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Herrschaftsverhältnisse – sachlich vs. personal

Ein Gespräch zwischen Andreas Exner und Stefan Meretz

Teil 2 (Teil 1)

[Erschienen in: Grundrisse 42/2012]

Stefan: Für mich ist die Unterscheidung von Struktur und Person sehr wichtig. Wenn ich von Exklusions-Logik spreche, dann meine ich damit die Struktur, in der ich mich gezwungen sehe, einer bestimmten Logik zu folgen, auch wenn ich als Person Exklusionen eigentlich ablehne. Wenn ich einen Job bekomme, bekommt ihn ein anderer nicht. Wenn ich ein Ware verkaufe, kann mein Konkurrent diesen Verkauf nicht realisieren etc. Das ist nicht vom persönlichen Wollen abhängig, sondern strukturelle Funktionslogik der Warengesellschaft.

Wenn du jetzt von ganz konkreten Menschen sprichst, die herrschen, dann ist das augenscheinlich gesehen richtig, analytisch jedoch nicht, wenn du diese Ausübung der Herrschaft schon für das Ganze nimmst. Die ausgeübte Herrschaft ist der ausgeführte strukturelle Zwang, dem wir alle unterliegen. Dabei dürfen wir „Zwang“ nicht als „Determination“ missdeuten, es gibt selbstredend Spielräume, wir können uns im Einzelfall auch verweigern. Doch im Durchschnitt müssen wir die Exklusions-Logik bedienen, weil wir mittels dieser unsere Existenz sichern. Die allermeisten strukturellen Ausschlüsse sind ohnehin wenig sichtbar. In der Regel weiß ich nicht, was ich mit dem Kauf einer Ware am anderen Ende der Welt anrichte.

Was es allerdings auch gibt, sind die Fälle von Herrschaft, wo Menschen sich mit ihrer Rolle identifizieren und darin gleichsam aufgehen. Indem sie die strukturellen Anforderungen als innere Zwänge wenden, versuchen sie aktiv unter Ausnutzung der Ausschluss-Logik ihre eigene Position zu behaupten. Wenn ich der Stärkere bin, dann funktioniert ja die Durchsetzung des Stärkeren tatsächlich – für mich auf Kosten der anderen. Dass darin aber auch ein Moment von Selbstfeindschaft liegt, kann man nur erkennen, wenn man die strukturellen Zwänge nicht personalisiert. Dies hat die Kritische Psychologie in ausgezeichneter Weise analysiert.

Ich kann also nicht zustimmen, wenn du davon sprichst, dass der „uneingeschränkte Geltungscharakter (des) Kommandos über den Menschen … das Wesen des Geld-Werts“ sei. Ich wähne mich mit Marx in Übereinstimmung, den Wert als gesellschaftliches Verhältnis zu begreifen und nicht als Ausdruck persönlicher Herrschaft. Um unsere Diskussion „nach vorne“ zu wenden, möchte ich gerne das folgende Zitat von Marx aus den „Grundrissen“ (S. 91) einbringen:

„Persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (zuerst ganz naturwüchsig) sind die ersten Gesellschaftsformen, in denen sich die menschliche Produktivität nur in geringem Umfang und auf isolierten Punkten entwickelt. Persönliche Unabhängigkeit, auf sachlicher Abhängigkeit gegründet, ist die zweite große Form, worin sich erst ein System des allgemeinen gesellschaftlichen Stoffwechsels, der universalen Beziehungen, allseitiger Bedürfnisse und universeller Vermögen bildet. Freie Individualität, gegründet auf die universelle Entwicklung der Individuen und die Unterordnung ihrer gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Produktivität als ihres gesellschaftlichen Vermögens, ist die dritte Stufe.“

Neben der Bestätigung meiner Position, die ich darin zu erkennen vermag, ist mir vor allem die Perspektive der Aufhebung des Kapitalismus, die Marx hier formuliert, wichtig: Freie Individuen handhaben ihre gemeinschaftliche Produktivität als gesellschaftliches Vermögen. Ist das nicht genial von Marx? Er konnte es formulieren ohne ein praktisches Beispiel als Keimform vor Augen zu haben wie wir etwa mit der commons-basierten Peer-Produktion heute.

Wenn du nun die Art und Weise der Produktion, die Marx hier diskutiert, als Frage verstehst, der es „bloß (um) eine neue Form der Vermittlung unseres gesellschaftlichen Stoffwechsels“ ginge, dann unterschätzt du ihre Bedeutung. Es geht gewiss nicht „bloß“ – im Sinne von „nur“ – darum, aber wie wir unsere gesellschaftlichen Lebensbedingungen herstellen, wie wir produzieren, halte ich für die zentrale Frage. Diese wiederum ist identisch mit der Frage der gesellschaftlichen Vermittlung, denn gesellschaftliches Produzieren ist immer gleichzeitig ein Vermittlungsprozess.

Im Kapitalismus dreht sich die gesellschaftliche Vermittlung um den Wert, für die freie Gesellschaft, den Kommunismus, nimmt Marx nun an, dass sie sich um die „freie Individualität“ dreht. Diese Marxsche Herausforderung gilt es zu begreifen: Was bedeutet eine gesellschaftliche Vermittlung freier Individuen, die sich ihre gemeinschaftliche Produktivität als gesellschaftliches Vermögen unterordnen? Und was heißt das für die Aufhebung jeglicher Herrschaft?

Herrschaftsverhältnisse – jenseits von sachlich vs. personal?

Andreas: Lass mich den O-Ton von Marx aufgreifen. Er schreibt von „Verhältnissen“, die, wie er meint, sich „zuerst ganz naturwüchsig“ herstellen. Wir dürfen annehmen, dass er da den Feudalismus, vielleicht auch andere vor-kapitalistische Verhältnisse im Auge hat. Nun entstanden der Feudalismus und seine Vorläufer jedoch, das ist einmal der erste Punkt, nicht naturwüchsig, sondern ihrerseits aufgrund bestimmter gesellschaftlicher Verhältnisse. Was Europa betrifft gibt es dazu auch eine breite archäologische Evidenz.

Der zweite Punkt, den Marx in der Passage über die „erste Stufe“ betont, ist der „persönlicher Abhängigkeitsverhältnisse“. Gibt es so etwas überhaupt in dem Sinn, wie es mir anzuklingen scheint, als ein ungesellschaftliches rationales Machtverhältnis, das man im Extremfall genauso gut auf zwei Menschen reduzieren könnte, die auf einer Insel leben? Meinem Eindruck nach unterliegt Marx hier der von ihm selbst kritisierten Fiktion einer Robinson Crusoe-Welt. Abhängigkeitsverhältnisse im hier verhandelten Sinn sind niemals persönlich – wir sprechen ja nicht von vormodernen, noch nicht institutionalisierten Lehrer-Schüler-Beziehungen oder dem Verhältnis von Mutter und Kind. Abhängigkeitsverhältnisse erscheinen vielmehr in einer historisch spezifischen sozialen Form, die als solche genauso unpersönlich ist wie der Wert. Und sicherlich sind diese Abhängigkeitsverhältnisse, wie auch der Wert, gesellschaftliche Verhältnisse.

In den von dir zitierten „Grundrissen“, die ja der Marxschen Selbstverständigung dienten, kommt Marx selbst übrigens an späterer Stelle zu einer Problematisierung einer allzu strikten Trennung zwischen „persönlicher“ und „sachlicher“ Herrschaft. Er schreibt, dass die „Herrschaft der Verhältnisse (jene sachliche Abhängigkeit, die übrigens wieder in bestimmte, nur aller Illusion entkleidete, persönliche Abhängigkeitsverhältnisse umschlägt) in dem Bewußtsein der Individuen selbst als Herrschen von Ideen erscheint und der Glaube an die Ewigkeit dieser Ideen, d.h. jener sachlichen Abhängigkeitsverhältnisse, von den herrschenden Klassen, of course, in jeder Weise befestigt, genährt, eingetrichtert wird“ (S. 24). Zuvor noch stellt Marx fest: „Diese äußren Verhältnisse“ – womit er die sachlich, in Gestalt unter anderem des Geldes erscheinenden Herrschaftsverhältnisse meint, „sind so wenig eine Beseitigung der ‘Abhängigkeitsverhältnisse’, daß sie nur die Auflösung derselben in eine allgemeine Form sind; vielmehr das Herausarbeiten des allgemeinen Grundes der persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse sind.“

Der Markt funktioniert so ähnlich wie das Bentham’sche Panoptikum: eine Struktur, die scheinbar aus sich heraus Zwang ausübt – dieses Moment sprichst du sehr stark an, und es existiert für sich genommen tatsächlich. Nur möchte ich darüber nicht vergessen, dass, um im Bild zu bleiben, das Panoptikum Menschen braucht, die andere Menschen inhaftieren, ihnen Essensrationen bringen etc. Auch der Wächter muss persönlich und konkret präsent sein – das Panoptikum funktioniert sehr effizient, aber nicht ohne direkte Herrschaft. Es vervielfacht die Wirkung direkter Herrschaft. Schließlich muss so ein Gebäude auch gebaut und erhalten werden. Die Gegenüberstellung von „abstrakter“ oder gar „subjektloser“ Herrschaft und „konkreter“ oder „persönlicher“ Herrschaft erfasst, glaube ich, nicht die reale Funktionsweise von Markt, Kapital, Staat und Patriarchat.

Wie ich schon sagte, ist an Herrschaft und am Herrschenden nichts souverän. Was die psychologische Ebene angeht, so zeigt das für dich die Kritische Psychologie. Ich begreife es mit Hilfe der Psychoanalyse. Ich denke, wir kommen hier zum selben Ergebnis.

Lass mich noch auf den Punkt eingehen, den du ins Zentrum rückst: das Verhältnis zwischen Struktur und Person. Können wir diese beiden Kategorien strikt trennen? Die Individuen sind, denke ich, der Knotenpunkt sozialer Verhältnisse, die sie zugleich bilden. Das Individuum geht darin allerdings nicht auf. Dieser Umstand begründet die Emanzipation als Ziel und Möglichkeit. Was am Individuum in den Verhältnissen einer herrschaftlichen Gesellschaft aufgeht, ist die so genannte Charaktermaske, da passt der Begriff der Person, der ja ursprünglich Maskenträger bezeichnet, recht gut. Man könnte auch vom Gesellschafts-Charakter sprechen, wie Erich Fromm.

Ich würde daher Struktur und Individuum nicht einander entgegen setzen. Der Kapitalismus entstand nicht naturwüchsig, nicht ohne die bewussten Strategien der Herrschenden, und er besteht auch nicht naturwüchsig, aus sich selbst heraus fort.

Der Gesellschafts-Charakter ist die Vermittlung zwischen Struktur und Individuum. Das Konzept des Charakters ermöglicht uns, Herrschaft als eine gesellschaftliche Struktur zu analysieren, die zugleich in den und durch die Individuen wirkt. Ohne dieses Vermittlungsglied, so glaube ich, bleibt man entweder bei einem Strukturalismus, der die Verhältnisse des Kapitalismus ähnlich wie die Sachzwang-Ideologie der Neoliberalen mystifiziert und viele Momente seiner Funktionsweise unerklärt lässt, oder aber bei einer Personalisierung von Herrschaft, die du zurecht kritisierst.

Wenn ich sagte, es sei der „uneingeschränkte Geltungscharakter (des) Kommandos über den Menschen … das Wesen des Geld-Werts“, so meinte ich nicht, dies sei ein „persönliches“ Herrschaftsverhältnis, es ist allerdings letztlich ein direktes. Das kann man, denke ich, in jedem kapitalistischen Betrieb erfahren. Im Unterschied zum Feudalsystem sind die direkten Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus freilich flüssig, austauschbar, sie sind nicht mehr fest, so wie etwa die Bauern an einen bestimmten Feudalherren gebunden blieben.

Die Substanz des Werts ist abstrakte Arbeit. Der Wert setzt daher das Kommando über die Arbeitskraft voraus, das heißt das Kommando der Kapitalistenklasse über die Arbeiterklasse – ein gesellschaftliches Verhältnis, wie du ja auch feststellst. Auch entsteht das Kapital als Verhältnis historisch nicht als vermeintlicher Sachzwang des Werts, sondern als direkte Vertreibung der unmittelbar Produzierenden und ihre Unterjochung durch blutige Gewalt.

In den verschiedenen empirischen Formen des Werts, beim Geld angefangen, zeigt sich dieses Verhältnis zwischen Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse nicht nur in einer objektivierten, sondern zugleich in einer flüssigen, von konkreten Qualitäten und Dingen unabhängigen Form. Der Wert ist nur scheinbar ein Verhältnis von Dingen. Wäre er das tatsächlich, dann hätten wir wirklich einen Sachzwang vor uns. In der Tat sind die Wertformen jedoch Ausdrücke eines Verhältnisses zwischen zwei Klassen, das den Menschen als scheinbare Eigenschaft von Dingen zurückgespiegelt wird.

Der Unterschied zwischen der kapitalistischen Herrschaft und anderen, auch früheren Herrschaftsformen ist also meines Erachtens nicht, dass sie keine gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Wie könnte man Herrschaft anders als ein gesellschaftliches Verhältnis denken?

(→Teil 3)

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

Der schwierige Weg der Transformation

Ein Gespräch zwischen Andreas Exner und Stefan Meretz

Teil 1

[Erschienen in: Grundrisse 42/2012]

Andreas Exner und Stefan Meretz bloggen regelmäßig zu Fragen der gesellschaftlichen Transformation (auf social-innovation.org und keimform.de) und unterstützen die Initiative demonetize.it. Doch über das „Wie“ der Transformation und Demonetarisierung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das ist das Thema des folgenden Gesprächs.

Stefan: Ich denke, dass die Aufhebung des Kapitalismus kein schlagartiges Ereignis sein kann, keine Revolution im Sinne eines Aufstands, nach dem alles anders wird, sondern ein widerspruchsvolles Herauswühlen aus den sozialen Formen ist, die der Kapitalismus ein paar hundert Jahre lang als scheinbar „natürliche“ etabliert hat. Doch wie sind die Widersprüche in der Übergangsphase beschaffen? Wie kann verhindert werden, dass sich neue Ansätze doch nur als Modernisierungsimpulse für die „alte Scheiße“ (Marx/Engels) entpuppen? Welche Triebkräfte sorgen dafür, dass Widersprüche „nach vorne“ in Richtung Emanzipation gelöst werden? Um welche Widersprüche geht es aus deiner Sicht?

Andreas: Da stellst du gleich eine Reihe großer Fragen. Lass mich mal damit beginnen, wie man überhaupt diese „Natürlichkeit“ der herrschenden Verhältnisse angehen kann. Da reicht ein Aufstand bei weitem nicht, weil, wie du sagst, die sozialen Formen des Kapitalismus über einen langen Zeitraum hinweg mit Gewalt etabliert worden sind – Geld und Markt, Lohnarbeit und Kapital, der Staat. Der Staat und seine Vorläufer hielten die auch immer dann, wenn sie praktisch infrage gestellt worden sind, mit Gewalt aufrecht. Wenn wir von sozialen Formen sprechen, dann haben die auch einen Inhalt, und der ist im Kapitalismus letztlich die Herrschaft von Menschen über Menschen. Auch dieser Inhalt wird als „natürlich“ angesehen, nicht nur seine spezifischen Formen. Auch wenn der eine Aufstand nicht ausreicht – aufständisches Denken und Handeln halte ich dennoch für sehr wichtig, um überhaupt mal diese „Natürlichkeit“ aufzulösen.

Exklusionslogik und Herrschaft

Stefan: Aus meiner Sicht liegt das Problem noch tiefer. Wir leben ja nicht mehr im Feudalismus, wo tatsächlich und unmittelbar Menschen über Menschen herrschten. Re-Feudalisierungen lasse ich mal außen vor. Heute läuft das vermittelter, wobei der Inhalt in der verselbstständigten Verwertungslogik des Kapitals besteht: Aus Geld muss mehr Geld werden. Diese Logik des „ich muss mich rechnen“ ist das, was als „natürlich“ empfunden wird, oder zumindest als alternativlos. Allerdings ist es richtig, dass sich innerhalb dieser Logik, wo sich strukturell die Einen immer auf Kosten von Anderen durchsetzen müssen, gerade jene Menschen austoben können, die die Exklusions-Logik verinnerlicht haben und gleichzeitig über Machtmittel verfügen. Diese Erscheinungen würde ich allerdings nicht zur eigentlichen Ursache erklären.

Vielleicht ist das der Grund, warum ich mit dem bloßen Aufstand so meine Probleme habe. Was ist denn der Inhalt des aufständigen Denkens und Handelns? Ein Aufstand hat eine sehr kurze Reichweite, wenn er der Verwertungslogik keinen eigenen Inhalt entgegensetzen kann, wenn er also keine Vorstellung davon hat, wie die Lebensbedingungen jenseits des Sich-rechnen-müssens so geschaffen werden, dass alle gut leben können. Da reicht es nicht aus, einfach nur eine Umverteilung zu fordern, weil diese die Verwertungslogik nicht antastet. Grundsätzlich spricht nichts gegen Aufstände und Umverteilungen, aber für eine Lösung reichen sie nicht hin. Meine Kernfrage ist demzufolge: Was ist unser eigener Inhalt?

Andreas: Nun, wenn man sich ansieht, wie der Kapitalismus funktioniert, dann sieht man in der Tat, dass hier ganz konkrete Menschen über Menschen herrschen: im Betrieb, im Staat, in der Familie etc. Das ist aus meiner Sicht genau die Exklusions-Logik, von der du sprichst. Das Kapital ist der systematische Ausschluss der meisten Menschen von der Verfügung über Produktionsmittel, Maschinen, Gebäude, Rohstoffe, Land etc. Dieser Ausschluss nimmt die Form von Geld an und wird mit Gewalt gesichert, das Kapital ist eine bestimmte Form von Herrschaft. Herrschaft ist so gesehen kein Austoben, sondern steckt schon in der Geldform und im Kapital drinnen.

Richtig ist, dass diese Herrschaft den Beherrschten nicht immer einsichtig ist und auch den Herrschern nicht in allen Aspekten. Darüberhinaus kontrollieren die Herrschenden nicht das Gesamtsystem, in dessen Formen sie ihre Herrschaft ausüben. Das war aber auch im Feudalismus so. Die Ausübung von Herrschaft ist, so denke ich, generell nicht das Ergebnis eines sich selbst einsichtigen und souveränen Bemühens, sondern eine Form der Ohnmacht, des Unterworfenseins: Der Herrschende glaubt Stärke, Autonomie aus der Dominanz über andere zu gewinnen, diese vermeintliche Autonomie unterliegt aber dem Zwang, andere zu kontrollieren.

Den eigentlichen Unterschied zwischen dem Feudalismus und dem Kapitalismus sehe ich nicht in der Unpersönlichkeit von Herrschaft. Um ein Beispiel zu nehmen: Die Kirche agierte ihrer Ideologie gemäß nicht als eigenständige Institution, sondern als eine Einrichtung Gottes. Der Adlige war von Bluts wegen von der Bäuerin unterschieden, er agierte als Verkörperung einer Abstammungslinie. Die feudale Herrschaft war so gesehen ebenso fetischisiert, wenn man so will unpersönlich, wie die kapitalistische, aber auf eine andere Art. Die für beide Gesellschaftsordnungen notwendige Gewaltausübung ist jedoch letztlich immer persönlich.

Ein wichtiger Unterschied scheint mir vielmehr darin zu liegen, dass im Kapitalismus die relative Freiheit der Herrschenden durch die Geldform (den Markt) geprägt und limitiert ist. Die Marktkonkurrenz und der Klassenkampf zwingen sie dazu, einen großen Teil des Mehrprodukts, das sie sich aneignen, zu investieren. Zugleich erlaubt es die von den Produktionsmitteln getrennte Arbeitskraft, die Investitionen dazu zu nutzen, Arbeitskräfte durch Maschinen zu ersetzen und das Mehrprodukt zu vergrößern. Allerdings sollten wir die Freiheit der Feudalherrscher auch nicht zu hoch veranschlagen.

Die gesellschaftliche Substanz des abstrakten ökonomischen Werts, der sich im Geld ausdrückt, ist die abstrakte Arbeit, jene Tätigkeit also, die dem Kommando der Kapitalisten unterworfen ist, sich gegen Kapital austauscht. Gerade der uneingeschränkte Geltungscharakter dieses Kommandos über den Menschen, das Faktum, dass im Kapitalismus die Herrschaft eine von konkreten Bestimmungen abgelöste Form erhalten hat, ist das Wesen des Geld-Werts.

Wenn der Inhalt der sozialen Formen des Kapitalismus – und soziale Formen sind immer unpersönlich – die Herrschaft von Menschen über Menschen ist, dann muss unser eigener Inhalt der einer egalitären, kommunitären Beziehung von Menschen mit Menschen sein. So gesehen stellt sich das Problem nicht allein in der Weise, dass wir bloß eine neue Form der Vermittlung unseres gesellschaftlichen Stoffwechsels finden müssen. Der Kapitalismus ist etwas anderes als nur eine missglückte Art, den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur zu regulieren.

Allerdings muss dieser Stoffwechsel in der Tat reguliert werden – und zwar ohne Herrschaft. Das „Nein!“ eines fortgesetzten aufständischen Denkens und Handelns lässt sich nicht beirren, es verweigert sich der Logik des Sich-Rechnens und erschöpft sich nicht in Umverteilung. Aus dem „Nein!“ muss freilich ein „Ja“ erwachsen. Da bin ich ganz bei dir. Wo dieses „Ja“ anknüpfen kann, und was es eigentlich will, wird nach und zugleich mit dem „Nein!“ entscheidend.

[→Teil 2]

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

Konkurrieren — Kooperieren — Auskooperieren

[(Teil-)Beitrag zu dem neuen Commons-Buch (Commons – Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Hg. Silke Helfrich/Heinrich-Böll-Stiftung); Lizenz: CC BY-SA. Beide Teile gibt's in einem PDF.]

Commons funktionieren anders als Unternehmen, die auf dem Markt um An­teile konkurrieren. Nur selten gelingt es diesen, der Verdrängungskonkurrenz durch Schaffung neuer Märkte aus dem Weg zu gehen. Die Marktlogik besagt: Verdränge oder du wirst verdrängt. Konkurrenz ist nicht ursächlich das Resul­tat von Gier oder bösem Willen, sondern sie ist ein objektiver Effekt dieser Logik.

Am anderen Ende des Spektrums steht die Kooperation. Kooperation bedeutet, sich zusammenzuschließen, um gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten. Sie ist ein Wesensmerkmal menschlicher produktiver Tätigkeit und die Grundlage von Commons.

Kooperation ist kein Gegensatz zur Konkurrenz. Auch Unternehmen organisie­ren Kooperation im Innern, da ihre Produkte sonst niemals entstehen könnten. Sie kooperieren aber auch nach außen, indem sie sich mit anderen Unterneh­men zusammenschließen, um gemeinsam schlagkräftiger zu sein. Kooperation bei Unternehmen ist also die Voraussetzung von Konkurrenz, nicht ihr Gegen­teil.

Commons hingegen kooperieren, um zu kooperieren. Kooperation ist gewis­sermaßen Mittel und Ziel in einem. In der Kooperation werden zwei Dinge erzeugt: die sozialen Strukturen und Praktiken (»Commoning«) und die Pro­dukte – welcher Art auch immer. Kurz: Kooperation erzeugt Kooperation und Nützliches.

Bei Commons gibt es keinen großen Antrieb, zu anderen in Konkurrenz zu treten. Im Gegenteil: Wenn die selbst gegebenen Regeln nicht stark genug sind und sich Konkurrenz einschleicht, bedroht das die Commons. Besonders deut­lich ist dies bei rivalen Ressourcen und Gütern. Zweigt etwa ein Teilnehmer mehr Wasser ab als verabredet, kann dies andere dazu verleiten, sich ebenfalls »ihren Anteil« zu sichern. Die jeweils anderen werden zu Konkurrenten, und am Ende verlieren alle. Etwas anders sieht es bei nichtrivalen Ressourcen aus. Hier kann es durchaus parallele Projekte geben, die das gleiche Ziel verfolgen.

Doch auch diese Parallelität ist keine Konkurrenz im herkömmlichen Sinne, da es nicht darum geht, das jeweils andere Projekt zu verdrängen. Der eigene Er­folg hängt nicht vom Misserfolg des »Konkurrenten« ab. Vielmehr ist niemand daran gehindert, die Ergebnisse des anderen zu übernehmen. Die Beziehungen zwischen den »Konkurrenten« sind also kooperativer Natur.

Das war die Sicht nach innen oder zwischen Commons-Projekten. Nach»außen«, zu parallelen Entwicklungen auf dem Mark, ist die Sache kompli­zierter. Hier ist die Perspektive entscheidend. Aus der Sicht des kommerziellen Marktteilnehmers ist ein Commons-Projekt ein echter Konkurrent, wenn dieser den eigenen Marktanteil schmälert. So hat die Firma Brockhaus ihren Markt­anteil fast komplett an Wikipedia verloren. Aus Sicht des Commons-Projekts ist der kommerzielle Marktteilnehmer dann neutral, wenn dieser den Commons nicht die Ressourcen entzieht. Die eigenen Aktivitäten richten sich nicht darauf, den kommerziellen Konkurrenten zu verdrängen, sondern darauf, dass sich das eigene Projekt gut entwickelt. Dabei kann ein Commons-Projekt die kommer­zielle Konkurrenz auch auskooperieren. Dies geschieht immer dann, wenn Com­mons tatsächlich besser sind als die kommerziellen Anbieter, wobei »besser« sich an den Bedürfnissen der Nutzer und den Motiven der Produzenten be­misst. Wikipedia hat die unfreien Enzyklopädien nicht nur deshalb auskoope­riert, weil sie aktueller und frei zugreifbar ist, sondern auch weil Interessierte mitarbeiten können. Das ist im kommerziellen Produktionsmodell mit seiner Trennung von Produzenten und Konsumenten nicht vorgesehen.

Konkurrenz und Kooperation sind zunächst einmal kein Gegensatz. Konkur­renz braucht unabdingbar die Kooperation, aber eine Kooperation kann auch gut ohne Konkurrenz auskommen.

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

Kapitalismus der Dinge

Für mich waren die Commons in vielerlei Hinsicht eine Erleuchtung. Wenn Commons nicht bloß eine »Sache« ist, sondern vor allen die soziale Art und Weise, eine »Sache« herzustellen und zu erhalten, dann gilt das auch für die kapitalistische Elementareinheit, die Ware. Auch die Ware liegt nicht bloß im Regal und wartet darauf gekauft zu werden, sondern sie steht für die soziale Beziehung, die erforderlich ist, sie herzustellen (um Erhalten geht es selten).

Wenn das so ist, dann müsste man die »Sozialität« den Waren oder den Commons als Sachen auch ansehen. Sie müssten die sozialen Beziehungen, die »in sie geflossen sind« auch in ihrer Gestalt zeigen, dachte ich mir. Es ist so. Auf drastische Weise zeigt das der Film Behind the Screen.

Wieso soll man den Handy- und Computer-Waren ihre »Sozialität« ansehen, sie sehen doch im allgemeinen ganz schick aus, oder? Eben. So wie über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen der Mantel des Schweigens gedeckt wird, erhält die Ware eine schickes Outfit. Do not open!  Nicht hingucken und nicht reingucken.

Was man sieht, wenn man mal hinguckt

… davon handelt der Film Behind the Screen. Er zeigt die zwei Seiten der Warenproduktion: vor der Nutzung durch einen Käufer und danach. Vor der Nutzung geht es um werbewirksame Leistung und Outfit. Für Handys und Computer werden weltweit seltene Rohstoffe eingekauft, die unter für Mensch und Umwelt unvollstellbar zerstörerischen Methoden gewonnen werden. Der Zusammenbau erfolgt in abgeschotteten Fabriken, die nur dann Schlagzeilen machen, wenn die Selbstmordrate der Arbeiterinnen ein gewisses Maß überschreitet.

Und schließlich das Ende der Waren. Ungefähr drei Viertel des Elektronikschrotts landet im Süden — deklariert als Gebrauchtgeräte, denn Müllexport ist verboten. Kinder brennen aus dem Schrott einige Metalle heraus, Kupfer und anderes, und setzen dabei Gifte frei, die sie töten werden: »Eine Menge der Kinder, die hier arbeiten, werden ihren 20. Geburtstag wohl nicht erleben«. Auch das zeigt der Film.

Was man sieht, wenn man reinguckt

… dazu muss man schon den eigenen Blick schärfen. Sieht ja alles so schick aus, auch unter der Haube. Doch was sehen wir dort: Extrem hohe Integration der kleinsten Bauteile. Die Ware ist ein monolithischer Klotz. Unreparierbar mit in der Regel inkompatiblen Komponenten, sobald man die Grenzen des Geräts verlässt, und das soll auch so sein. Neukaufen bringt Profit, nicht selbst reparieren. Modularität, Kompatiblität, Interkonnektivität, Langlebigkeit, Wiederverwendbarkeit, Recyclebarkeit sind Fremdworte.

Ökonomen nennen die gemacht-unerwünschten Effekte Externalitäten. In Wikipedia-Worten sind es die »unkompensierten Auswirkungen ökonomischer Entscheidungen auf unbeteiligte Marktteilnehmer«. Unkompensiert, eine Verniedlichung, die das gängige Denkmuster zeigt. Denn wäre durch Kompensation etwas gewonnen? Wenn die Umwelt bereits zerstört ist und die Menschen schwer erkrankt oder gestorben sind? Sicher könnte man etwas »ausbessern« und »helfen«, im Nachhinein, aber eine Lösung wäre das nicht, eher eine Befestigung des schlechten Zustands.

Eine Lösung braucht eine neue Produktionsweise. Doch dieser Gedanke liegt völlig ausserhalb des ökonomischen Denkens. Wie eine Produktionsweise ohne destruktive Externalitäten aussehen kann, habe ich anderswo vorgestellt.

Für mich haben die Commons einen wichtigen Beitrag geleistet, um zu verstehen, dass es nicht reicht, innerhalb der bestehenden Produktionsweise andere Waren herzustellen, sondern dass die Produktion von Waren selbst das Problem ist. Warenproduktion ist nicht neutral, sondern sie verkörpert im unmittelbaren stofflichen Sinne — in den Produktionsmitteln und den Produkten — wozu sie dient: aus Geld mehr Geld zu machen. Der Film Behind the Screen liefert das (unkommentierte) Anschauungsmaterial.

Warenproduktion ist getrennte Privatproduktion. Diese Trennung erzeugt die Externalitäten, unter denen wir letztlich alle leiden (unbesehen der erheblichen Unterschiede). Commons bedeuteten im Kern Aufhebung der Trennung und Vermittlung der unterschiedlichen Bedürfnisse bevor produziert wird. Das ist ein Unterschied ums Ganze. Diese Potenz der Commons gilt es allerdings erst noch zu entfalten, aber sie wird auch weltweit immer mehr erkannt.

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

Entmonetarisierte Landnutzung konkret – Solidarische Landwirtschaft 2.0

Eine gekürzte Version dieses Artikels erschien in der aktuellen Streifzüge. Hier nun bei Keimform in ganzer Länge und in Farbe.

Warum Entmonetarisierung?

Warum eine Entmonetarisierung der Landnutzung Not tut, sollte hinlänglich bekannt sein. Wir müssen das agrarpolitische Desaster auf den Äckern schließlich tagtäglich mit ansehen. Mit Entmonetarisierung meine ich hier die landwirtschaftliche Produktion unabhängiger von Geld oder anderen Tauschmitteln und ihrer eigenen Logik zu organisieren.

In unserer Praxis der Solidarischen Landwirtschaft organisieren 5 Gärtner_Innen und andere „Tätige“ die Gemüseproduktion für sich und 60 weitere Menschen, nach dem Leitsatz: Jede_r gibt nach seinen_ihren Fähigkeiten und bekommt nach seine_ihren Bedürfnissen. Das seit eineinhalb Jahren bestehende Experiment wurde in der letzten Ausgabe der Streifzüge reflektiert. Seine Praxis trägt zwar zur Überwindung einiger kapitalistische Prinzipien bei. Ein Schlüsselelement darin bleibt aber (paradoxerweise?) die freiwillige Beitragsfinanzierung zur Deckung der gärtnerischen Produktionskosten (Budget). Eine wertfreie Halbinsel also, die doch auf dem Meer der Verwertung schwimmt und ohne das sie untergehen würde?

An der Frage setzt dieser Artikel an und möchte Möglichkeiten und Grenzen unserer Praxis im Hinblick auf eine Entmonetarsierung der Landwirtschaft im Allgemeinen untersuchen. Ziel der Übung wäre eine schrittweise Verringerung der Budgethöhe durch direkte Bedürfnisbefriedigung ohne den Umweg des Geldes. Als Konsequenz würden die finanziellen Möglichkeiten der Beitragenden (diejenigen die Geld, Ressourcen oder Fähigkeiten einbringen und nach Bedarf das Gemüse essen) weniger wichtig für das Gelingen des Projektes.

Wofür das Geld?

Im ersten Projektjahr gab es keine konkrete Zieldefinition. An dieser wurde nun gefeilt und die folgende Ziele in unserer Gruppenvereinbarung fest gehalten:

  • Die Befriedigung des Bedürfnisses nach ökologisch erzeugtem Gemüse aus Witzenhausen-Freudenthal aller Beteiligten im vereinbarten Zeitraum.
  • Die Befriedigung jener Bedürfnisse (auch finanzieller Art) die bei Personen dadurch entstehen, dass sie zum Erreichen des oben genannten Ziels tätig sind (z.B. die Gärtner_Innen).
  • Eine nicht-kommerzielle Befriedigung dieser Bedürfnisse wo immer möglich. Eine finanzielle / monetäre Befriedigung dieser Bedürfnisse wo immer nötig.

Die Losung zur Entmonetarisierung ist damit formuliert. Was aber sind die finanziellen Bedürfnisse des Projektes? Prinzipiell ist das der finanzielle Bedarf der im Projekt Tätigen (diejenigen die die Produktion, Logistik etc. so umfänglich organisieren, dass sie dafür bisher einen“Lohn“ brauchen), laufende Produktionskosten und Investitionen. Wie und durch wen dieser Bedarf nicht-monetär gedeckt werden könnten, darum soll es im folgenden gehen.

Möglichkeiten der Entmonetarisierung

Freiwillige Einfachheit und Quersubventionierung

Ein Ansatz zur Entmonetarisierung wäre ein Alltag in freiwilliger Einfachheit der im Projekt Tätigen: Also ein undogmatischer Versuch aus einem politische Anspruch heraus möglichst wenig zu konsumieren und Geld auszugeben ohne die eigene, persönliche Lebensqualität zu mindern: Containern, trampen, couchsurfen, oder gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgegenständen…  Direkte Konsequenz: Weniger finanzieller Bedarf. Ein erster pragmatischer, individueller; kein oder nur teilweise transformatorischer Ansatz zur Entmonetarisierung.

Eine andere praktizierte Alternative ist es seine Tätigkeit im Projekt mit anderen monetäre Einkommen quer zu subventionieren die die Selbstbestimmung der eigenen Wahrnehmung nach wenig beschneiden: Von gut bezahlter, teilzeitiger Lohnarbeit über staatliche Transferleistungen, familiäre Unterstützung oder Vermögen bis Fundraising fürs Projekt und gemeinsame Kasse mit anderen Menschen kann das alles sein. All das kann für die Einzelnen sinnvoll sein. Solange diese Gelder allerdings zur Deckung laufend anfallender Kosten genutzt werden ist eine nachhaltige Entmonetarisierung nicht gewährleistet, sondern vielmehr eine Freistellung der Landnutzung auf Kosten andere monetarisierte Gesellschaftsbereiche. Flössen diese Mittel in bestimmte Investitionen (s.u.) sähe es vielleicht anders aus.

Direkte Bedürfnisbefriedigung der Tätigen durch unterstützende Netzwerke

Eine erste Voraussetzung um Bedürfnisse direkt zu befriedigen ist es, diese transparent zu machen. Zwar ist es oft selbsterklärend, dass die Bedürfnisse hinter finanziellen Bedarfen so Dinge wie  Mobilität, Wohnung, Essen, Heizung, Kommunikation usw. sind. Aber oft wird ohne diese Bewusstmachung gar nicht erst über Alternativen zum Kauf nachgedacht.

Diese direkte Bedürfnisbefriedigung kann nun jeweils auf zwei Ebenen abgedeckt werden. Nämlich durch Fähigkeiten oder Ressourcen innerhalb oder außerhalb des Projektes. Um das zu veranschaulichen ein paar Beispiele:

Bedürfnis der Tätigen nach …

  • Raum zum Wohnen oder als Verteilpunkt für Gemüse: Entweder der gewünschte Raum (Hof, Wohnung, Bauwägen / Garage, Innenhof) wird den Tätigen durch Unterstützer_Innen günstig oder mietfrei zur Verfügung gestellt. Oder die Tätigen suchen sich entmonetarisierten Wohnraum in anderen Zusammenhängen (z.B. Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit)
  • weiteren Nahrungsmitteln: Die Produktionspalette wird im Projekt oder durch Integration anderer Höfe ins Projekt ausgeweitet oder die Tätigen nutzen andere Projekte Solidarischer Landwirtschaft.
  • …  Entspannung und Gesundheit: Entweder es gibt Ärzt_Innen und Masseur_Innen im Netzwerk die ihre Leistungen kostengünstig oder gar frei zur Verfügung stellen oder die Tätigen nutzen anderen Solidargemeinschaften (Skillsharing-Netzwerke / Artabana).
  • Gebrauchgegenständen (privat oder für den Produktionsprozess): Entweder Leute aus der Projektgruppe (Tätige plus Beitragende) stellen das Notwendige zur Verfügung (z.B. ein Auto) oder es gibt einen regionalen Ressourcen-Pool (Menschen teilen ihre Dinge) außerhalb des Projektes durch das die Dinge nutzbar sind.
  • Wartung und Reparatur der Produktionsmittel: Entweder eine Arbeitsgruppe in der Projektgruppe mit entsprechenden Fähigkeiten kümmert sich darum oder es wird wiederum das regionale Skillsharing-Netzwerk (Menschen teilen ihre Fähigkeiten) bemüht.

Um die Bedürfnisbefriedigung innerhalb zu gewährleisten braucht es auf der Beitrags-Seite Transparenz. In unseren diesjährigen Vereinbarungen konnten Menschen daher nicht nur finanzielle Beiträge sondern auch ihre Fähigkeiten und Ressourcen zusichern. Auf dieser Grundlage können dann Arbeitsgruppen innerhalb der Projektgruppe gebildet werden (z.B. AG Reparatur und Wartung).

Muss auf Strukturen und Netzwerken außerhalb der Projektgruppe zugegriffen werden stellt sich die Frage ob diese vorhanden sind. Wenn ja braucht es eventuell eine Arbeitsgruppe die eine Zusammenarbeit bzw. -führung organisiert. Wenn nein bräuchte es Menschen die diese aufbauen. Hier könnte eine erste Grenze liegen: Fehlende Kapazitäten in der Region. Aber dazu später mehr.

Verringerung der Produktionskosten durch Aufbau von autonomer Infrastruktur

Ein weiterführender Schritt zu Entmonetarisierung wäre dann der Aufbau von autonomer Infrastruktur um den Produktionsprozess vom fossilistisch-kapitalistischen System abzukoppeln und private Ressourcen nicht nur zu Teilen sondern zu Kollektivieren. Das Ziel wäre daher eine solare, sich selbst-erhaltenden Produktion. Auch hierfür einige Beispiele:

Infrastruktur für …

  • eigene Saatgutproduktion: (Nahrungs- sowie Gründüngungskulturen): Eigene Drescher, Trocknung, Reinigung und Aufbewahrungsmöglichkeiten.
  • eigene Düngerproduktion: Ergänzend zur Gründüngung, hygenisierte Rückführung der menschlichen Ausscheidungen durch Fermentierung, Kompostierung.
  • eigene Treibstoffe: Ölmühlen und Biogasanlagen für umgerüstete Fahrzeuge.
  • eigene Räumlichkeiten: Freikauf von Hof, Hallen, Scheunen, Verteilpunkten usw.
  • eigene Fahrzeuge: Kollektive Nutzung von Fahrzeugen und deren Umrüstung auf Biotreibstoffe aus der Region organisieren.
  • eigene Werkstätten: Um Werkzeug nicht zur zu teilen sondern zu kollektivieren bzw. einen Ort der gemeinsamen Nutzung zu haben.
  • eigene Strom und Wärme: Kraft-Wärme-Kopplung auf Biomasse-Basis oder Solarthermie.
  • eigenes Wasser: Brunnen und ökologisches Abwassersystem

Ähnliche Strukturen (Maschinenring, Carsharing, Biogastankstellen, Energiegenossenschaften etc.) existieren; aber nicht in einer kollektiven, nicht-kommerziellen Form sondern als marktförmige Unternehmen. Dem würden eine Form entgegen stehen, die das Privateigentum unschädlich macht indem die Infrastruktur an eine Rechtsform übergeben wird, die eine bestimmte, nicht-kommerzielle Nutzung auf Dauer festschreibt. Eine Beteiligung an den erwähnten, bestehenden Angebote ist zwar unbedingt sinnvoll aber ein Dialog über eine eventuelle Entmonetarisierung genauso notwendig.

Für den Aufbau einer entsprechender Infrastruktur bedarf es, so sie nicht in der Projekgruppe oder über andere Netzwerken beschaffbar ist, Kapital. Dieses kann ebenso entweder innerhalb des Projektes durch finanzielle Beteiligungen für Investitionen mobilisiert werden oder durch eine Kampagne außerhalb um Kapital für diese Idee anzuziehen. Überlegenswert ist die Schaffung eines überregionalen Fonds in denen wohlgesinnte und gleichzeitig wohlhabende Unterstützer_Innen einen sicheren Hafen für ihr sich immer weiter entwertendes Kapital finden könnten. Schließlich gibt es hier handfeste Gegenwerte; allerdings ohne oder mit nur minimaler Rendite. Trotzdem könnte es den Zeitgeist bürgerlicher Unsicherheit treffen.

Probleme auf dem Weg dieser Entmonetarisierung

Soweit, so gut. Aber so einfach wird es dann wahrscheinlich doch nicht. Auf einige mögliche Schwierigkeiten während dieses Prozesses lässt sich jetzt schon hinweisen.

Erstens ist und bleibt Geld extrem praktikabel. Als Äquivalent und Tauschmittel für Alles auf dem extrem diversen Warenmarkt lässt sich mit ihm ein Bedürfnis sehr exakt befriedigen. Es bleibt auszuprobieren ob wir auch nicht-monetär genau das bekommen was wir brauchen.

Zweitens und damit verbunden, ist das Problem einer mangelhaften Bedürfnisbefriedigung bei der Fixierung auf den nicht-monetären Weg. Das Ausbluten einzelner wegen der daraus entstehenden Unzufriedenheit bedarf einer extrem guten Selbstkenntnis und Ehrlichkeit seiner eigenen Bedürfnisse gegenüber.

Drittens bleibt ein begrenzender Faktor, selbst wenn alle Ressourcen, Fähigkeiten, alles Kapital und alle Infrastruktur vorhanden ist. Dieser lautet: Zeit. Zeit der Einzelnen, um im Projekt tätig zu sein und all die aufgezählten, Netzwerke, Infrastrukturen usw. aufrecht zu halten. Diese Zeit ist nur vorhanden wenn in nicht-monetären Strukturen die Existenz und Selbstverwirklichung der Einzelnen gesichert und wenig Zeit für Lohnarbeit oder andere Maßnahmen der Geldbeschaffung nötig sind.

Viertens stellt sich die Frage warum diese Trennung von „innerhalb“ und „außerhalb“ des Projektes überhaupt gemacht wird. Wäre es nicht sinnvoller keine klaren Grenzen zu ziehen und sich als ein großes Netzwerk zu begreifen?

Nun, eine Unterteilung in Kleinprojekte macht aus zweierlei Gründen Sinn: Erstens braucht es Verbindlichkeit, Verantwortung und Vertrauen. Große, zwangläufig anonyme und stark fluktuierende Strukturen schaffen dies nicht. Zweitens würde eine große Struktur die all die oben genannten Initiativen umfasst den Einzelnen mit Überforderung erschlagen. Sinnvoller scheint daher der nachhaltige Aufbau der verschiedenen kleinen Teilprojekte die langsam wachsen, sich notwendigerweise mit anderen Initiativen vernetzen und dann potentiell zusammenfließen können.

Fünftens und letztens bleiben bestimmte Bereiche schwieriger selbst organisierbar. Eine nicht-monetäre Alternative zu Versicherungen beispielsweise wäre nur ein Vertrauen in unterstützende Netzwerke. Des weiteren gibt es Maschinen und Technik die einer globalen Produktionskette bedürfen und deren selbstorganisierte Machbarkeit in nicht-kommerziellen Strukturen fragwürdig bleibt.

In diesem Sinne: Spannen wir Brücken zwischen den Halbinseln und schreiten wir fragend voran …

Beispiele für …

From: keimform.deBy: Jan-Hendrik CroppComments

In what sense are markets “totalitarian”?

Peers support each other[Previous article in series: Why not just pay someone when needed?]

Michel Bauwens challenged my claim that markets are totalitarian:

well, this is absolutely factually and historically incorrect … even in tribal times, there have always been a multitude of exchange and reciprocity mechanisms, except for perhaps really small bands who had no contact with outsiders […]. market mechanisms were used with strangers and enemies in tribal societies …

Which however missed the point of my remark, since actually I had written:

Market production is totalitarian: if some goods (e.g. health care in your example) are only available on the market (by paying for them), then everybody must remain a market producer (engaging in some form of paid work or else living from the work of others), since otherwise how would they get the necessary money?

Clearly, reciprocity (possibly in the form of generalized reciprocity) exists in every society, as I pointed out before. And if “exchange” means relations of the form “if you do/give me this, I’ll do/give you that” (e.g. a little boy saying to a little girl [or vice versa]: “show me yours and I’ll show you mine”), then exchange will also exist in any society. That’s uncontroversial, and pretty uninteresting.

If we want to learn something about specific forms of society, we have to be more specific. Modern market-based societies have the following traits, which I would consider as necessary when we want to reasonably talk about “market production” (as opposed to: some other form of production, in which markets might have played a side rule):

  1. Most people’s livelihood depends on their being able to acquire goods on the market. (As I said above: some goods [that are essential for people’s survival] are only available on the market.)
  2. Most people are free to sell their own labor power, as well as the results of their labor. (In other words: there is a job market.)

In tribal, feudal, and most other non-capitalist societies, neither of these conditions was true. Maybe a whole tribe actually needed exchange with outsiders to get what they couldn’t produce themselves, but people’s individual survival depended first and foremost on the tribe. Likewise in feudalism, different manors might have needed trade, but the survival of individual serfs depended on their own subsistence production and the protection they received from their lord of the manor. Also, serfs might have had the right to sell surplus produce on the market, but they certainly had no right to sell their labor power. And tribe members wouldn’t have been able to sell their labor power without leaving the tribe, probably forever.

So whenever we look at a society, whether real or imaginary, we have to ask whether these two conditions, especially the first one, hold. (Obviously, if the first condition was true but not the second – you need access to the market to buy necessary goods, but you have nothing to sell – only misery would result. Indeed that’s the situation of a majority of the world’s people today: while nominally free to sell their labor power, they cannot find a capitalist interested in buying it, and they lack the means to successfully run their own business.)

I predict that whenever these conditions are true, the resulting society will look pretty similar to what we have today, since the basics of market competition are then in effect. (You are forced to out-compete others in order to successfully sell your labor power or some other goods; you can grow your market niche and possibly expand your market share [thus increasing your likelihood of long-term economic success] by destroying non-market access to the goods you would like to sell; etc.)

And yet people tell me we can get out of capitalism without overcoming condition 1, people’s dependence on the market. I won’t believe that for a second.

From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Diskursfigur 4: Jenseits des Geldes

Das ist Teil 4 einer Serie wöchentlich erscheinender Artikel, deren englische Fassung im Journal of Peer Production erscheinen soll. In den Artikeln versuche ich zehn Diskursfiguren zu beschreiben, wie sie im Oekonux-Projekt in über zehn Jahren der Analyse Freier Software und commons-basierter Peer-Produktion entwickelt wurden. Mehr zum Hintergrund im einleitenden Teil. Bisher erschienene Teile: 1, 2, 3.

Diskursfigur 4: Jenseits des Geldes

[English]

Da Geld nur im Zusammenhang mit Waren einen Sinn ergibt, bedeutet das Nicht-Ware-Sein (vgl. Diskursfigur 3), dass es hier nicht um Geld geht. Freie Software ist daher jenseits des Geldes. Auf der anderen Seite gibt es offensichtlich eine Menge Geld im Umfeld der Freien Software: Entwickler_innen werden bezahlt, Unternehmen geben Geld aus, neue Unternehmen entstehen rund um Freie Software. Das hat viele Menschen verwirrt, insbesondere auf der Linken. Sie sind einem Entweder-Oder-Denken verhaftet und nicht in der Lage, diese Beobachtungen als widerspruchsvollen Prozess paralleler Entwicklungen in einer Periode des Übergangs zu begreifen (vgl. Diskursfigur 10).

Geld ist kein neutrales Mittel, Geld kann in unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen vorkommen. Es kann Lohn, Investition (Kapital), Profit, Bargeld usw. sein. Verschiedene Funktionen müssen unterschiedlich analysiert werden. In Freier Software gibt es keine Warenform, Geld im engeren Sinne des Verkaufs einer Ware zu einem Preis existiert nicht. Eric Raymond hat erklärt, wie man mit einer Nicht-Ware trotzdem Geld verdienen kann: indem man sie mit einem knappen Gut kombiniert. In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der nur wenige Güter aus dem Warenreich ausbrechen, existieren die meisten Güter weiterhin als Waren. Sie werden knapp gehalten und mit kostenlosen Gütern kombiniert. Aus der Sicht der Verwertung ist das nichts Neues (z.B. Geschenke verteilen, um Kunden zu gewinnen). In der Keimform-Perspektive beginnt hier die Entwicklung einer neuen Produktionsweise innerhalb des bestehenden alten Modells.

Aber warum geben Unternehmen Geld, wenn das Geld keine Investition im traditionellen Sinne ist, sondern eine Art Spende, z.B. durch Bezahlung von Entwickler_innen Freier Software? Warum hat IBM eine Milliarde Dollar in die Freie Software gesteckt? Weil sie sich dazu gezwungen sahen. Ökonomisch ausgedrückt mussten sie ein Geschäftsfeld entwerten, um andere profitable Geschäftsfelder zu sichern. Sie mussten Geld verbrennen, um eine teure Infrastruktur für ihre anderen Verkäufe zu schaffen (z.B. Server-Hardware). So wie die Einhegung der Commons eine Voraussetzung für den Kapitalismus ist, gilt das Umgekehrte genauso. Wenn sich die Commons in einen Bereich ausdehnen, der bisher von Waren dominiert war, dann bedeutet das ihre Ersetzung durch freie Güter.

Es geht jedoch in den »vier Freiheiten« Freier Software – nutzen, studieren, ändern, verbreiten – (Free Software Foundation, 1996) nicht um »frei« im Sinne von »kostenlos«. Der Slogan »frei wie in Freiheit, nicht wie in Freibier« ist legendär. Das ist auch völlig in Ordnung und widerspricht nicht dem Diktum »jenseits des Geldes«, da es in den vier Freiheiten gar nicht um Geld geht. In den vier Freiheiten geht es um freie Verfügbarkeit und unbeschränkte Fülle. Die Abwesenheit von Geld ist nur ein indirekter Effekt. Reichlich vorhandene und daher nicht knappe Güter können keine Ware sein (vgl. Diskursfigur 2), und mit ihnen kann man auch kein Geld verdienen. Das Geldverdienen als solches ist jedoch nicht verboten.

Es gab viele Versuche, die nicht-tauschende, nicht-warenförmige, commons-basierte freie Zirkulation Freier Software in das traditionelle Paradigma, das auf Tausch und Ware basiert, zu integrieren. Der prominenteste Versuch war die »Aufmerksamkeitsökonomie«, die besagt, das die Produzenten nicht Güter, sondern Aufmerksamkeit austauschen (Goldhaber, 1997). Aufmerksamkeit sei die neue Währung. Das war jedoch nur ein verzweifelter Versuch, sich an die alten Begriffe zu klammern, der weder funktionierte, noch neue Einsichten lieferte und daher auch keine größere Relevanz hatte. Vielfältige andere Ansätze seien hier ausgeklammert.

Jenseits des Geldes zu sein resultiert direkt aus dem Nicht-Ware-Sein.

Diskursfigur 5: Jenseits der Arbeit

Literatur

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments

Why not just pay someone when needed?

Peers support each otherThis continues the discussion on required vs. facilitated reciprocity that took place on the jox mailing list. Michel Bauwens remained skeptical that stigmergic self-organization is the way to go; he inquired:

what makes you believe that faced with healthcare issues, I will find with certainty a right doctor and equipment willing to take care of me … since I’m facing this kind of issues right now as a peer producer without health insurance, I’d be more than happy to follow your instructions …

As I understand it, his reasoning goes like this:

  1. If I had enough money, then I could afford to pay for health insurance which would allow me to pay for any doctors I need (or I could just pay them directly).
  2. If doctors, like me, need to earn money, they’ll offer me (and everybody else who can afford it) their services in exchange for money, so I can find some suitable doctor willing to treat me if I can offer them my money.

These assumptions, while accurately reflecting the current situation, also indicate what’s wrong with it:

  • Everybody is forced to work, or at least to try to find (paid) work. Not only are people forced to work (or otherwise get income) in order to get the money that grands them access to the services provided by doctors (as well as to most other essential and nonessential goods which our society has to offer). But also, looking at the same problem from the other side, doctors must be forced to work, since otherwise they apparently wouldn’t offer the services we need, so our money wouldn’t do us any good here.
  • Since you must work, and everybody else must too, you are constantly forced to compete against others. You compete for paid work you could do; more general, you compete trying to sell commodities (your labor power is one of them) while others try the same. It may be less apparent that this situation will always produce winners (who find paid work) and losers (who don’t), since it might seem that there could miraculously be enough paid work for everybody, but such a scenario would indeed be “miraculous” and has always been very far from reality.
  • Additionally, in such a situation any peer production (generally unpaid, voluntary, self-organized) is the enemy of those whose livelihood depends on being paid for doing roughly the same. The livelihood of people working for Encyclopædia Britannica and Brockhaus has been endangered by Wikipedia, professional musicians’ livelihoods are endangered by all the free music that is shared (legally or illegally) on the Internet, journalists are endangered by blogs etc.
  • Moreover, automation now becomes your enemy rather than your friend. A lot of jobs have been made superfluous by computers and other machines. If one thinks (like me) that everything which people do should preferably be fun or satisfying for them, then automation of tasks that aren’t is a good thing. But if your livelihood depends on performing some more or less annoying and unpleasant job, then you won’t want it to be taken over by a computer or machine, even if you otherwise wouldn’t mind being rid of it.

Because of these conflicting tendencies, I don’t think that a long-term, more or less peaceful co-existence of peer production and market production is a credible scenario. Market production is totalitarian: if some goods (e.g. health care) are only available on the market (by paying for them), then everybody must remain a market producer (engaging in some form of paid work or else living from the work of others), since how would they otherwise get the necessary money? The only conceivable exception is a market for luxury goods which nobody needs absolutely (i.e. not health care and other essentials).

What are the alternatives? Either turning peer production into a form of market production, yielding some income to those engaged in it. Then ultimately market production would win and the specific characteristics of peer production would be lost. You would have to compete against others in order to keep or gain market share. You would no longer work voluntarily since your income now depends on your continuing to work. You would be forced to keep some secrets from others to prevent them from competing effectively against you. And so on.

The better alternative is to make people’s dependency of income superfluous, so that nobody needs to find paid work in order to live a good life. This means finding answers to all the hard questions: “If we cannot pay doctors to care for us, how else do we get them to do it?” would be one of them. The basic form of the question is the same as in: “If we cannot pay people to write an encyclopedia for us, how else do we get them to do it?” That latter question has already been answered, though finding the right answer was far from easy.

The history of the Nupedia is an instructive example of the trial-and-error process that preceded the successful setup of the Wikipedia – trying to follow the processes of existing encyclopedias too closely was among the biggest sources of mistake, I believe. Similar trial-and-error processes will be needed for all other areas of life. I suppose that trying to follow the example of capitalist enterprises too closely will be a source of many other mistakes and that peer-produced health care, education, furniture production, computer manufacture, or whatever, will look more different from the currently used processes than we can imagine.

Meanwhile, for a long time we’ll remain in some kind of hybrid situation, where many people will be engaged in some kind of peer production, while still needing some kind of paid work (part-time maybe, like me) to get the money necessary to buy what peer production cannot yet provide.

From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Why not just pay someone when needed?

Peers support each otherThis continues the discussion on required vs. facilitated reciprocity that took place on the jox mailing list. Michel Bauwens remained skeptical that stigmergic self-organization is the way to go; he inquired:

what makes you believe that faced with healthcare issues, I will find with certainty a right doctor and equipment willing to take care of me … since I’m facing this kind of issues right now as a peer producer without health insurance, I’d be more than happy to follow your instructions …

As I understand it, his reasoning goes like this:

  1. If I had enough money, then I could afford to pay for health insurance which would allow me to pay for any doctors I need (or I could just pay them directly).
  2. If doctors, like me, need to earn money, they’ll offer me (and everybody else who can afford it) their services in exchange for money, so I can find some suitable doctor willing to treat me if I can offer them my money.

These assumptions, while accurately reflecting the current situation, also indicate what’s wrong with it:

  • Everybody is forced to work, or at least to try to find (paid) work. Not only are people forced to work (or otherwise get income) in order to get the money that grands them access to the services provided by doctors (as well as to most other essential and nonessential goods which our society has to offer). But also, looking at the same problem from the other side, doctors must be forced to work, since otherwise they apparently wouldn’t offer the services we need, so our money wouldn’t do us any good here.
  • Since you must work, and everybody else must too, you are constantly forced to compete against others. You compete for paid work you could do; more general, you compete trying to sell commodities (your labor power is one of them) while others try the same. It may be less apparent that this situation will always produce winners (who find paid work) and losers (who don’t), since it might seem that there could miraculously be enough paid work for everybody, but such a scenario would indeed be “miraculous” and has always been very far from reality.
  • Additionally, in such a situation any peer production (generally unpaid, voluntary, self-organized) is the enemy of those whose livelihood depends on being paid for doing roughly the same. The livelihood of people working for Encyclopædia Britannica and Brockhaus has been endangered by Wikipedia, professional musicians’ livelihoods are endangered by all the free music that is shared (legally or illegally) on the Internet, journalists are endangered by blogs etc.
  • Moreover, automation now becomes your enemy rather than your friend. A lot of jobs have been made superfluous by computers and other machines. If one thinks (like me) that everything which people do should preferably be fun or satisfying for them, then automation of tasks that aren’t is a good thing. But if your livelihood depends on performing some more or less annoying and unpleasant job, then you won’t want it to be taken over by a computer or machine, even if you otherwise wouldn’t mind being rid of it.

Because of these conflicting tendencies, I don’t think that a long-term, more or less peaceful co-existence of peer production and market production is a credible scenario. Market production is totalitarian: if some goods (e.g. health care) are only available on the market (by paying for them), then everybody must remain a market producer (engaging in some form of paid work or else living from the work of others), since how would they otherwise get the necessary money? The only conceivable exception is a market for luxury goods which nobody needs absolutely (i.e. not health care and other essentials).

What are the alternatives? Either turning peer production into a form of market production, yielding some income to those engaged in it. Then ultimately market production would win and the specific characteristics of peer production would be lost. You would have to compete against others in order to keep or gain market share. You would no longer work voluntarily since your income now depends on your continuing to work. You would be forced to keep some secrets from others to prevent them from competing effectively against you. And so on.

The better alternative is to make people’s dependency of income superfluous, so that nobody needs to find paid work in order to live a good life. This means finding answers to all the hard questions: “If we cannot pay doctors to care for us, how else do we get them to do it?” would be one of them. The basic form of the question is the same as in: “If we cannot pay people to write an encyclopedia for us, how else do we get them to do it?” That latter question has already been answered, though finding the right answer was far from easy.

The history of the Nupedia is an instructive example of the trial-and-error process that preceded the successful setup of the Wikipedia – trying to follow the processes of existing encyclopedias too closely was among the biggest sources of mistake, I believe. Similar trial-and-error processes will be needed for all other areas of life. I suppose that trying to follow the example of capitalist enterprises too closely will be a source of many other mistakes and that peer-produced health care, education, furniture production, computer manufacture, or whatever, will look more different from the currently used processes than we can imagine.

Meanwhile, for a long time we’ll remain in some kind of hybrid situation, where many people will be engaged in some kind of peer production, while still needing some kind of paid work (part-time maybe, like me) to get the money necessary to buy what peer production cannot yet provide.

[Next article in series: In what sense are markets “totalitarian”?]

From: keimform.deBy: Christian SiefkesComments

Demonetarisierung durch Entwarenformung

Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge.

Das Schlagwort von der Demonetarisierung ist ein neuer, schillernder Begriff im emanzipatorischen Diskurs. So ist es nicht verwunderlich, wenn sich schnell Missverständnisse und Abgründe auftun. Einige von ihnen sollen hier diskutiert werden.

Naiv-anekdotisch tritt manchmal die lustig gemeinte Forderung auf, alle mögen ad hoc ihre Geldbörsen leeren, worauf man gleich zur Demonetarisierung durch Verbrennen der Geldscheine schreiten könne. Mit diesem „Witz“ verwandt ist die durchaus ernsthaft gemeinte moralische Anforderung, Befürworter_innen der Demonetarisierung dürften nicht nach Einkommen streben. Auf diese Weise wird jedoch ein gesellschaftliches Struktur- in ein individuelles Verhaltensproblem umgedeutet. Geld als dingliche Inkarnation des sich gesellschaftlich konstituierenden Werts kann nicht individuell umgangen werden. Daher sind alle gezwungen, in irgendeiner Form nach Geld zu streben.

Eine verwandte Diskursfigur ist die des moralischen Rankings von Einkunftsquellen. Danach gilt die staatliche Alimentation als akzeptabel, die abhängige Beschäftigung als legitim, die selbstständige Tätigkeit als zweifelhaft und die unternehmerische Tätigkeit mit der Größe des Unternehmens als wachsend verwerflich. Hierbei wird oftmals nicht die konkrete Handlungsweise beurteilt, sondern die Position als solche. Die dabei implizit vorgenommene „Adelung“ von Armut wird nur noch getoppt durch die agitatorische Denunziation des „arbeitslosen“ Einkommens von Kapitalist_innen, die nahtlos anschlussfähig ist an reaktionäre Diskurse, welche sich dann allerdings gegen die Ärmsten richten. Der Klassenkampffetisch lässt grüßen.

Selbstverständlich gibt es Unterschiede im Gleichen. Das Gleiche ist die monetäre Strukturlogik der Warengesellschaft. Sie bestimmt den Rahmen, in dem sich alle bewegen. Unterschiedlich ist die Position, die im gleichen Funktionszusammenhang eingenommen wird – ob als erfolgreiche oder -lose Selbst- oder Fremdverwerter_innen von Arbeitskraft. Die Position und die relative monetäre Verfügungsmasse bestimmt die Größe des Raums der Handlungsmöglichkeiten. Strukturell nahegelegte Handlungsformen determinieren keineswegs das individuelle Tun, doch die Weigerung, sich auf Kosten von anderen zu behaupten, muss man sich auch „leisten“ können. So redet es sich auch leichter von Demonetarisierung mit einem wohlgefüllten Bankkonto im Hintergrund als auf der Rutschbahn von einem Dispokredit zum nächsten.

Dabei ist Demonetarisierung als Befreiungsprojekt gedacht, als allgemeine Befreiung von der Not, sich oder andere verwerten und „zu Geld machen“ zu müssen. Warum rutschen wir trotzdem so oft in die moralische Schlangengrube? Weil heute die Miete bezahlt werden will, so einfach ist das. Die alltägliche Bedrückung lähmt. Umso wichtiger ist es, dass wir dies in unseren Zusammenhängen nicht noch verlängern – ohne der Illusion zu erliegen, wir könnten die Bedrückung interpersonal aufheben. Zwar gibt es Einzelne, die ohne Geld über die Runden kommen, jedoch nur, weil andere dies nicht tun.

Eine weitere Denkfigur ist die der solidarischen Demonetarisierung. Danach sei es möglich, die monetäre Logik durch Entfernung und Ersetzung von Befehlshierarchien in Unternehmen zurückzudrängen. Krönung dieser Idee ist der selbstverwaltete und -geleitete Betrieb, etwa Genossenschaften. Zunächst ist auch hier die Nähe zu neoliberalen Diskursen auffällig, die Schlüsselworte heißen hier Verschlankung, Abflachung der Hierarchien, Verbetriebswirtschaftlichung des Handelns, Eigenverantwortung am Markt usw. Doch wie oben erklärt, gibt es immer Handlungsmöglichkeiten. Man kann sich der Logik des Marktes vollständig unterordnen – darauf zielen die liberalen Ideologeme – oder versuchen, eigene Bedürfnisse gegen die Logik des Marktes zur Geltung zu bringen.

So wäre die Gleichsetzung von solidarischen mit gewöhnlichen Betrieben am Markt verfehlt. Genauso verfehlt ist jedoch die Glorifizierung von solidarischer Ökonomie als dem ganz Anderen. Solange sich Unternehmen am Markt bewegen und dort bewähren müssen, solange also die Warenform die Aktivitäten bestimmt, ist Demonetarisierung eine Illusion. Allenfalls Umverteilung – auch eine mögliche, aber keine grundsätzliche andere Handlung – ist möglich. Daraus kann man, so meine These, die zentrale Bedingung für eine strategisch angelegte Demonetarisierung ableiten: Keine Demonetarisierung ohne Entwarenformung.

Entwarenformung bedeutet, von der Warenform loszukommen. Produkte nehmen dann Warenform an, wenn sie in getrennter Privatproduktion hergestellt und anschließend in der Regel gegen Geld getauscht werden. Die Alternative sind Commons. Produkte nehmen Commonsform an, wenn ihre Herstellung und Nutzung jenseits des Tausches organisiert wird. Statt die Verteilung im Nachhinein über das Geld zu vermitteln, wird sie von vornherein gemäß der Bedürfnisse der Beteiligten verabredet.

Bedeutet diese Forderung aber nicht doch, dass wir bei allen Aktivitäten und Projekten von Geld absehen müssen? Wären wir also wieder in der moralischen Schlangengrube gelandet? Nein, keineswegs. Wie dargestellt entkommen wir der Geldbenutzung vorerst nicht, solange das Warenparadigma dominant ist. Aber es ist ein Unterschied ums Ganze, ob Geld etwa zum Zweck der Umwandlung von Waren in Commons eingesetzt wird oder weiterhin seine Funktion im erweiterten Kreislauf der Verwertung einnimmt. Ob wir also commons-basierte Produktionsstrukturen aufbauen, die eben keine Waren, sondern Commons herstellen und erhalten, die nicht getauscht, sondern nach Verabredung genutzt werden. Und dabei geht es nicht nur um immaterielle Güter wie Software und Wissen, sondern um ganz handfeste Dinge wie Kartoffeln und Maschinen.

Muss ich erwähnen, dass dies ein ungeheuer schwieriger und widersprüchlicher Prozess ist? Dass damit der Kapitalismus nicht hier und heute aufgehoben wird? Wohl kaum. Wenn eine freie Produktionsweise in der Zukunft Waren, Tausch, Geld und Markt nicht mehr kennen soll, dann muss heute begonnen werden, eben jene Produktionsweise aufzubauen – noch unter den alten dominanten monetären Imperativen. Das ist dann tatsächlich Demonetarisierung. Wenn es nötig ist, unter Einsatz von Geld.

From: keimform.deBy: Stefan MeretzComments