranstaltungen ausgebucht: Menschenschlangen vor dem Einlass, überfüllte Kinosäle, vielfach mussten zusätzliche Screenings organisiert werden, um dem Ansturm der Zuseher gerecht zu werden.
Der Film hat wie seine Vorgänger binnen kürzester Zeit eine hohe Zahl von Aufrufen im Internet erreicht: Innerhalb der ersten 50 Stunden online auf Youtube wurde der Film ca. 694000-mal angeklickt, mittlerweile sind es knapp 4.5 Millionen Aufrufe (http://www.youtube.com/watch?v=4Z9WVZddH9w).
Trotzdem führt der Film inhaltlich nicht über »Addendum« hinaus, bezeichnend in Bezug auf die vorhergegangenen Filme ist jedoch die Stelle, an der Peter Joseph sich endlich von jeder Verschwörungstheorie distanziert:
»Die größte Bedrohung der Ökologie, die größte Quelle für Abfall, Ausbeutung und Verschmutzung, die Hauptursache für Gewalt, Krieg, Verbrechen, Armut, Tierquälerei und Verschmutzung, der größte Grund für die Entstehung sozialer Neurosen, psychischer Störungen, von Depression, Angststörungen, nicht zu erwähnen die größte Quelle sozialer Lähmung, die uns davon abhält, neue Methoden für Gesundheit, die globale Nachhaltigkeit und für den Fortschritt auf diesem Planeten zu nutzen ist nicht irgendeine korrupte Regierung oder ein Schurkenunternehmen oder Bankenkartell. Es ist kein Fehler in der Natur des Menschen und keine geheime Verschwörung, die die Welt kontrolliert. Es ist: Das sozio-ökonomische System selbst.«
»Zeitgeist: Moving Forward« reformuliert die Analyse dessen, was in der globalen Marktwirtschaft schief läuft (Wachstumszwang, Profitzwang, Konkurrenz), argumentiert gegen Fatalismus (genetischen Determinismus, »menschliche Natur«), eröffnet den Blick auf neue Möglichkeiten, die uns durch technologische Entwicklungen in Hinsicht auf Produktion und gesellschaftliche Organisation zur Verfügung stehen und präsentiert die »Ressourcenbasierte Wirtschaft« als Alternative.
Leider sind es die Bilder von Jacque Frescos kreisrunden Städten, die nach diesem überlangen, streckenweise langatmigen Film scheinbar vielen Zusehern in Erinnerung bleiben. Er erzeugt völlig falsche Assoziationen, beschwört Horrorphantasien einer technokratischen, zentralistisch organisierten Planwirtschaft, in der die Maschinen das Sagen haben und Menschen nicht die Entscheidungsfreiheit haben, ihr Leben individuell zu gestalten. Nur die Menschen, die mit der Thematik vertraut sind, lassen sich nicht auf diese falschen Fährten locken und erkennen die Tiefe der Analyse und die radikale emanzipatorische Perspektive, die hinter der Vision »Ressourcenbasierte Wirtschaft« steckt.
Das war deutlich sowohl bei der Podiumsdiskussion nach der Premiere in Wien zu sehen wie auch an den Reaktionen in anderen Ländern – Peter Joseph sagte in seiner Radioshow, dass ihn die Reaktionen durchwegs enttäuschten, weil sie die wahre Absicht des Films gar nicht berührten (»they just don´t pay attention to the relevant points” BlogTalkRadio, 26.1.2011 ab Minute 22: http://www.blogtalkradio.com/peter-joseph). Also hat der Film großteils sein hochgestecktes Ziel durch die unglückliche Wahl der Darstellung der Inhalte verpasst.
Entgegen ihrer eigenen Ideologie hat die Marktwirtschaft nicht Wohlstand für alle, sondern eine extreme Spaltung in wenige Reiche und eine Masse von »Opfern« erzeugt. Die »Ökonomie« sei gar keine, sagt »Zeitgeist«, sondern eigentlich eine »Anti-Ökonomie«. Wie ist das gemeint?
Peter Joseph definiert im Film Ökonomie folgendermaßen: Die effiziente und schonende Anwendung der Mittel zur Produktion und Verteilung lebensnotwendiger Güter. (Efficiently and conservatively orient the materials for production and distribution of life supporting goods.)
Wir leben auf einem begrenzen Planeten mit endlichen Ressourcen. Demgegenüber verlangt das gegenwärtige System die Beschleunigung von Konsum, um das Wirtschaftswachstum zu gewährleisten. Die der Geldlogik folgende Forderung nach kontinuierlichem Wachstum in Produktion und Verbrauch kann nur erfüllt werden, indem sie eine nie abreißende – und am besten noch wachsende! – Nachfrage nach neuen Gütern erzeugt.
Das kann nur funktionieren, wenn die Gebrauchsdauer von Gütern möglichst herabgesetzt wird, entweder durch bewusst kalkulierte Reduktion der Lebensdauer (z.B. Glühbirnen, Nylonstrümpfe) oder durch Neuerungen in kleinen Schritten, die zur Inkompatibilität mit Vorläuferprodukten (z.B. bei Zubehör und Ersatzteilen, z.B. Akku des iPod) führen, oder durch psychologische Manipulation über die Werbung (z.B. Mode, Jahresmodelle bei Autos, oder neue Modelle im Monatstakt bei Handys & Co). Das nennt man geplante Obsoleszenz.
Hinzu kommt noch die intrinsische Obsoleszenz: Der ständige Wettbewerb um den Marktvorteil im Kampf um den Profit zwingt die Unternehmen die Ausgaben für die Produktion so gering wie möglich zu halten, um im Preiswettbewerb zu bestehen. Die günstige Produktion geht auf Kosten der Qualität der produzierten Güter – ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen für Angestellte oder die Folgen der Produktion für die Umwelt.
Effizient wären geschlossene Kreisläufe. In unserem System hingegen wachsen die Müllberge ständig: Die kostbarsten Rohstoffe, deren Gewinnung teilweise gravierende negative Auswirkungen auf die Umwelt hat, und deren Handel immer noch kolonialen Mustern entspricht, landen nach immer kürzerer Verwendungsdauer im Müll.
Das System erlaubt es nicht, dauerhafte, hochqualitative Güter zu produzieren: Effizienz, Nachhaltigkeit und Schonung der Ressourcen laufen dem ökonomischen Wachstumsparadigma zuwider.
Und das gilt nicht nur für Güter, sondern genauso im Dienstleistungssektor: Das Lösen von Problemen hat keinen finanziellen Nutzen. Das gilt für den Gesundheitssektor (medizinische Dienstleistungen Hand in Hand mit der pharmazeutischen Industrie), für den Sicherheitssektor (privatisierte Gefängnisse in den USA, Sicherheitsdienste), die Kriegsindustrie (»blow things up and then go and re-build them«), etc.
Auf den Punkt gebracht: Der Anstieg des BIP spiegelt sowohl wachsende Bedürfnisse wider wie gleichzeitig die wachsende Ineffizienz, diese Bedürfnisse auch tatsächlich zu befriedigen. Die Maschine läuft heiß.
Aus dem Versagen der Marktwirtschaft folgt logisch die Konsequenz, dass eine Gesellschaft, die ein gutes Leben für alle Menschen auf der Welt bieten will, nicht mit den Mitteln der Marktwirtschaft operieren kann. Tausch, Markt, Geld, Staat seien nicht zu gebrauchen. Warum glaubt die »Zeitgeist«-Bewegung nicht an eine Reformierbarkeit des alten Systems?
Reformversuche hat es doch schon genug gegeben. Vom Realsozialismus bis zum Neoliberalismus ist das Spektrum abgedeckt – was bleibt noch innerhalb des Systems auszuprobieren?
Tausch bringt unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit das wertende Denken, er impliziert das gegeneinander Aufrechnen, und erzeugt die Angst vor dem Übervorteiltwerden.
Markt, der Ort an dem Handel (basierend auf Tausch und Geld) stattfindet, führt zur Produktion um des Profits Willen und nicht für die Bedürfnisse.
Geld, das Mittel, das alle Güter und Leistungen zueinander in Bezug setzt, schafft einen Tunnelblick: Wert wird zur abstrakten quantitativen Größe, die als nackte Zahl losgelöst von jeglichen realen Gegebenheiten das Streben nach immer mehr auslöst – Zahlen, die für die Phantasie des potentiell unendlich erweiterbaren Handlungsspielraums stehen.
Der Staat ist eine willkürliche Einheit gesellschaftlicher Organisation, innerhalb derer Herrschaft über ein räumlich umschriebenes Gebiet und die darin befindlichen Menschen, sowie über alles andere auf diesem Gebiet befindliche Lebendige und Nichtlebendige ausgeübt wird. Staatszugehörigkeit verlangt Identifikation mit weniger als mit dem Ganzen, sie ist eine künstliche Identität, die zum ein- und ausschließenden Denken, also zu künstlicher Trennung führt.
Solange diese Kategorien unser Denken prägen, werden trotz aller reformistischen Versuche immer wieder dieselben Probleme – Ungerechtigkeit, künstliche Knappheit, Ressourcenverschwendung, Umweltverschmutzung, Krieg – auftauchen.
Menschen können sich tatsächlich ein gutes Leben ohne Markt, Geld und Co aufbauen, so dass für alles Nötige für alle zur Verfügung steht. Wenn man die Menschen aber nicht mehr zwingt, sie nicht mehr knechtet, sie nicht mehr mit Geld besticht — werden sie dann nicht aber auf der faulen Haut liegen?
Die Anpassung an die neuen Verhältnisse würde einen Entwicklungsprozess im Bewusstsein mit sich bringen.
Würden wir morgen in einer Welt ohne Markt, Geld, Lohnarbeit und Co aufwachen, in der für alles gesorgt wäre, dann würden die meisten wahrscheinlich mal Pause machen. Klar! Wir sind so erschöpft. Wir haben genug vom äußeren Zwang, der über die ständige latente oder offene Bedrohung unserer gesellschaftlichen und physischen Existenz ausgeübt wird. Wir haben gegen diesen Zwang einen enormen inneren Gegendruck aufgebaut, der sich bestenfalls als »Faulheit« und schlimmstenfalls als Aggression manifestiert.
»Auf der faulen Haut liegen« – wenn das bedeutet, wirklich absolut nichts zu tun, dann würden die wenigsten das lange aushalten. Wie lange würdest Du freiwillig nur im Bett – oder von mir aus am Strand – liegen, bevor es langweilig oder gar zur Qual werden würde? Wann würdest Du beginnen die Wolken zu betrachten oder würdest Dir ein Buch nehmen oder ein Surfbrett schnappen oder einen Erkundungsspaziergang machen oder mit jemandem ein Gespräch beginnen? Und selbst wenn Du nur da säßest und atmetest und spürtest – wäre das Faulheit, sobald es keinen Appell und keinen Zwang mehr zum Arbeiten gäbe? Es wäre Deine freie Entscheidung wie Du Deine begrenzte Lebenszeit verbringst.
Wenn mit Faulheit Nichtstun gemeint ist, dann werden die Menschen nicht lange faul sein. Aber die Art der Tätigkeit wird sich verändern, sie werden ihre Zeit vielleicht eher mit Tätigkeiten verbringen, die heute geächtet werden, weil sie »unproduktiv« sind oder nicht verwertbar sind.
Anfangs wären viele sogar unglücklich und unzufrieden, weil sie mit sich nichts mehr anzufangen wissen: So sehr mussten sie sich Gewalt antun und ihre Träume und Fantasie beschneiden, weil sie sonst dauernd ihre Beschränkung und Ohnmacht im System gespürt hätten.
Von den Vertretern des Grundeinkommens gibt es Umfragen, die ergeben, dass viele Menschen einfach weiterarbeiten würden, selbst wenn sie nicht mehr gezwungen wären zu arbeiten. Sie arbeiteten vielleicht nicht mehr so oft oder so regelmäßig, aber viele würden nicht einfach alles hinschmeißen. Der Grund dafür könnte Freude am Tun sein, oder aber eine Folge der Verformung unserer Psyche durch das herrschende System: Wir haben gelernt uns über unseren Job zu definieren. Fiele er plötzlich weg, dann käme das einem Identitätsverlust gleich.
Dazu kommt, dass unsere Fantasie im Bezug auf Handlungsalternativen stark eingeschränkt ist. Wenn wir uns was Gutes tun wollen (und das würden wir wohl), dann denken wir oft erst an Konsum (materiellen oder immateriellen). Vielleicht weil wir uns so sehr verausgaben und/oder so außer uns sind, haben wir dieses Bedürfnis nach Einverleibung und Aneignung. Die Leere im Inneren muss gefüllt werden – das geht an den Kern: Unsere Identität konstituiert sich stark über Konsum.
Unsere Identität setzt sich zusammen aus Haben und Sein – Eigentum und Stellung in der Gesellschaft. So sehr uns beides beschränkt, wir werden es trotzdem mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen, weil wir sonst unsere Identität verlieren.
Trotzdem könnten wir Haben und Sein umdefinieren: Haben könnte statt Eigentum bedeuten: über etwas verfügen können, an etwas teilhaben; Sein könnte statt sich nach außen gerichtet über die Stellung in der Gesellschaft zu definieren einem nach innen gerichteten Bezug entspringen, einem gefestigten Selbst, einer in sich ruhenden selbst-bewussten Persönlichkeit.
Eine Identität über diese anderen Aspekte von Haben und Sein aufzubauen braucht Zeit und die entsprechende Umgebung. Wir würden also schrittweise hineinwachsen in ein neues Selbst- und Weltbild.
Die Alternative lautet »Resourcenbasierte Wirtschaft«. Was ist der Grundgedanke dahinter?
Alle Menschen sind Teil des einen Ökosystems Erde. Unsere Existenz hängt davon ab, dass dieses Ökosystem intakt bleibt. Dementsprechend gestalten sich unsere Beziehungen zur Umwelt, zu den Mitmenschen und zu uns selbst. Wir als Menschheit bringen unseren Lebensstil auf den neuesten Stand unseres Wissens und unserer Erkenntnis: alle Menschen haben das gleiche Anrecht auf ein gutes Leben, wir müssen sorgsam mit den begrenzten Ressourcen umgehen, wenn wir unsere durch Technologie erreichte Produktivkraft nutzen, können wir für ein reiches Leben aller Menschen sorgen.
Die Arbeiterbewegung hatte früher einmal ganz ähnliche Vorstellungen einer freien Gesellschaft. Ihre realen Versuche — sei es im Osten oder im Westen — gingen ziemlich in die Hose. Was unterscheidet die »Zeitgeist«-Bewegung von der traditionellen »Linken«?
Die Arbeiterbewegung arbeitet stark mit Begriffen wie Aneignung, Kampf, Rebellion, Tod des Kapitals, Rückeroberung… das ist ein martialisches Vokabular. Es wird ein Gegner konstruiert, den es zu bekämpfen gilt.
Die Arbeiterbewegung hat zwar Schichtenbildung und Eigentum kritisiert, aber sie hat gleichzeitig nicht zur Überwindung der Klassen geführt, sondern ein falsches Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse propagiert. Statt dass die industrielle Produktion, die Lohnarbeit, Geld, Wert, Ware, Markt und Staat kritisiert wurden, haben sie sich positiv auf diese Instanzen bezogen – und mussten scheitern, weil die Kritik den Systemzusammenhang selbst nicht erfasste.
In einigen Kritiken wird dem »Zeitgeist«-Ansatz eine männlich zentrierte Technologie- und Wissenschaftsgläubigkeit vorgeworfen. Wie sieht du das?
Das sind eigentlich zwei verschiedene Vorwürfe: erstens, dass es hier um eine kulturell eindeutig geprägte Vision handelt (weiß, westlich, männlich), die den Anspruch erhebt eine Lösung für die ganze Menschheit zu sein; zweitens der blinde Fleck, dass mit der Betonung auf Technologie und Wissenschaft gerade eine Objektivität garantiert werden soll, die aber ihrerseits auf dem Glauben an die Objektivität dieser Herangehensweise basiert.
Zum ersten Punkt: Jacque Fresco, der geistige Vater der »Ressourcenbasierten Wirtschaft«, ist weiß und männlich und lebt in den USA. Wenn diese Vision für andere Kulturkreise nicht erstrebenswert ist, dann wird sie sich schlicht nicht durchsetzen, und das ist dann gut so – alles andere würde in Totalitarismus ausarten. Aber vielleicht kann sie ein Anstoß sein für eine Neugestaltung der Welt, an der alle Kulturen beteiligt sind. Die Grundidee scheint mir tragfähig und auch kulturübergreifend gültig zu sein: Wir alle wollen auf diesem Planeten gut miteinander leben.
Zum zweiten Punkt: Neolithische Revolution – Industrielle Revolution – Informationszeitalter … diese Sprünge haben zur immer weiter reichenden und sich selbst verstärkenden Einflussmöglichkeit des Menschen gegenüber dem Ausgeliefertsein an äußere Bedingungen geführt. Sie basierten immer auf technologischen Entwicklungen, die wiederum durch die parallel entwickelten Methoden der Naturwissenschaften vorangetrieben wurden.
Sucht man nach absoluter Erkenntnis, dann ist man besser mit der Philosophie oder der Theologie beraten. Sucht man nach praktischen Lösungen, dann leistet die Naturwissenschaft mit ihrer analytischen Herangehensweise und der Möglichkeit der Falsifizierbarkeit von Hypothesen – also einer systemimmanenten Lernfähigkeit – verlässlich gute Dienste.
Die Forderung, technische Lösungen für gesellschaftliche Probleme heranzuziehen und zur Entscheidungsfindung über die wissenschaftliche Methodik zu gelangen, sehe auch ich selbst problematisch. Immer gilt es hier die Freiheit des Einzelnen im Auge zu behalten – wobei wir vielleicht auch unsere Begriffe von Freiheit überdenken müssen. Vieles, was uns heute als Freiheit verkauft wird, ist eigentlich keine oder dient zur Ablenkung von der überwältigenden Unfreiheit, der wir allenthalben ausgeliefert sind.
Ob die wissenschaftliche Methodik ein angemessenes Werkzeug für gesellschaftliche Entscheidungsfindung ist, gilt es auszuprobieren. Ich persönlich zweifle daran, weil die Naturwissenschaft gerade dort an ihre methodischen Grenzen zu kommen scheint (z.B. in der Quantenphysik oder in der Neurobiologie), wo die klassische Logik nicht greift, sondern wo Zusammenhänge dialektischer Natur sind, wo es um emergente Eigenschaften von Systemen geht, bei denen das analytische Zerlegen in Einzelteile keine Einsicht in das Funktionieren dieser komplexen Zusammenhänge bringt, oder wo es um Selbstbezüglichkeit geht. All diese Merkmale – unauflösbare Widersprüche, hohe Komplexität bzw. Übersummativität und Selbstbezüglichkeit – sind Merkmale unserer gesellschaftlichen Zusammenhänge.
Aber die Lösung muss ja keine binäre sein. Die Demokratie in ihrer heutigen Form leistet denkbar unbefriedigende Dienste bei der Vermittlung des gesellschaftlichen Zusammenhangs.
Aber wenn wir uns durch Technologie von vielen langweiligen, gefährlichen und sonst menschenunwürdigen Tätigkeiten befreit haben werden, dann können wir das frei gewordene menschliche Potential verwenden, um neue Methoden in der Gestaltung von Politik und Gesellschaft zu entwickeln und auszuprobieren (spannend finde ich z.B. Konzepte wie Liquid Democracy oder Excuisite Synergy).
In »Moving Forward« schmeissen die Menschen am Ende ihr Geld weg. Ein schönes Bild, aber kann das ein Weg aus der Misere sein?
Das ist eine künstlerische symbolische Geste von Peter Joseph. Solange sich in unserem Bewusstsein nichts ändert, wird sich sofort wieder der Geldmechanismus reaktivieren. Das gilt m.E. genauso für alternative oder komplementäre Währungen.
Was habe ich dich nicht gefragt, was dir aber noch wichtig wäre zu beantworten?
Was ist die Zeitgeist-Bewegung? Wer steckt dahinter? Was sind die Pläne?
Ganz kurz: Die Zeitgeist-Bewegung ist 2008 aus dem Aufruf am Ende des Films »Zeitgeist: Addendum« sich über die Website www.thezeitgeistmovement.com zusammenzuschließen entstanden. Die Bewegung versteht sich als der »aktivistische Arm« des Venus Projects. Es gibt keine geplante Organisation oder Strukturierung der Bewegung, sie entwickelt sich regional und emergent. Zur Bewegung gehört, wer sich mit den auf der Website formulierten Sichtweisen identifiziert und aktiv beitragen möchte.
Nikola, vielen Dank für das Interview!
Aus einer Broschüre: Kurzbeschreibung der Zeitgeist Bewegung
The Zeitgeist Movement (die Zeitgeist Bewegung) ist eine Basisbewegung, die dezentral und autonom von ihren Mitgliedern organisiert wird. Als Reaktion auf die herrschenden sozioökonomischen Probleme weltweit möchte die Bewegung ein neues Gesellschaftsmodell präsentieren, weiterentwickeln und letztlich umsetzen.
Als Ursache für viele Probleme werden überkommene Traditionen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Konventionen und Mechanismen gesehen, die aufgrund der beschleunigten Entwicklung ihre ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen können; sie sollen aufgespurt und adaptiert oder durch adäquatere, neue Lösungsstrategien ersetzt werden.
Ressourcenbasierte Wirtschaft (resource-based economy, RBE) ist der Name für eine solche Lösungsstrategie. Sie ist ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Gesamtkonzept. Der Begriff wurde von Jacque Fresco geprägt, einem heute 94-jährigen Industriedesigner und selbsternannten «Sozialingenieur”, der sich seit der Großen Depression mit der Frage nach einem neuen systemischen Lösungsansatz für gesellschaftliche und wirtschaftliche Probleme befasst hat. Seine gesamte Arbeit zu dem Thema nennt er nach dem Standort seiner Forschungs- und Bildungsstation in Venus, Florida: »Venus Project« (offizielle Website: www.thevenusproject.com).
Anlass für die Gründung der Zeitgeist Bewegung war der 2008 veröffentlichte, von Jacque Frescos Ideen inspirierte Dokumentarfilm »Zeitgeist: Addendum« des US- amerikanischen Filmemachers Peter Joseph. Auf der internationalen Website (www.thezeitgeistmovement.com) haben sich seit 2008 uber 500.000 Mitglieder registriert. In 45 Ländern wurden bisher lokale Gruppen gegrundet. Die Community im deutschsprachigen Raum ist mit ca. 1100 Mitgliedern (Stand: November 2010) noch relativ klein.
»Zeitgeist« und Commons
[There is an english version of this article]
Vor einigen Wochen ist der Film »Zeitgeist Moving Forward« erschienen (online/torrent und offline), ich habe ihn jetzt (erst) gesehen. Wow, dieser Film hat es in sich. Radikal und zwingend erzählt er das Ende des Fetischs »Marktwirtschaft«. Das hatte ich nicht erwartet. Der Trailer vermittelt davon allerdings kaum den entsprechenden Eindruck:
Worum geht’s und was hat das mit Commons zu tun?
Der Film ist voll von Informationen, so dass man sich mächtig konzentrieren muss, um all den Fakten und Statements zu folgen (v.a. wenn man die deutschen Untertitel mitlesen will). Er besteht aus vier Abschnitten: »Menschliche Natur«, »Soziale Pathologie«, »Projekt Erde«, »Aufstieg«. In allem ist der Film sehr US-zentriert. Ich will mich hier auf einige ausgewählte Aspekte konzentrieren. Ich empfehle die Besprechungen von Franz Nahrada, Andreas Exner und Tomasz Konicz, die in treffender Weise wichtige Kritik-, aber auch Lobespunkte nennen: Kritik an Wissenschafts- und Technikfetischisierung, patriachalen Sichtweisen (achtet auch mal auf die klischeehaften Hintergrundbilder von »Familie« etc.), verkürztem Geldbegriff (Geld=Schuld) etc.; Lob dafür, dass die Systemfrage gestellt und radikal mit Tausch, Geld, Markt, Staat und Politik gebrochen wird. Mit leichter Hand hängt der Film deutlich eine »Verwaltungslinke« ab, die im Sumpf des Alten befangen ist, obwohl sie doch das Gleiche will.
Im Teil »Menschliche Natur« wird viel Zeit aufgewendet, um gegen einen genetischen Determinismus zu argumentieren, gegen das »Angeboren-sein« von nahezu allem und jedem: Kriminalität, Alkoholismus, Faulheit, Übergewicht, Armut etc. Die Dummheit in den USA ist in dieser Frage offenbar grenzenlos. Nicht, dass es solche Debatten hier nicht auch gäbe, allerdings benötigen sie mehr Aufwand, um einen genetischen Determinismus zu begründen. Hervorragend ist, wie der Film immer wieder die dahinter stehenden ökonomischen Interessen dechiffiert: Knast als Profitsystem, das davon »lebt«, immer mehr Menschen einzusperren; Gesundheitswesen als System, dass nur an dauerhaft leidenden und kranken Menschen verdient und keine Interesse an wirklicher »Heilung« hat etc.
Kurzsichtig ist hingegen, dass der genetische Determinismus durch eine Art Umwelt-Determinismus ausgetauscht wird: Die Umwelt macht aus den Menschen all das, was den Genen angedichtet wird. Angeblich habe das die Wissenschaft klar erkannt, nur werde es aus ideologischen Gründen nicht zugegeben. Doch auch der Umwelt-Determinismus ist Ideologie, ist Verkürzung, blendet aus, dass Menschen selbst diese Verhältnisse herstellen, unter denen sie leben und leiden. Sich auf die »andere Seite« der dualistischen Determinismus-Sicht zu stellen, verschlimmbessert die Lage nur.
So wird zwar richtigerweise festgehalten, dass es insgesamt das sozio-ökonomische System sei, das zu verändern sei — wobei sich die Menschen dann in neuer »Umwelt« wohl schon zum Besseren verändern würden, so die Hoffnung. Nur: Wer soll das machen, wenn doch alle »Opfer der Kultur« sind? Es gibt eine unlogische Antwort: die Wissenschaftler. Warum sollten gerade diese von der »Umwelt-Determination« ausgenommen sein? Was befähigt sie zu Einsichten, die anderen verwehrt sind? Dahinter steckt die (in den oben erwähnten Artikeln kritisierte) Vorstellung einer »Neutralität von Wissenschaft«, ja eines Begriffs von »der wissenschaftlichen Methode«, der sehr gefährlich ist. Denn wer »die Methode« inne hat, der hebt sich — völlig unwissenschaftlich — aus dem Kreis der Anderen heraus, begründet einen Status höherer Einsicht, legitimer Autorität, letztlich eines Elitismus. Das muss eigentlich nicht so sein, aber im Film ist es so, und das muss kritisiert werden (sicher ausführlicher als ich das hier tue).
Auch hier kann die Alternative nun nicht ein bloßer wissenschaftlicher Relativismus stehen, nach dem irgendwie alle recht und unrecht zugleich haben — je nach dem, was man halt als »Wissenschaft« ansehen will. Auch das wäre wieder nur eine bloße dualistische Abstoßung, die zwar als Kritik »der wissenschaftlichen Methode« ihre Berechtigung hat, nicht aber als Grundlage für den Standpunkt des Relativismus dienen kann: Dogmatismus und Relativismus sind nur zwei Seiten der gleichen Verkürzung (das habe ich von Sonja gelernt, danke!). Dem gegenüber ist der Begriff der Wahrheit zu verteidigen, der jedoch eine je dem Gegenstand entsprechende wissenschaftliche Herangehensweise erfordert. Methode und Gegenstand sind eben nicht voneinander getrennt, wie »wissenschaftliche Methodisten« behaupten, und die Methode ist auch nicht »subjektiv relativ« wie »postmoderne Relativisten« meinen, sondern von ihrem Gegenstand abhängig, auf diesen bezogen und nur mit diesem gültig.
Im Teil »Soziale Pathologie« werden die geistigen Wurzeln des modernen marktwirtschaftichen Paradigmas bei John Locke und Adam Smith aufgezeigt. Das ist im Einzelnen interessant (bei Locke etwa, dass das Privateigentum »genug für alle« übrig lassen solle). Allerdings ist die Geschichte kapitalistischer Marktwirtschaft nicht nur eine Geistesgeschichte, sondern eine Realgeschichte des qualitativen Übergangs von einer agrarisch-handwerklichen zur industriellen Produktionsweise — was im Film jedoch nicht thematisiert wird. Irgendwann ist die große Industrie, die Marktwirtschaft und das Geldsystem dann »da«, und deren systematisch produzierten strukturellen Ungleichgewichte, Ressourcen-Verschwendungen und Ineffizienzen werden kritisiert.
Hervorragend ist, wie der Kapitalismus als ineffizientes System der Produktion lebensnotwendiger Güter demaskiert wird, während die ideologische Eigenzuschreibung stets das Gegenteil behauptet. Das Geldsystem wird als systematische Überschuldung und Inflationen erzeugend beschrieben, das unweigerlich auf einen Kollaps zusteuern müsse, da der Staat nicht beliebig Geld aus dem Nichts schöpfen könne, um die jeweils vorher angewachsenen und exponentiell weiter wachsenden Schulden auszugleichen. Die Rückbindung an die reale Ökonomie sowie Geld als Wert und (fiktives) Kapital kommen hier viel zu kurz. Insgesamt wird am Begriff und Konzept von »Wirtschaft« festegehalten, nur wird die »knappheitsbasierte« Marktwirtschaft als »antiwirtschaftlich« kritisiert. Stark: »Knappheit« wird als soziale Form der Warenproduktion entlarvt, die nichts oder wenig mit der »Natur« der u.U. nur begrenzt verfügbaren Güter zu tun hat: »Knappheit« wird gemacht, sie ist nicht »da«.
Im Teil »Projekt Erde« wird die Zeitgeist-Alternative der Ressourcenbasierten Wirtschaft (RBW) als »wahrhafte Wirtschaft« vorgestellt. Der Ansatzpunkt ist so schlicht wie richtig: Menschen brauchen für ihr Leben Dinge, die sie unter Nutzung von Ressourcen herstellen. Der Verbrauch der Ressourcen, also die Produktion der Güter, muss sich an der Regenerationsfähigkeit und begrenzten Verfügbarkeit der Ressourcen ausrichten, um für alle Menschen auf der Erde ein gutes Leben zu ermöglichen — heute und für zukünftige Generationen. Um das zu erreichen, müsse der Ressourcenbestand der gesamten Erde erfasst und kartiert werden, um dann wissenschaftlich begründete — und nicht politisch getriebene — Entscheidungen über den Aufbau der Produktion zu treffen. Nervig ist, dass genau an dieser Stelle die deutschen Untertitel penetrant falsch von »Waren« (anstatt von Gütern) sprechen, wo im englischen Original eindeutig von »goods« die Rede ist.
Als Beispiel wird eine Stadt des Venus-Projekts vorgestellt, die nach ingenieurmäßig-optimierten Konzepten entwickelt wurde. Nun, ich wollte in so einer Stadt nicht wohnen. Hier schlägt wieder die vorgeblich »Neutralität von Wissenschaft« durch, die sich von den Bedürfnissen der Menschen entbunden sieht — obwohl immer wieder betont wird, dass es um die Befriedigung der Bedürfnisse aller Menschen gehe. Schleicht sich hier ein, dass Experten über die Bedürfnisse anderer entscheiden? Das wäre sehr schnell eine Schreckensvision, die das Zeitgeist-Projekt gar nicht nötig hat. Genau genommen stehen kreisrunde optimierte Venus-Städte gar nicht zur Debatte, denn bei einem gesellschaftlichen Wandel zu einer RBW ginge es um ein gigantisches Transformationsprojekt der gewachsenen Strukturen in vernünftige, ressourcensparende neue Strukturen, die von den umfassenden Bedürfnissen der Menschen ausgeht. Die richtige Idee, dass Infrastrukturen möglichst effektiv eingerichtet sein müssen (daher die kreisrunde Form der Venus-Stadt), würde für real-vorhandene Städte sicherlich immense Einspareffekte ergeben ohne diese in eine kreisartige Form bringen zu müssen: Alles umzubauen wäre aus Ressourcengründen sinnlos.
Die Bedürfnisse der Menschen als Motor für eine gesellschaftliche Transformation kommen eindeutig zu kurz. Hier zeigt sich kein großes Vertrauen in die Menschen, was nicht jedoch verwundert, sieht man diese nur als »Opfer der Kultur« an. Der Gedanke, dass gerade die Separation und getrennte Befriedigung von Bedürfnissen durch »Konsum« dazu geführt hat, dass die Handlungen der Menschen hochgradig widersprüchlich und selbstschädigend sein müssen, wird zwar im ersten Teil erkannt, aber hier nicht genutzt. Denn umgekehrt würde es bedeuten, dass eine gesellschaftliche Form, die es erlaubt, die vorher getrennten Bedürfnisse wieder in einem Prozess der kommunikativen Vermittlung zusammen kommen zu lassen, zu einer gleichgewichtigen und nachhaltigen Berücksichtigung aller Bedürfnisse führen wird. Sobald Menschen real Einfluss auf die Bedingungen haben, nutzen sie diese auch. Eine »Kaufentscheidung« ist jedoch kein Einfluss, sondern Einfluss muss sich direkt auf die Produktion beziehen. Grundsätzlich ist dies in einer RBW möglich, da hier auf wesentliche separierende Elemente verzichtet wird: Geld, Markt, Staat, Politik, Herrschaft.
Im letzten Teil »Aufstieg« geht es schließlich um die mögliche Ablösung des gegenwärtigen »sozio-ökkonomischen Systems« (von Kapitalismus wird fast nie gesprochen). Hier tut sich »Moving Forward« genauso schwer wie alle, die eine neue, bedürfnisorientierte Gesellschaft wollen. Das kann auch nicht anders sein. So wird also nochmals drastisch vor Augen gefügt, wie sehr dieses globale System »Marktwirtschaft« versagt hat: Ressourcenausbeutung bis zum Ende, Entwaldungen, Hunger (jeden Tag verhungern 18.000 Kinder), Vertreibung, Klimakatastrophe — nichts, was nicht alle irgendwie wissen. Aber wer kann das schon täglich aushalten ohne es zu verdrängen oder die »Schuld« den Opfern zuzuschieben?
Es ist auch nichts, was nicht andere engagierte Menschen beklagen würden, nur zieht Zeitgeist daraus die einzig richtige und logische Konsequenz: Wenn das aktuelle sozio-ökonomische System dies alles produziert hat, dann kann eine Lösung niemals in diesem System gefunden werden. Es reicht eben nicht, einige Hebel innerhalb des Systems zu verlängern oder zu verkürzen oder neu zu stellen, sondern eine neue Art und Weise, die Lebensgrundlagen für alle Menschen zu schaffen, muss in die Welt gesetzt werden. Diese neue Produktionsweise kann nicht auf den Mechanismen des Alten — Geld, Markt, Staat, Waren, Tausch — beruhen. Ob damit tatsächlich alle »Mechanismen des Alten«, wie ich das hier genannt habe, in Frage gestellt sind, ist fraglich. Wahrscheinlich kommt noch einiges hinzu — inklusive der Zeitgeist-eigenen Neutralitätsgläubigkeit in die Wissenschaften. Aber die zentralen Punkte, die in der Regel »linken« Ansätzen entgehen, sind benannt.
So ist das Schlussbild des Films, in dem die Herrschenden die Macht und die Beherrschten das Geld fallen lassen, eben das: ein Bild im Medium des Films. Also Kunst, denn anders als künstlerisch kann man das Szenario nicht zeigen. Jede konkretere Imagination wäre unglaubwürdig. Es wird sich zeigen, ob Zeitgeist tatsächlich eine globale Bewegung werden kann. Warum sie gerade in D-Land kaum existiert, ist mir nicht ganz klar. Vielleicht, weil hierzulande die Illusionisten, die glauben, man könne mit immanenten Reformen etwas retten, noch den Ton angeben. Mit untauglichen Mitteln drücken sie jedoch den gleichen Wunsch aus wie ihn Zeitgeist verkörpert: Dass die Gesellschaft menschlich werden möge.
Hier gibt’s eine Aufzeichnung einer Diskussion nach der Premiere des Films in Österreich.
Was hat das nun mit Commons zu tun?
Die einfache Antwort lautet: Commons sind eine RBW im Kleinen. Platt gesagt, so wie die RBW »von oben« guckt, so gucken die Commons »von unten«. Die RBW sind schwach in der Frage, wie denn die Menschen tatsächlich dazu kommen, vernünftige und menschliche Verhältnisse zu schaffen — die Commons haben das im Kleinen an unzähligen Beispielen gezeigt. Die Commons sind schwach darin, die Frage zu beantworten, wie denn das Commons-Prinzip gesamtgesellschaftlich ausgedehnt werden könne — die RBW stellt einen solchen gesamtgesellschaftlichen Ansatz dar.
Allerdings, da bin ich mir ziemlich sicher, würde es zu einem gravierenden »Clash of Cultures« kommen, wenn antimonetaristische, technikgläubige Zeitgeistler_innen auf geldignorante, technikskeptische Commonist_innen stoßen — sehr holzschnittartig gesagt. Das passiert ja schon innerhalb der Commons, wenn etwa »digitale« auf »naturale« Commonist_innen treffen.
Aber warum soll das nicht auch sehr spannend werden, sofern man geneigt ist, voneinander zu lernen?