Achtung: Sündenbock!

Wenn man in die unendlichen Weiten der Ideen um alternative Wirtschaftsweisen eintaucht, stößt man auf einige seltsame Wesen. Sie sind haarig, haben Hörner, machen „mäh!“ und werden in die Wüste getrieben, weil sie das Pech hatten, im Verdacht zu stehen, mit „dem Bösen“ unter einer Decke zu stehen: der gemeine Sündenbock.

Wie wir aus vielen Kinofilmen zweifelsfrei wissen, sind die Bösen immer irgendwie gleich: sie wollen die Weltherrschaft, alle anderen ausbeuten und unterdrücken, meistens sind sie nicht mal als menschlich zu erkennende eklige Monster oder Aliens.

In Kreisen von WirtschaftsystemkritikerInnen, Finanzsystemfrustrierten und ZukunftsvisionärInnen trifft man immer wieder auf dieses Tierchen, auch wenn man dachte, die seien seit dem zweiten Weltkrieg in Deutschland bereits ausgestorben.

Sie sind wieder da, oder waren nie ganz weg, und zwar in Form von Verschwörungstheorien über die „jüdische Weltverschörung“ zum Beispiel. Oder in Form von Außerirdischen oder Echsenwesen, die im Erdinnern wohnen und von dort aus unsere Gedanken fernsteuern. Während letzteres noch als amüsant-absurd ausgelacht werden kann, ist die Suche nach dem passenden Feinbild in Form der jüdischen Weltverschörung viel problematischer. Und dazu noch sehr beliebt. Und so tauchen sie bei der Occupy Bewegung genauso wie beim Zeitgeist movement wieder in das kritische Licht der Öffentlichkeit.
Details dazu:
http://www.netz-gegen-nazis.de
http://www.netz-gegen-nazis.de

http://www.welt.de/

http://jungle-world.com/

Beide Theorien haben gemeinsam, dass sie ein Gefühl der Machtlosigkeit, des Neides, der Hilflosigkeit aufkommen lassen, denn wenn die Mächtigen bereits so mächtig sind und im Verdeckten agieren, wie soll man bloß gegen die ankommen?
Die Ohnmacht lässt sich leicht durch Agitation in Agression umwandeln, indem man die Aufmerksamkeit auf die mit „Bösen“ assoziierten lenkt. Praktisch ist dabei, wenn es Menschen betrifft, die in leicht identifizierbare Kategorien zu stecken sind, die sowieso in der Minderheit und benachteilgt sind. In der Geschichte und weltweit gibt es unzählige Beispiele dieser Art, nicht nur der in seiner wohldurchdachten Grausamkeit einzigartige Holocaust.

Haben 99% nix aus der Geschichte gelernt?
Wieso beschwören SprecherInnen bei deren Veröffentlichungen immer wieder Bilder herauf von gierigen Einzelpersonen, die an allem Schuld seien?
Die Geschichte zeigt, dass mit der Beseitigung von Sündenbocken die Situation in der Regel eher schlechter oder unverändert blieb – nur der gewaltätige Mob fühlte sich bestätigt und innerlich sozial gestärkt. Ein Machtkampf jagt den nächsten, nach einem geköpften König kommt der nächste despotische Machthaber, moderner: Militärdiktator.

Alle spühren, dass da was falsch läuft. Alle wollen Frieden und Brot für ihre Kinder. Aber solange viele nur nach passenden Feindbildern Ausschau halten, wird abgelenkt, wird der Blick verstellt, die Emotionen vernebelt, das Denken verroht.
Der Feind wird fetischisiert, seine Beseitigung bringe das Heil für alles.
Dass so viele Menschen auf diesen Schwachsinn hereinfallen zeigt, wie nachhaltig jahrhundertelange Kriegspropaganda wirkt und wie hilflos oder desintegriert die Menschen sich fühlen.
„Zusammen gegen den Feind“ bildet kuschelige Kampfgemeinschaften, endlich kommt man mal wieder zusammen, einig Deutsches Vaterland…. Wie gruselig. Ist ja auch viel einfacher, als zu versuchen, die Kompliziertheit von Machtverhältnissen zu verstehen. So kompliziert isses auch nu wieda nich!

Was fehlt, ist ein entschiedenes Einstehen für bereits existierende, gründlichere Systemanalysen, die keinen Raum für Feindbilder lassen.
Es geht beispielsweise darum, sich das System als von Menschen in einer verrückten Experimentierphase mühsam geschaffenen Roboter auszumalen, der Menschen und Umwelt frisst und Geld scheißt.
Der Roboter steht für das System, das funktioniert, weil alle dran glauben, weil alle sich gegenseitig zwingen, daran mitzuwirken. Die ihn trotz aller Konstruktionsfehler irgendwie doch noch am Laufen halten und hier und dort ein paar Sicherungen einbauen, damit er nicht vollends durchknallt. Der Roboter ist emotionslos, er tut nur seinen Job (Schulterzucken).

In diesem System sind wir alle Opfer und Täter zugleich. Wer kauft, muss verkaufen. Der Roboter eignet sich nicht so richtig als Feindbild, weil man eine Methapher nicht köpfen kann und uns letztlich auf alle verweist.
Klar gibt es starke Machtgefälle unter uns allen, die es zu erkennen und hinterfragen gilt. Auf der persönlichen Ebene gibt es aber keine „bösen“ Individuen (oder Gruppen), das nach der Weltherrschaft greifen, sondern einen riesigen Haufen Menschen, die im falschen System um ihr Überleben kämpfen. Und das in einem System, das grausames Verhalten sinnvoll erscheinen lässt, weil dadurch Überlebensvorteile (Geld, Macht) entstehen.

Mal auf den Kopf gestellt, könnte die Frage also lauten: Welches System oder welche Systeme braucht der Mensch, um sich zueinander friedlich, ehrlich und respektvoll zu verhalten? Wo es tatsächlich materiellen Vorteil ergibt, sich kooperativ zu verhalten statt destruktiv?

Dazu gibt es eine Menge guter Ideen, die es auszugraben und auszuprobieren gilt. Schau dich um, dann wirst du sie finden.

Rettet die Sündenböcke! Denkt und schafft Alternativen gegen die Roboter und Nazis in unseren Köpfen.

From: geldfreies-berlin.tkBy: bine