Landnutzung ein Stück weit demonetarisieren. Eine Arbeitsvorlage

Siehe dazu auch Streifzüge 53 „Die post-revolutionäre Möhre. Hier und Jetzt“

Streifzüge 54/2012
von Jan-Hendrik Cropp

Wir müssen das agrarpolitische Desaster auf den Äckern tagtäglich mitansehen. Mit Entmonetarisierung als Perspektive dagegen meine ich in diesem Beitrag, die landwirtschaftliche Produktion unabhängiger von Geld und seiner Logik zu gestalten.

Wir organisieren Gemüseproduktion nach dem Leitsatz: Jede_r gibt nach seinen_ihren Fähigkeiten und bekommt nach seinen_ihren Bedürfnissen (siehe Streifzüge 53). Ein Schlüsselelement darin bleibt aber die Finanzierung zur Deckung der Produktionskosten (Budget). Eine wertfreie Enklave, aber ohne Geld nicht existenzfähig. 

Es geht also um Möglichkeiten und Grenzen für eine Entmonetarisierung unserer Landwirtschaft, für eine schrittweise Verringerung der Budgethöhe durch direkte Bedürfnisbefriedigung ohne den Umweg des Geldes. Geld soll weniger wichtig für das Gelingen des Projektes werden.

 

Die neue Gruppenvereinbarung in Witzenhausen-Freudenthal (Hessen) hält als Ziele fest:

  • Die Befriedigung des Bedürfnisses nach ökologisch erzeugtem Gemüse aller Beteiligten.
  • Die Befriedigung jener Bedürfnisse (auch finanzieller Art), die bei Personen dadurch entstehen, dass sie zum Erreichen des oben genannten Ziels tätig sind (z.B. die Gärtner_Innen).
  • Eine nicht-kommerzielle Befriedigung dieser Bedürfnisse, wo immer möglich. Eine finanzielle / monetäre Befriedigung dieser Bedürfnisse, wo immer nötig.

 

Ein Ansatz zur Entmonetarisierung wäre ein Alltag in freiwilliger Einfachheit der im Projekt Tätigen, möglichst wenig Geld auszugeben, ohne die eigene, persönliche Lebensqualität zu mindern: containern, trampen, couchsurfen, gemeinsame Nutzung von Gebrauchsgegenständen etc. Ein erster individueller, kein oder nur teilweise transformatorischer Ansatz.

Eine andere praktizierte Möglichkeit ist es, die Tätigkeit im Projekt mit monetären Einkommen quer zu subventionieren: Von gut bezahlter, teilzeitiger Lohnarbeit; über staatliche Transferleistungen; familiäre Unterstützung; Vermögen bis Fundraising fürs Projekt und gemeinsame Kasse kann das alles für die Einzelnen sinnvoll sein. Solange diese Gelder allerdings zur Deckung laufender Kosten genutzt werden, ist das bloß eine Freistellung der Landnutzung auf Kosten anderer Bereiche.

Weiter führt vielleicht eine direkte Bedürfnisbefriedigung durch unterstützende Netzwerke. Hinter dem Geldbedarf stehen ja so konkrete Bedürfnisse wie Mobilität, Wohnung, Essen, Heizung, Kommunikation usw. Diese könnten durch Fähigkeiten oder Ressourcen innerhalb oder außerhalb des Projektes befriedigt werden. Ein paar Beispiele:

  • Raum zum Wohnen oder als Verteilpunkt für Gemüse (Hof, Wohnung, Bauwägen / Garage, Innenhof) wird den Tätigen durch Unterstützer_Innen günstig oder mietfrei zur Verfügung gestellt oder die Tätigen suchen sich entmonetarisierten Wohnraum in anderen Zusammenhängen (z.B. Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit)
  • Nahrungsmittel: Die Produktionspalette wird im Projekt oder durch Integration anderer Höfe ausgeweitet oder die Tätigen nutzen andere Projekte Solidarischer Landwirtschaft.
  • Entspannung und Gesundheit: Entweder gibt es Ärzt_Innen und Masseur_Innen im Netzwerk, die ihre Leistungen billig oder frei zur Verfügung stellen oder die Tätigen nutzen andere Solidargemeinschaften (Skillsharing-Netzwerke / Artabana).
  • Gebrauchsgegenstände (privat oder für die Produktion): Entweder Leute aus der Projektgruppe (Tätige plus Beitragende) stellen das Notwendige zur Verfügung oder es gibt einen regionalen Ressourcen-Pool außerhalb des Projektes.
  • Wartung und Reparatur der Produktionsmittel: Entweder eine interne Arbeitsgruppe mit entsprechenden Fähigkeiten kümmert sich darum oder es wird ein regionales Skillsharing-Netzwerk bemüht.

In unseren diesjährigen Vereinbarungen konnten Menschen daher als ersten Schritt hin zur Entmonetarisierung nicht nur finanzielle Beiträge, sondern auch ihre Fähigkeiten und Ressourcen zusichern.

Ein wichtiger weiterer Ansatz wäre jedenfalls der Aufbau von autonomer Infrastruktur, um die Produktion vom fossilistisch-kapitalistischen System abzukoppeln und private Ressourcen nicht nur zu teilen, sondern zu kollektivieren mit dem Ziel einer solaren, sich selbst erhaltenden Produktion. Zum Beispiel:

  • Saatgutproduktion: Eigene Drescher, Trocknung, Reinigung und Lagerungsmöglichkeiten.
  • Düngerproduktion: Ergänzend zur Gründüngung hygienisierte Rückführung der menschlichen Ausscheidungen durch Fermentierung, Kompostierung.
  • Treibstoffe: Ölmühlen und Biogasanlagen für umgerüstete Fahrzeuge.
  • Räumlichkeiten: Freikauf von Hof, Hallen, Scheunen, Verteilpunkten usw.
  • Fahrzeuge: Kollektive Nutzung und Umrüstung auf Biotreibstoffe aus der Region.
  • Werkstätten: Werkzeug nicht nur teilen, sondern kollektivieren, Ort der gemeinsamen Nutzung.
  • Strom und Wärmeerzeugung: Kraft-Wärme-Kopplung auf Biomasse-Basis, Solarthermie.
  • Wasser: Brunnen und ökologisches Abwassersystem

Ähnliche Strukturen (Maschinenring, Carsharing, Biogastankstellen, Energiegenossenschaften etc.) existieren, aber als marktförmige Unternehmen. Dem würde eine kollektive Form entgegenstehen,  indem die Infrastruktur an eine Rechtsform übergeben wird, die eine bestimmte, nicht-kommerzielle Nutzung auf Dauer festschreibt. Eine Beteiligung an den erwähnten, bestehenden Angeboten ist sinnvoll, ein Dialog über eine eventuelle Entmonetarisierung notwendig.

Für all das bedarf es, so es nicht direkt beschaffbar ist, Kapital, entweder von innerhalb des Projektes oder von außerhalb. Überlegenswert ist ein überregionaler Fonds, in dem wohlhabende Unterstützer_Innen einen sicheren Hafen für ihr Kapital finden könnten. Auch bei mangelnder Rendite könnte das den Zeitgeist bürgerlicher Unsicherheit treffen.

Aber so einfach wird es wahrscheinlich doch nicht. Zunächst ist und bleibt Geld extrem praktikabel. Als Tauschmittel für alles kann es ein Bedürfnis sehr exakt befriedigen. Wie weit können wir auch jetzt schon nicht-monetär genau das bekommen, was wir brauchen? Weiters haben wir die Zeit für all die aufgezählten Projekte usw. nur, wenn unsere Existenz und Entfaltung nicht-monetär gesichert und nur wenig Zeit für Geldbeschaffung nötig ist.

Und schließlich bleiben bestimmte Bereiche schwer selbst organisierbar. Es gibt z.B. Maschinen und Technik, die einer globalen Produktionskette bedürfen und deren selbstorganisierte Machbarkeit in nicht-kommerziellen Strukturen fragwürdig bleibt.

Also schreiten wir fragend voran …

From: streifzuege.orgBy: Lorenz